Nahaufnahme von Jessie Buckley
Jessie Buckley in »Wild Rose« (2018). © Entertainment One
Sie hat Rebellinnen und Outsider gespielt – und einmal sogar die Queen Victoria. Nun wirkt die irische Schauspielerin Jessie Buckley in der vierten Staffel der Serie »Fargo« mit, die in den nächsten Wochen anlaufen wird
Im vielleicht letzten globalen Blockbuster vor Einbruch der Corona-Krise – »Die fantastische Reise des Dr. Doolittle« – spielte die irische Schauspielerin Jessie Buckley niemand Geringeren als Queen Victoria. Buckley, die als Regentin dem tollpatschigen Doktor Doolittle (Robert Downey Jr.) den Auftrag erteilt, das Heilmittel für ihre mysteriöse Krankheit zu finden, ist ein wohltuendes Gegenmittel zur schrillen Albernheit des Films. Die Besetzung war dennoch ungewöhnlich, glänzte Buckley bislang doch vor allem in Rollen, in denen sie entweder als Rebellin auftrat, oder mit großer Empathie der working class ein charismatisches Gesicht verlieh. Selbst diese königliche Figur aber spielte sie gekonnt mit der für sie typischen spitzbübischen Würde.
Jessie Buckley fiel dem britischen Publikum zum ersten Mal in der TV-Sendung »I'd Do Anything« auf. Der Titel lässt schlimme Assoziationen zu dschungelcampartigen Ekelprüfungen aufkommen, tatsächlich aber handelte es sich um eine Talentshow, in der Musicallegende Andrew Lloyd Webber eine der Hauptrollen für die aktuelle Inszenierung des Musicals »Oliver!« castete. Passenderweise sprach sie für die Rolle der toughen Nancy aus dem Londoner East End vor. Schaut man sich Ausschnitte der Show an, ist es kaum zu glauben, dass Buckley sich mit dem zweiten Platz begnügen musste: Allein ihre inbrünstige Darbietung des Songs »As Long As He Needs Me« verpasst einem die sprichwörtliche Gänsehaut. Sie habe den »heiligen Funken«, der Stars auszeichne, urteilte Webber. »Ich bin eher raubeinig«, antwortete die Irin.
Rückblickend kann man es als Segen für die Filmwelt betrachten, dass Buckley ihr Glück nicht dauerhaft im Musicaluniversum fand. Schon lange gab es keine Schauspielerin mehr, die ihre Mimik so meisterhaft beherrscht wie Buckley. Wie sie mit einem minimalen Verziehen der Mundwinkel einer Szene eine gänzlich andere Drehung geben kann, ist ungemein charmant und kommt auf der Leinwand zweifellos besser zur Geltung als auf einer Theaterbühne – obschon sie als Absolventin der Royal Academy of Dramatic Art auch dort daheim ist. Diese Fähigkeit, gepaart mit ihrem immensen gesanglichen Talent, demonstrierte sie vor allem in ihrer bisher größten Hauptrolle, dem sympathischen Musikdrama »Wild Rose«. Hier spielt sie die frisch aus dem Gefängnis entlassene schottische Countrysängerin Rose-Lynn, deren größter Traum der internationale Durchbruch in Nashville ist.
Von einer Arbeitersiedlung in Glasgow aus scheint das allerdings zunächst unerreichbar, zudem Rose-Lynn sich als alleinerziehende Mutter um ihre zwei kleinen Kinder kümmern muss. Der Film folgt der resoluten Protagonistin auf ihrer Suche nach dem musikalischen Glück und gibt Buckley dabei auch ausreichend Gelegenheit, ihr Gesangstalent unter Beweis zu stellen. Besonders der für den Film komponierte Song »Glasgow« ist ein fabelhafter Countryohrwurm, den Buckley in Talkshows und bei Preisverleihungen auch live zum Besten gegeben hat. Mit »Wild Rose« hat sich die Schauspielerin zweifellos als Leading Lady qualifiziert.
Vor diesem fulminanten Durchbruch war sie bereits prominent in einem hierzulande erst kürzlich auf DVD erschienenen Indie-Horror-Geheimtipp vertreten: »Beast« ist auf der kleinen britischen Kanalinsel Jersey angesiedelt und besetzt Buckley als Moll, älteste Tochter einer streng religiösen Familie. Moll versucht schon länger, aus dem beengenden Familienkosmos auszubrechen, was ihr schließlich gelingt, als sie den rebellischen Außenseiter Pascal (Johnny Flynn) kennenlernt und mit ihm eine wilde Affäre beginnt. Aber um Pascal rankt sich ein Rätsel: Hat er mit der Mordserie zu tun, die die kleine Insel erschüttert?
»Beast« gab Jessie Buckley die Möglichkeit, eine düstere Seite auszutesten, die man der in Interviews stets so fröhlich wirkenden Schauspielerin nicht unbedingt zugetraut hätte. Die extremen Wandlungen, die ihre Figur Moll in diesem effektiven Thriller durchläuft, empfahlen sie womöglich auch für die emotional intensivste Rolle ihrer bisherigen Karriere, die sie endlich auch einem internationalen Publikum bekannt machen sollte. In der HBO-Serie »Chernobyl«, die mit Mitteln des Horror- und Katastrophenfilms die Tragödie in dem sowjetischen Kernkraftwerk nachzeichnet, ist Buckley so etwas wie der emotionale Anker inmitten des Schreckens.
Ihre Figur Lyudmilla steht exemplarisch für die schutzlos ausgelieferte Zivilbevölkerung, deren Leiden hätte verhindert werden können: Als hochschwangere Frau eines Feuerwehrmanns, der ohne Schutzkleidung zum brennenden Reaktor geschickt wird, verliert sie zuerst ihren Ehemann an die Strahlenkrankheit, dann ihr neugeborenes Kind. Buckley selbst bezeichnete die extremen Emotionen, die ihr die Rolle abverlangten, als »eine besondere Art von Trauer. Es gab schließlich keinen Präzedenzfall für den Verlust eines geliebten Menschen in einem Reaktorunglück«.
Auch ihre aktuellste Rolle führt sie in die Welt der Hochglanzserien: In der neuen Staffel der Kultkrimiserie »Fargo«, die diesmal zurück in die 1950er Jahre blickt, spielt sie die kokainsüchtige Krankenschwester Oraetta. Die Ausstrahlung wurde aufgrund der Corona-Krise leider auf unbestimmte Zeit verschoben. Erste Bilder, die Buckley mit ihrem unverkennbar schiefen Grinsen zeigen, lassen allerdings bereit Gutes erwarten.
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