Buch-/Streaming-Tipp: »Leni Riefenstahl«
© Orell Füssli Verlag
Sie will und will kein erledigter Fall werden. Leni Riefenstahl. Tänzerin, Schauspielerin, Regisseurin, Fotografin . . . Mythos einer dunklen, verführerischen, abgründigen Ästhetik im deutschen Nationalsozialismus oder einfach »unpolitische« Großkünstlerin mit Hang zum Monumentalen, der ein Reichsparteitag einfach ein willkommenes Sujet für ihre Inszenierungsideen war. Als die BBC im Jahr 2019 zum ersten Mal eine Liste der hundert besten Filme von Frauen nach Kritiker:innenumfragen vorlegte, waren zwei Filme von Riefenstahl dabei, »Olympia« (Platz 38) und »Triumph des Willens« (Platz 45). Das gruselt es einen doch etwas: 37 Jahre nach der Uraufführung des Dokumentarfilms von Nina Gladitz, der Leni Riefenstahl nicht nur symbolische, sondern persönliche Schuld nachwies. Und der, nach einem langwierigen Gerichtsverfahren, das Gladitz zwar in den meisten, aber eben nicht in allen Punkten recht gab, in der Versenkung verschwand. Die Filmemacherin hätte nicht behaupten dürfen, dass Leni Riefenstahl vom Schicksal der Sinti und Roma gewusst hätte, die sie als Komparsen in ihrem Film »Tiefland« einsetzte, wegen ihres »südländischen Aussehens«. Von den 132 Häftlingen, die für Riefenstahl spanisches Volk darstellten, kamen 69 im Konzentrationslager um. Später behauptete sie dreist, sie hätte sie alle wiedergetroffen, gesund und munter.
2020 legte Nina Gladitz das Buch »Leni Riefenstahl – Karriere einer Täterin« vor, das die Recherche noch einmal zusammenfasst und die von der faschistischen Künstlerin gepflegte Legende (unter anderem in »Memoiren«, die, gerade wieder aufgelegt, offenbar nach wie vor gern gelesen werden) zerpflückt: die unpolitische, schönheitssüchtige, selbstbewusste und einzigartige Künstlerin, der man nach dem Krieg so übel mitspielt und deren Rang nur im Ausland, in Frankreich, England und den USA, anerkannt wird. Aber die Legende wird nicht nur bei der BBC weiter gehegt. Am 28. März 2020 heißt es in einem »Zeitreise«-Beitrag des mdr: »Die Nähe zu Hitler wird Riefenstahl nach dem Krieg zum Verhängnis. In der Nachkriegszeit wird sie von ihren Kollegen und alten Freunden gemieden. Auch die Besatzungsmächte verfolgen argwöhnisch ihr Tun. Im Westen soll sie vor Gericht ihre Unschuld beweisen. Im Osten kommen ihre Bilder auf den Index und bereits vor der Gründung der DDR sammelt ein Vorläufer der Staatssicherheit Unterlagen über sie. Bis zu ihrem Tod kämpft Riefenstahl vor Gerichten und in den Medien um Anerkennung, Ruhm, Geld und Ehre.« Auch darin war Leni Riefenstahl eine wahre Meisterin und gängiges Rollenmodell, nämlich in der zweifelhaften Kunst, sich zum Opfer zu stilisieren. Diese Verkehrung übrigens macht die Auseinandersetzung mit ihr über den filmhistorischen und zeitgeschichtlichen Aspekt hinaus aktuell.
Man kann ihr Werk genau ansehen und darin gefährliche Schönheit oder eine Tiefenstruktur des Faschismus sehen. Und wenn man es noch näher ansieht, dann mag man erkennen, dass nicht einmal diese Vorstellung von authentischer faschistischer Ästhetik vollständig bestehen bleiben wird, nicht jener Hauch eines génie du mal, der offensichtlich auch für viele Menschen attraktiv war und ist, die sich keineswegs in die Nähe von Naziideologie bringen lassen wollen. Nur das Bild einer skrupellosen, heuchlerischen und opportunistischen Person, der jedes Mittel recht war, wenn es den eigenen Interessen diente, und die noch schamlos über ihre Rolle im »Dritten Reich« gelogen hat, als die Beweise für ihre Machenschaften auf dem Tisch lagen – das bleibt übrig, wenn man hinter die Maske sieht.
Aus dem Film von Nina Gladitz wurde ein Buch, und aus diesem nun wiederum ein Film. Michael Klofts »Leni Riefenstahl – Das Ende eines Mythos«, der vor allem auf den Recherchen von Gladitz und Gesprächen mit ihr basiert, ist keine Revision und auch nicht weitreichende Ergänzung, vielmehr eine zugänglichere und von einigen Spitzen gereinigte Digest-Fassung von Film und Buch, aber gerade als solche ausgesprochen nützlich, um eine Wiederbelebung des Riefenstahl-Mythos zu verhindern. Kloft, der sich einen Namen als Dokumentarist der Nazizeit gemacht hat und bei »Das Goebbels-Experiment« (einer »Verfilmung« der Tagebücher von Joseph Goebbels von Lutz Hachmeister) am Drehbuch beteiligt war, verlässt sich ganz auf das Material. Es ist erdrückend genug.
Ein wenig frustrierend ist das allerdings schon. So als würde man jemanden vor Gericht zugleich anklagen und entmündigen. Die Künstlerin Leni Riefenstahl war eine ästhetische Mitfabrikantin des deutschen Faschismus. Und andererseits: Die Künslerin Leni Riefenstahl hat es überhaupt nie gegeben. Entlarvt wird vor allem eine skrupellose geistige Diebin und Fälscherin. Wer sie (»trotz allem« oder »allem zum Trotz«) bewunderte, von Mick Jagger bis Susan Sontag, saß einem Phantom auf. Und vielleicht auch, wer eine dunkle mythische Seele des Nationalsozialismus dort vermutete.
Die Entzauberung beginnt auf der Ebene der Produktion selbst. Kann man jemanden noch schätzen, trotz allem, der sich nach der »Arisierung« einfach das geistige Eigentum eines Mitarbeiters, von Béla Balázs, aneignete? Kann man jemanden noch schätzen, der für einen Film Zwangsarbeiter rekrutierte, gequälte Sinti aus dem Lager bei Salzburg. Kann man jemanden schätzen, der sich nach dem Krieg als Unschuldige hinstellte, die nie etwas anderes als »reine Schönheit« im Sinn gehabt hat und angeblich »nie jemandem geschadet« hat? Eine, die möglicherweise die Kunst ihres Kameramannes, Willy Zielke, als eigene Größe ausgegeben hat? Die es mit Hilfe deutscher Gerichte dann noch schafft, eine Dokumentation verbieten zu lassen, die ihre Verbrechen nachweist? Eine, die einen KZ-Überlebenden, der als Zeuge ihren Umgang mit Menschen damals belegt, die für sie nie etwas anderes waren als Objekte (und genau hier begänne eine Auseinandersetzung auch mit ihrem »Stil«), anherrscht: »Warum tun Sie mir das an«? Nein, die Künstlerin Leni Riefenstahl ist als Mensch moralisch wahrlich nicht zu retten. Und ihre Kunst?
Nina Gladitz hat in ihrem unsichtbaren Film und in dem Buch, das sie danach veröffentlichte, der Legendenbildung entgegengewirkt, und vielleicht ist sie dabei wiederum einem anderen Mythos verfallen, nämlich dem einer ästhetisch vollkommen leeren, einer vampirischen Person. Doch dass Leni Riefenstahl intrigant und in Fragen des geistigen Eigentums skrupellos war, heißt nicht, dass sie gar keinen Einfluss auf Ästhetik und Diskurs des ihr zugeschriebenen Werkes hatte. Sie hat, gewiss, ein Material noch weiter faschisiert, dem System geschmeidig anverwandelt, das aus anderen Quellen kam als der eigenen Imagination. Vielleicht denkt sie den Faschismus nicht in ihre Filme hinein, sie fühlt ihn vielmehr in seinem Wesen aus den Elementen heraus, die sie in ihrer Arbeit verwendet. Und sie wendet ihn an, nicht nur im äußeren Umgang mit Menschen, Techniken und Räumen, sondern auf eine konsequente, mythisch-semantische Art, die ihrer Arbeit eine ästhetische Geschlossenheit gibt, die man auch wieder mit Schönheit verwechseln könnte. Diese fundamentale Ausstellung der puren Form, die fetischhafte Verwendung des Ikons, die Affekt-Besetzung von Oberfläche und Inszenierung, all das macht Riefenstahls Werk auch nach der Bindung an das Naziregime auf besondere Weise popaffin. Produktion und Produkt treffen sich in einem Gestus: dem Austreiben des Menschlichen.
Nein, sie ist wohl wirklich kein erledigter Fall, diese Leni Riefenstahl. Aber man wird ihr nicht mehr den Status einer dämonisch verführerischen Künstlerin und schon gar nicht den einer etwas moralisch angekratzten Vor-Göttin des Feminismus lassen. In ihr kommt auch auf dem Sektor von Film und Kunst Hannah Arendts Diktum von der »Banalität des Bösen« zum Vorschein.
Buch: Leni Riefenstahl: Karriere einer Täterin. Von Nina Gladitz. Orell Füssli Verlag, Zürich 2020, 432 S., 25 €.
Film: »Leni Riefenstahl – Das Ende eines Mythos«. (53 Min.) Regie: Michael Kloft
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