Nahaufnahme von Kieran Culkin
»A Real Pain« (2024). © Searchlight Pictures
Mit der Rolle des Roman Roy in »Succession« holte Kieran Culkin nach Jahrzehnten vor der Kamera seine ersten großen Preise – die könnte es nun auch für seinen neuen Film »A Real Pain« geben. Die große Prominenz und Aufmerksamkeit aber scheut der Schauspieler
Nervös und launisch, charmant und grausam, geistreich und gerissen, dreist und unsicher. Die Adjektive, mit denen Roman Roy, der jüngste Spross der Medienmogul-Familie im Zentrum der Serie »Succession«, in den Medien beschrieben wurde, sind vielfältig und nicht selten widersprüchlich. Dass nicht trotz, sondern gerade wegen dieser vielen sich immer wieder selbst im Weg stehenden Facetten aus dem verzogenen Junggesellen eine der spannendsten Serienfiguren der zurückliegenden Jahre wurde, verdankte sich dabei nicht zuletzt Kieran Culkin. Der Schauspieler verschrieb sich seiner Rolle in ihrer ganzen ungestüm-hibbeligen Energie – und wurde damit, nach Jahrzehnten vor der Kamera, endgültig zum mit Preisen wie dem Emmy und dem Golden Globe ausgezeichneten Star.
Seine erste Rolle seit »Succession« spielt der 1982 geborene New Yorker nun in »A Real Pain«, der zweiten Regiearbeit von Jesse Eisenberg. Eisenberg ist darin als Protagonist David – Typ: unsicher, schüchtern, penibel und bloß nichts falsch machen wollend – zu sehen, während Culkin seinen Cousin Benji verkörpert. Sie reisen nach dem Tod ihrer Großmutter nach Polen, um mit einer geführten Reisegruppe nicht nur das Konzentrations- und Vernichtungslager Lublin-Majdanek zu besuchen, sondern nebenbei auch auf den Spuren ihrer Familiengeschichte zu wandeln. Nur dass die beiden gar nicht wirklich miteinander können. Ich liebe ihn und ich hasse ihn, ich möchte ihn umbringen und ich möchte er sein – so beschreibt David den offensiv anstrengenden Benji einmal. Und dass man als Zuschauer*in sofort weiß, wie er das meint, liegt einmal mehr an Culkin.
Eine Weile lang sitzt man in »A Real Pain« noch dem Irrglauben auf, Benji sei eine Art Wiedergänger von Roman Roy, nur mit deutlich niedrigerem Kontostand. Auch ihm verleiht der Schauspieler eine spürbare Unruhe und eine Sprunghaftigkeit, die ihn in der einen Minute mit seinem Witz zum Alleinunterhalter der bunt zusammengewürfelten Touri-Truppe werden lässt und in der nächsten zu lautstarken Emotionsausbrüchen führt. »Das Überraschende und Spontane dieser Figur war der Grund dafür, warum ich sie spielen wollte«, sagte er kürzlich in einer virtuellen Pressekonferenz im Rahmen der Awards-Kampagne von »A Real Pain«. »Immer wenn man denkt, dass man verstanden hat, wie er tickt und sich als Nächstes verhalten wird, kommt es wieder anders.« Noch viel deutlicher als bei seinem »Succession«-Rüpel lässt Culkin hier zusehends die tief sitzende Verzweiflung durchschimmern, die dem überschwänglichen Chaoten Benji innewohnt. »Er weiß nicht, wie er seine Gefühle verbergen kann, im Guten wie im Schlechten«, fasst er es selbst zusammen. »Aber vor allem hatte ich den Eindruck, dass er noch gar nicht genau weiß, wo er im Leben eigentlich hingehört.«
Dass Eisenberg sich für Culkin als Benji entschied, hatte mit »Succession« allerdings gar nichts zu tun, denn als notorischer Nichtfernsehgucker war er mit der Serie nicht wirklich vertraut. Seine Schwester habe beim Lesen des Drehbuchs die Idee gehabt, ließ der Regisseur neulich wissen, und Erinnerungen an ein paar gemeinsame Begegnungen mit dem Kollegen schienen ihr recht zu geben: »Ich hatte ihn immer als sehr charmant, witzig und selbstbewusst erlebt, aber auch mit einem Anflug von Traurigkeit. Das passte also bestens!« Dass Culkin sich in den Jahren als Roman Roy eine sehr spontane und freie, von wenig Vorbereitung geprägte und manchmal Drehbuchanweisungen bewusst ignorierende Arbeitsweise zugelegt hatte, verlangte Eisenberg eine ganz neue Flexibilität vor und hinter der Kamera ab. Für die Darstellung des Benji und den Film erweist sie sich allerdings als Segen. Nicht ohne Grund bescherte die Rolle dem 42-Jährigen unter anderem schon den Preis der New Yorker Filmkritik und eine Nominierung für den Independent Spirit Award.
Bereits vor Drehbeginn verlangte Culkin seinem Regisseur und Filmcousin einiges an Geduld ab. Erst nach langem Zögern ließ er sich – trotz Gefallens am Skript – dazu hinreißen, so kurz nach der letzten »Succession«-Klappe überhaupt schon wieder eine Rolle anzunehmen. Als dann der Dreh noch einmal ein wenig nach hinten verschoben werden musste, sagte Culkin sogar wieder ab; zu sehr widerstrebte ihm die Vorstellung, mehrere Wochen seine Ehefrau Jazz, mit der er seit 2013 verheiratet ist, und die beiden gemeinsamen Kinder allein zu lassen. Erst Emma Stone, die zu den Produzent*innen des Films gehört und nach dem gemeinsamen Film »Paper Man – Zeit erwachsen zu werden« eine Weile seine Freundin war, konnte ihn umstimmen.
Neben dem starken Familiensinn ist es allerdings auch eine ganz allgemeine Abneigung gegen Prominenz und öffentliche Aufmerksamkeit, die Culkin immer wieder dazu bringt, sich zurückzuziehen. Vermutlich kein Wunder bei jemandem, der schon als Achtjähriger aus nächster Nähe mitansehen durfte, wie sein nur zwei Jahre älterer Bruder Macaulay mit »Kevin – Allein zu Haus« (in dem auch Kieran eine kleine Rolle hatte) einen Weltruhm erlangte, an dem unter anderem auf unschöne Weise die Ehe der Eltern zerbrach.
Der erste Durchbruch – nach etlichen Jahren als Kinder- und Jugenddarsteller nicht nur neben seinem Bruder, sondern auch in Filmen wie »Vater der Braut«, »The Mighty« oder »Eine wie keine« – gelang ihm als rebellischer Teenager in der tragikomischen Coming-of-Age-Geschichte »Igby«, die Culkin einen Critics Choice Award und eine erste Golden-Globe-Nominierung einbrachte. Statt darauf aufbauend intensiv an seiner Hollywoodkarriere zu arbeiten, verbringt er seine Zeit lieber in Bars in Greenwich Village und vor allem der Off-Broadway-Theaterszene. Bis heute kann man die Zahl seiner Kinofilme seit »Igby« an zwei Händen abzählen, darunter Edgar Wrights »Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt«, »Margaret« von Kenneth Lonergan oder Steven Soderberghs »No Sudden Move«.
Das Theater ist auch jetzt wieder Culkins bevorzugter Kompromiss im Spannungsfeld zwischen Freude an der Arbeit und möglichst viel Zeit mit der Familie. Seit »A Real Pain« im Kasten ist, stand er noch nicht wieder vor der Kamera. Dass er aufgrund zahlloser Award-Season-Termine in Los Angeles den ersten Elternabend der frisch eingeschulten Tochter verpasst hat, ist schlimm genug, wie er kürzlich der »New York Times« verriet. Aber für das Frühjahr 2025 ist das nächste Broadway-Engagement geplant (sein erstes seit über zehn Jahren), wo er neben Bob Odenkirk und Bill Burr in einem Revival von David Mamets »Glengarry Glen Ross« auf der Bühne stehen wird. Gut möglich, dass er sich bis dahin sogar als Oscargewinner wird feiern lassen können. Auch wenn er selbst darauf mutmaßlich gar nicht allzu großen Wert legt.
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