Straschek-Ausstellung im Kölner Ludwig Museum
Von allen Heften der Zeitschrift »Filmkritik« aus den 27 Jahren ihres Erscheinens ist eines mir vor allen anderen im Gedächtnis geblieben. War es das ungewöhnliche Titelbild, das die Nr. 212 vom August 1974 zierte – ein Junge in Lederhose und mit Seppelmütze? War es der Titel »Straschek 1963–74 Westberlin«, der mein Interesse erregte (anderthalb Jahre, bevor ich selbst in die Stadt kam), weil er einen radikal subjektiven Erfahrungsbericht über einen Teil der Filmbranche verhieß? Aus einer dezidiert linken Sicht dazu? Jedenfalls muss ich das Heft, damals gekauft, intensiv gelesen haben, 44 Jahre später sind mir bestimmte Passagen immer noch präsent: über die Erfahrungen mit Fernsehredakteuren und mit Dozenten an der Deutschen Film- und Fernsehakademie (wo er zu den Relegierten des ersten Jahrgangs gehörte), über den Raubdruck von Brechts »Arbeitsjournal«, der eine Korrektur der fehlerhaften Herausgeber-Anmerkungen verdient hätte, aber auch die Fütterungsanweisungen von Danièle Huillet für ihre Katze in Rom. Die Rigorosität, mit der da einer zu einem Rundumschlag ausholte, war imponierend.
Das galt auch für sein ein Jahr später erschienenes »Handbuch wider das Kino« (ein 518 Seiten umfangreicher Band der edition suhrkamp), dessen Faktenfülle, belegt mit umfangreichen Anmerkungs- und Literaturverzeichnissen, von akribischen Recherchen zeugte. 2009 ist Straschek gestorben, 2010 erinnerte die Viennale mit der Aufführung seiner fünfstündigen Dokumentation »Filmemigration aus Nazideutschland« an den gebürtigen Grazer. Folgen hatte das erst einmal nicht – bis jetzt, wenn eine Ausstellung in Köln hoffentlich den Anstoß zur Beschäftigung mit seinem Werk gibt.
Die Ausstellung selbst hat etwas Spartanisches, das hätte Straschek gefallen: In mehreren miteinander verzahnten Räumen laufen seine Filme als Schleife, Schaukästen enthalten Informationen zu den Filmen, Texte von Straschek und Drehbuchseiten zu mehreren Kurzfilmen, die seine exakte Vorausplanung belegen, so wie die Filme selbst von hohem Formbewusstsein zeugen. Vier Texte von Straschek liegen als Faksimiles zur Mitnahme aus, ebenso eine von ihm erstellte Liste von Filmemigranten aus Nazideutschland und der detaillierte Fragebogen, den er zur Vorbereitung auf die Gespräche mit diesen erarbeitete. Zu den Kurzfilmen gehört auch der legendäre »Ein Western für den SDS«, der an der dffb im Tresor der Leitung verschwand und jahrzehntelang als verschollen galt, bis er bei der Vorbereitung der Ausstellung in Strascheks Hinterlassenschaft aufgefunden wurde. Höhepunkt der Ausstellung (Konzeption: Julia Friedrich) war für mich die (Wieder-)Begegnung mit seiner fünfteiligen Dokumentation, 1975 für den WDR (Redaktion: Werner Dütsch) entstanden. Die Gespräche sind in langen starren Einstellungen (halbnah oder Totale) gefilmt und erlauben eine Konzentration auf das Gesagte – und wie es gesagt wird, im Wechsel zwischen Deutsch und Englisch und öfter auch im Ringen um Worte und mit der Erinnerung. Besonders eindringlich: Camilla Spira, die berichtet, wie sie und ihre Familie aus dem KZ in Holland entkamen, und Johanna Hofer-Kortner, die einen Brief ihres Mannes Fritz Kortner vorliest, in dem dieser detailliert sein Leben im Exil schildert. Eine erneute Ausstrahlung der Serie wäre ein großes Verdienst des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, ebenso wäre eine DVD-Edition willkommen, selbst wenn man die zahlreichen Ausschnitte aus Hollywoods Anti-Nazi-Filmen im letzten Teil aus rechtlichen/finanziellen Gründen durch Standfotos ersetzen müsste.
Der zweisprachige (deutsch/englisch) Ausstellungskatalog, höchst empfehlenswert auch für den, der den Weg nach Köln scheut, enthält eine Reihe von Aufsätzen von Weggefährten (Johannes Beringer, Werner Dütsch), Aufsätze zu seinen Texten (Stefan Ripplinger) und zur Fernsehserie (Volker Pantenburg, Elfriede Jelinek) sowie ein Gespräch mit seiner Frau und Mitarbeiterin Karin Rausch, schließlich drei umfangreiche Faksimileteile: Unterlagen zu seiner Emigranten-Forschung, seine Korrespondenz mit Straub/Huillet (1966–1977) und das komplette Heft der »Filmkritik« vom August 1974.
Ausstellung bis 15. Juli im Museum Ludwig (Heinrich-Böll-Platz, Köln).
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