Nahaufnahme von Michael Stuhlbarg
Michael Stuhlbarg in »Call me By Your Name« (2017) © Sony Pictures
Michael Stuhlbarg spielt in gleich drei der in diesem Jahr für den »Besten Film« nominierten Oscar-Kandidaten – ohne selbst eine Nominierung zu erhalten. Und das obwohl sein Auftritt in Luca Guadagninos »Call Me by Your Name« zu den Kinoereignissen des Jahres gehört
Die Liste der Leading Man der Coen-Brüder ist lang und illuster. Es finden sich dort Hollywood-Schwergewichte wie George Clooney, Nicholas Cage und Tom Hanks. Für die Hauptrolle in ihrer oft unterschätzten, rätselhaften Komödie »A Serious Man« aber suchten die Coens keinen Superstar, sondern einen Charakterschauspieler – einen Schauspieler, der dem Milieu ihrer eigenen Kindheit und Jugend hätte entsprungen sein können. Eben dort ist der Film angesiedelt, in einer kleinen jüdischen Community im vorstädtischen Mittleren Westen der 60er Jahre. Sie suchten und fanden Michael Stuhlbarg, einen gebürtigen Kalifornier, der bisher vor allem am Theater Erfolge gefeiert hatte; sein bis dato größter Filmauftritt bestand in genau einem einzigen Satz in Ridley Scotts »Der Mann, der niemals lebte«.
Die Rolle des Larry Gopnik, einem vom Leben geplagten Physiklehrer, schien Stuhlbarg wie auf den Leib geschrieben. Wie er hier unverschämten Austauschstudenten, Familienangehörigen, antisemitischen Nachbarn und dem mysteriösen Wirken des Schicksals im Allgemeinen trotzt, ist von erhabener Tragik und bitterer Komik; seine Interpretation eines einfachen Menschen im Angesicht des Unverständlichen ist bis heute eine der feinsten Performances in der Coenschen Filmografie. Tatsächlich aber hatte Stuhlbarg nur für eine kleine Rolle im jiddischsprachigen Prolog des Films vorgesprochen; mit dem Rückruf der Coens sollte sich nun alles ändern.
Martin Scorsese, Steven Spielberg, Woody Allen – nach seinem Auftritt als »Serious Man« klopften bei Stuhlbarg die ganz großen Regisseure an und besetzten ihn in zumeist kleinen, aber besonderen Nebenrollen für Großproduktionen wie »Lincoln« oder »Hugo«. Für Stuhlbarg bedeutete das zwar gewissermaßen einen Rückschritt von seiner unverhofften Position als Hauptdarsteller; ein Rückschritt, der ihm nach eigener Aussage aber durchaus willkommen war: Als Hollywood-Außenseiter, der erst mit über vierzig Jahren plötzlich ins Zentrum der Filmwelt gelangt war, erschien es ihm wichtig, seine Meriten nun mit bescheidenen, aber denkwürdigen Auftritten zu verdienen – so etwa in Woody Allens »Blue Jasmine«, in dem er einen übergriffigen Zahnarzt verkörperte. Dass Stuhlbarg in einem Woody-Allen-Film auftauchte, erscheint nach »A Serious Man« ohnehin nur folgerichtig, erinnert die Figur Larry Gopnik doch beizeiten an Allens frühe Großtaten – ein »Vorstadtneurotiker« gewissermaßen.
Der mehr als unangenehme Charakter, den er in »Blue Jasmine« verkörperte, ist allerdings eher eine Ausnahme in seinem Werk; ganz im Sinne seiner Durchbruchsrolle ist Stuhlbarg immer dann am besten, wenn er als moralischer Mensch in einer tief ungerechten Welt besetzt wird. Er bringt eine schwer greifbare, aber permanent durchscheinende Güte in seine Rollen ein; seine angenehme Singsang-Stimme, seine offene Körpersprache machten selbst noch den strengen CIA-Agenten in Denis Villeneuves Science-Fiction-Parabel »Arrival« zu einer nachvollziehbaren Figur, die in anderen Händen als bloße Chiffre für staatliche Autorität erschienen wäre. In der HBO-Serie »Boardwalk Empire« verlieh er auf diese Weise sogar dem eiskalten Gangster Arnold Rothstein Tiefe und Charme.
Im letzten Jahr folgten dann seine zwei bisher besten Rollen seit »A Serious Man«, die beide auf dieser Ausstrahlung nahbarer Menschlichkeit beruhen. Beide Werke sind Teil eines bemerkenswerten Triples: Stuhlbarg ist in ganzen drei Filmen vertreten, die in diesem Jahr für den Oscar als »Bester Film« nominiert sind – Spielbergs »Die Verlegerin«, Del Toros »Shape of Water« und Luca Guadagninos »Call Me by Your Name«; zweifellos ist diese Häufung nicht nur reiner Zufall, sondern Beleg für sein mittlerweile beachtliches Standing in Hollywood. Besonders Del Toro und Guadagnino setzen ihn perfekt ein. In »Shape of Water« schlüpft Stuhlbarg in die Rolle eines Wissenschaftlers, der an der Gefangennahme und Untersuchung des magischen Wasserwesens beteiligt ist, das im Zentrum des Films steht. Im Verlauf der Story aber baut ihn Regisseur und Autor Del Toro als einen moralischen Gegenpol zu Michael Shannons abstoßendem Bösewicht Strickland auf. Gemeinsam mit der Protagonistin Elisa (Sally Hawkins) verhilft er dem mythischen Wesen zur Flucht aus dem Labor, ist er doch seelisch nicht dazu in der Lage, die Folter und drohende Tötung dieses Naturwunders hinzunehmen. Am Ende zahlt er für seine späte Bekehrung dennoch einen hohen Preis.
Die bislang beste Szene seiner Karriere aber bescheren ihm Guadagnino und Drehbuchautor James Ivory in »Call Me By Your Name«. Stuhlbarg spielt den Geschichtsprofessor Perlman, den Vater des jungen Protagonisten Elio (Thimothée Chalamet). Dieser ist nach dem Ende der Sommerromanze mit einem Studenten seines Vaters am Boden zerstört. Die Rede, die Stuhlbarg seinem Filmsohn in einer der finalen Szenen hält, macht Guadagninos Film zu einem künftigen Klassiker. »Ich hatte Glück, dass Luca den Film chronologisch drehte«, erklärt Stuhlbarg in einem Interview, »so konnte ich mit dem Charakter über eine lange Zeit leben und bei dieser Rede aus der Erfahrung der vergangenen Wochen schöpfen.« Die tröstenden Worte, die Perlman für Elio findet, sind von solch bestechender Ehrlichkeit und zugleich solcher Wärme und Zuneigung, dass sie ganze Kinosäle zum Weinen bringen – ohne dabei typischem Hollywood-Kitsch zu entsprechen. Wieder geht es darin um das Hadern mit der Grausamkeit und der Willkür des Schicksals: »Die Welt hat gerissene Wege, um unseren schwächsten Punkt zu treffen, wenn wir es am wenigsten erwarten. Aber denk daran: Ich bin für dich da.« James Ivory mag diese Worte geschrieben haben – niemand könnte sie besser interpretieren als Michael Stuhlbarg.
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