Serien-Tipp: »Westworld« Staffel 2
»Westworld«: Staffel 2 (2018). © HBO
Den Status des popkulturellen »heißen Dings« zu erreichen, über das alle reden, ist heute schwerer denn je, zumal im Bereich der Serien. Die HBO-Produktion »Westworld«, kreiert vom Autoren-Paar Jonathan Nolan und Lisa Joy, ging im Oktober 2016 mit dem Auftrag an den Start, in dieser Hinsicht »Game of Thrones« abzulösen. So unterschiedlich damals die Urteile über die Science-Fiction-Serie ausfielen, stellte sich jetzt mit dem Start der zweiten Staffel Ende April heraus, dass das Ziel erreicht wurde. Die hektische Aktivität auf den verschiedenen Fan-Kanälen in Form von Podcasts, YouTube-Explainer-Videos oder Reddit-Diskussionen schon im Vorfeld belegt das besser als jede Zuschauerquote.
Das, was die Serie im Gespräch hält, ist dabei interessanterweise genau das, wofür sie am schärfsten kritisiert wird. Um eine alte Dichotomie zu bemühen: Es ist nicht etwa der Inhalt, das Erzählte mit seinen Emotionen und Entwicklungen, sondern seine Form. Die Geschichte über einen Vergnügungspark, in dem menschenähnliche Roboter, »Hosts« genannt, menschlichen Besuchern als willfährige Statisten in der Rekonstruktion eines »Western«-Erlebnisses zur Verfügung stehen, wird als »Rätselbox« präsentiert, die den Zuschauer solange es geht an der Nase herumführt. Nicht nur darüber, wer »Gast« und wer »Host« ist, sondern auch darüber, wann was genau spielt. Was der weniger aufmerksame Zuschauer schnell als anstrengend empfindet, wird dem interessierten zum fesselnden Spiel, bei dem die Analyse eines Details hinten rechts im Bild Aufschluss über Dinge gibt, die später als Überraschungswendungen enthüllt werden. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wer etwa in der ersten Staffel die zwei verschiedenen Schreibweisen des »Westworld«-Park-Logos entdeckte, war früher gewappnet für die finale Offenbarung der zwei (eigentlich drei) unterschiedlichen Zeitebenen, auf denen sich die Handlung abspielte.
Diese Erzählform hält den einen Zuschauer bei der Stange, schließt aber den beiläufigen Betrachter mehr und mehr aus. Erzählen als Verrenkungskunst: Das, wovon »Westworld« eigentlich handelt, heißt es immer wieder, ginge in der Anstrengung unter, alles als Puzzle mit hinausgeschobener verblüffender Enthüllung zu gestalten.
Tatsächlich aber ist es komplizierter: Handelt doch »Westworld«, und das bestätigt die zweite Staffel, durchaus vom Akt des Erzählens selbst. Der Vergnügungspark mit seinen Roboterdarstellern funktioniert bestens als Metapher fürs Filmemachen. Im Streit um die Besitzverhältnisse des »Westworld«-Parks und seiner »Intellectual Properties« lassen sich unschwer die Studios wiedererkennen, in den Technikern, Programmierern und »Narratoren« der Filmstab, die »Hosts« schließlich sind die Schauspieler, die hier im Akt der Rebellion zurückschlagen. »Ziemlich platt«, findet die zu eigenem Bewusstsein gekommene »Host«-Frau Maeve (Thandie Newton) die Zeilen, die der Narrations-Chef Lee (Simon Quarterman) so schreibt. Trotz seiner Argumente, dass ihre ganze Biografie erfunden sei und ihr Kind deshalb auch nicht ihr Kind, besteht sie darauf, es zu suchen. Die Frage, die »Westworld« immer wieder stellt, was den nun menschliche Identität ausmache, wird in der Erzählperspektive beantwortet: Mit Maeve, Dolores (Evan Rachel Wood), Teddy (James Marsden) und Bernard (Jeffrey Wright) sind die »Hosts« die wahren Protagonisten der Serie geworden, während die Menschen der »Delos Corporation« mit ihren Intrigen rund um Datenschmuggel und Geheimaufträgen zu Antagonisten und Nebenfiguren reduziert wurden.
Maeve und Dolores führen ihre in der ersten Staffel begonnenen Rebellionen getrennt und in sehr unterschiedlicher Weise fort (womit die Serie der aktuellen Forderung nach mehr aktiven weiblichen Figuren in wunderbarer Weise nachkommt), aber beiden verhilft sozusagen der Glaube an eine/ihre Narration zur Identität. Der Vergnügungspark, der sich nun vom Western weg zu anderen Genres öffnet, funktioniert so auch als Metapher für die menschliche Sehnsucht nach dem Eintauchen, der Immersion in eine Erzählung – und zwar gerade nicht als Virtual Reality, sondern als forderndes, schmerzendes, intensives, nahezu sterbensgefährliches Erlebnis.
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