Peter Bogdanovich: Der cinephile Traditionalist

Peter Bogdanovich (2008). Foto: The original uploader was Eliaws at English Wikipedia. (Original text: User:Eliaws) (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Peter_Bogdanovich.jpg), „Peter Bogdanovich“, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/legalco

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Am 6. Januar ist Peter Bogdanovich gestorben. Er hat als Kritiker, ­Filmhistoriker und Regisseur das amerikanische Kino geprägt. Seine schönsten Filme entstanden in der Ära des New Hollywood. Und das melancholische ­Frühwerk »The Last Picture Show« wird immer bleiben, meint Norbert Grob

Er war bereits ein Star, bevor er seinen ersten Film realisieren konnte: als Filmkritiker für »Esquire«, »Film Culture« und »Village Voice«. Als Kurator der Retrospektiven von Orson Welles, Howard Hawks und Alfred Hitchcock für das New Yorker Museum of Modern Art. Als Autor filmhistorischer Bücher über John Ford, Fritz Lang, Allan Dwan. Auf eine akademische Laufbahn zielte er damit aber nie. Er hatte nur eines im Kopf: »alten Meistern über die Schulter zu schauen«, um »das Regiehandwerk zu lernen«. Dieser Devise folgte er, solange er konnte. 1997 publizierte er die Summe dieses Lernens. »Who the Devil Made It?« (deutsch »Wer hat denn den gedreht?«, Zürich 2000): die Sammlung seiner Interviews mit 16 Künstlern des Classical Hollywood, die man gut als Geschichte des US-Films lesen kann.

Peter Bogdanovich gelang dann, was in Frankreich die Regiestars der Nouvelle Vague vorgemacht hatten, in den USA aber eher ungewöhnlich war: die Barriere zwischen Kritik und Filmemachen zu überwinden. Die erste Chance dafür bot der Produzent Roger Corman. Der gab Bogdanovich etwas Geld, 15 Minuten eines unfertigen Horrorfilms, dazu zwei Drehtage mit Boris Karloff und bat ihn, etwas Aufregendes daraus zu machen. Und das tat er. Das Ergebnis war »Targets« (Bewegliche Ziele, 1968), die bizarre Geschichte um eine Ikone des Horrorkinos und einen Amokläufer, der in einem Autokino willkürlich Leute erschießt, am Ende aber irritiert ist, als der alternde Star Karloff doppelt auf ihn zukommt – als Figur auf der Leinwand und als Akteur direkt vor ihm, ihn ohrfeigend und entwaffnend. Das Besondere dabei lag darin, dass Bogdanovich mit dem doppelten Sinn des Schreckens spielte: mit den inszenierten Effekten für Filme, die das Publikum erfreuen, ängstigen – und reinigen; und andererseits mit der Darstellung des mordenden Schützen im Alltag. Beide Ebenen spiegeln einander, so dass klar wird: Gegen den realen Horror der Gewalt kommt kein filmischer Horror an. »Targets« war ein spielerisches Debüt, das rund um die Welt Aufsehen erregte.

Geboren wurde Bogdanovich am 30.7. 1939 in New York; er ging dort auf die bereits 1628 gegründete elitäre Collegiate School. Der Vater war Maler, die Mutter seine lebenslange Förderin. Schon früh entschied er, in Kinos zu jobben, um so viele Filme wie nur möglich zu sehen; angeblich brachte er es an manchen Tagen auf sieben oder acht. Nach der Schule besuchte er das Stella Adler Theatre Studio. Gleichzeitig entwickelte er eigene Pläne für TV und Theater, suchte Kontakte zu Autoren und Schauspielern – und frönte weiterhin seiner obsessiven Lust auf Filme. Aus der Zeit stammt auch, wie er später oft betonte, seine Vorliebe dafür, mehrere Dinge gleichzeitig zu erledigen. »I'm always trying to kill at least two birds with one stone.« 1963 siedelte er über nach Los Angeles und begann vom ersten Tag an, die neue Stadt und die Menschen, die dort für ihn wichtig waren, zu erobern.

Anfang der 1970er Jahre konnte er für einige Zeit regelmäßig fürs Kino arbeiten. Zunächst drehte er »The Last Picture Show« (Die letzte Vorstellung, 1971), dann» What's Up, Doc?« (Is' was, Doc?, 1972), eine rasante Screwball Comedy in der Tradition von Howard Hawks' »Bringing Up Baby« (Leoparden küsst man nicht, 1938), in der Bogdanovich alle Register zog, die er von seinen Meistern kannte. Er zitierte sie, wieder und wieder, und variierte die bekannten Regeln. Deshalb stehen im Zentrum: der Krieg der Geschlechter. Die Dominanz der Frauen (sie bestimmen und zelebrieren die Verwirrung der Männer). Die Diskrepanz von Wunsch und Tun. Sowie der Aufstand der Dinge, der in Katastrophen und Wirrnisse mündet. Hier sind es vier Taschen, die unter anderem seltene prähistorische Steine, gestohlene Regierungsakten und wertvollen Schmuck enthalten und alles ins Chaos stürzen. Es beginnt in einem Hotel, geht mit einer rasanten Verfolgungsjagd durch die Straßen von San Francisco weiter bis zum Absturz von vier Autos in die San Francisco Bay und endet auch bei einer turbulenten Gerichtsverhandlung nicht. 

Es folgte »Paper Moon« (1973), Bogdanovichs vierter Film – und das vierte Genre, das er bediente und variierte: ein komödiantisches Road Movie, melancholisch im Ton, poetisch in der Atmosphäre, visuell orientiert an John Fords »The Grapes of Wrath« (Früchte des Zorns, 1940). Es geht um einen mittellosen Ganoven (Ryan O'Neal), der in der Depressionszeit mit der jungen Addie (Tatum O'Neal), die sehr eigensinnig ist (ob es seine Tochter ist, bleibt offen), durch die Einöde des amerikanischen Mittelwestens fährt. Beide nerven sich gegenseitig, beide streiten sich unentwegt – und können dennoch voneinander nicht lassen. Während sie von einem Betrug zum nächsten ziehen, wofür sie stets ihren Anteil fordert, liefern sie sich die heftigsten Wortgefechte. Wobei vor allem Addie darauf achtet, stets das letzte Wort zu haben (was der aggressiven Performance von Tatum O'Neal ihre besondere Note verlieh). Am Ende bringt der Gauner, wie versprochen, das Mädchen zu einer Tante. Als er dann weiterfahren will, sieht er, dass sie auf ihn zuläuft. Er will sie zurückweisen. Doch sie unterbricht ihn und erklärt kurz, er schulde ihr immer noch 200 Dollar. Der Film war Bogdanovichs letzter großer Erfolg, bei Kritik und Publikum.

Für die meisten Kritiker kam danach nichts Meisterliches mehr. Inzwischen können wir allerdings doch das eine oder andere würdigen. »Nickelodeon« (1976) etwa als emphatische Erinnerung an die Pioniere des US-Kinos – bis zu Griffiths »The Birth of a Nation« (1915). Oder »Saint Jack« (1979) als atmosphärisch-dichte Huldigung an den exotischen Abenteurer à la Clark Gable, der in der Fremde ständig verliert – und dennoch nicht aufgibt. Oder »They All ­Laughed« (1981) als Würdigung der besonderen Präsenz und Ausstrahlung von Audrey Hepburn. Oder »Mask« (1985) als berührende Fantasie über einen im Gesicht verunstalteten Jungen, der sich mit Hilfe seiner Mutter und einiger Rockerfreunde gegen alle Anfeindungen durchsetzt. Oder »The Thing Called Love« (1993) als Hommage an die Musik und ihre Interpreten in Nashville, Tennessee. Und »The Cat's Meow«  (2001) als vielschichtige Darstellung einer Intrige um den Tod des ehemals erfolgreichen Filmproduzenten Thomas Harper Ince, in die Charlie Chaplin, Marion Davies, William Randolph Hearst und Louella Parsons verstrickt sind.

Selbst in den Jahren seiner größten Erfolge war Bogdanovich kein Meister der Polyphonie (wie Robert Altman). Kein Epiker (wie ­Francis Ford Coppola). Auch kein Grübler, ständig bereit, sich und sein Tun zu hinterfragen (wie Bob Rafelson). Und er war kein Visionär der Stadt und ihrer Vibrationen (wie Martin Scorsese). Er war ein cinephiler Erzähler, der seine Filme immer im Bezug zu den Werken der Klassiker sah und prüfte.

Sein Opus magnum war und blieb »The Last Picture Show«. Im Mittelpunkt stehen zwei junge Männer, die auf der Suche sind nach einem eigenen Platz in der Welt, 1951/52 in der texanischen Provinz. Der eine, Duane (Jeff Bridges), ist unruhig und raubeinig, der andere, Sonny (Timothy Bottoms), besonnen und bodenständig. Beide träumen vom ganz Anderen – und enden doch in Anpassung und ­Resignation. Duane zieht in den Krieg nach Korea, hofft, das eine Jahr als Soldat zu überstehen.

Sonny sucht zu Hause zu überleben, lässt sich dafür auf eine ältere Frau ein, die ihn nicht sonderlich interessiert. Der Film ist, mit seinen faszinierenden Bildern in Schwarz-Weiß (fotografiert von Robert L. Surtees), Dokument und Vision zugleich: Hinweis auf die Situation der Menschen in ödester Umgebung sowie Klage über den Mangel an Hoffnung auf Zukunft. Am Ende fegt starker Wind durch die Stadt, er ­wirbelt Laub und Sand hoch, so dass kaum noch eine Sicht möglich ist. Ein Junge, scheu und geistig behindert, will dennoch die Straße mit seinem Besen reinigen. Er wird dabei von einem Lastwagen erfasst, der Rinder geladen hat. Sein Tod markiert überdeutlich den Stand der Dinge. Kein Sinn. Kein Trost. Nirgendwo.

Gäbe es ein Archiv, das die besten 100 Filme der Welt aus allen Zeiten versammelte, »The Last Picture Show« wäre dabei, beyond a reasonable doubt.

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