Nahaufnahme von Jesper Christensen
© X-Verleih
Sein Hollywooddebüt erlebte Jesper Christensen erst mit 57 Jahren, aber seither taucht der dänische Schauspieler nicht nur in Bond-Filmen immer wieder an strategischen Stellen auf. Nun auch in Wolfgang Beckers »Ich und Kaminski«
Beim Porträtieren eines dänischen Schauspielers ist es eher selten erforderlich, Spoilerwarnungen auszusprechen. Gewiss, auch in einigen Filmen mit Mads Mikkelsen gibt es überraschende Wendungen, die nicht verraten werden wollen. Sein Landsmann Jesper Christensen jedoch taucht noch häufiger als Mikkelsen an den neuralgischen Punkten der Intrigen auf, um sogleich über den weiteren Verlauf der Handlung zu bestimmen. Obwohl er in internationalen Großproduktionen meist Nebenrollen spielt, ist es seine Spezialität geworden, als Agent eines bösen Schicksals zu fungieren.
Falls Sie »Die Dolmetscherin«, »Casino Royale«, »Ein Quantum Trost« und »Eine offene Rechnung« noch nicht gesehen haben, sollten sie den folgenden Absatz überspringen. In »Die Dolmetscherin« treibt er als Sicherheitschef eines afrikanischen Diktators ein kaltblütiges Doppelspiel. In Daniel Craigs erstem Bond-Film liquidiert er dessen Gegenspieler Le Chiffre (Mikkelsen), weil die Geheimorganisation, für die sie beide arbeiten, diesem nicht mehr traut. Christensens Figur Mr. White steckt auch hinter dem Attentat auf Vesper Lynd, deren letzte Nachricht Bond auf seine Spur führt. Am Ende von »Casino Royale« scheint er ein Totgeweihter. Aber auch in der Fortsetzung »Ein Quantum Trost« kann er sich aus den Fängen des britischen Geheimdienstes befreien. Siegessicher spottet er über die Aussicht, gefoltert zu werden. Die Zähigkeit dieses nicht mehr ganz jungen Mannes ist erstaunlich: Er entkommt, obwohl Bond ihm ins Bein geschossen hat. In »Spectre« wird er wieder auftauchen und erneut bestätigen, wie gefährlich es ist, diesen Mann zu unterschätzen. Der Angelpunkt der Intrige von »Eine offene Rechnung« ist der Umstand, dass Christensen in der Rolle eines KZ-Arztes einem Mossad-Kommando entkommt, dessen Angehörige fortan über das Scheitern der Mission lügen und ihm Jahrzehnte später wieder begegnen. Unter anderen Vorzeichen spielt er auch in Wolfgang Beckers »Ich und Kaminski« eine Figur, mit deren Ableben kalkuliert wird: Ein ehrgeiziger Kunstkritiker will mit der Biografie des von ihm verkörperten Künstlers nach dessen Tod berühmt werden.
Christensens Rollen in Actionfilmen handeln von der Beharrlichkeit des Bösen. Das war schon 1996 in der Mankell-Verfilmung »Die weiße Löwin« so, wo er einen brutalen Ex-KGB-Agenten spielt. Der Schauspieler verkörpert das ungelöste Rätsel, die Wiederkehr des verdrängten, bedrohlichen Rests. Sein markantes Habichtsgesicht, durch das sich tiefe Furchen ziehen, disponieren ihn für Figuren, an deren Autorität und Entschlossenheit kein Zweifel besteht. Diese Aura einer Unergründlichkeit, der alles zuzutrauen ist, vermag er ohne viele Worte herzustellen. Nicole Kidman erschrickt in »Die Dolmetscherin« bei seinem Anblick, den sie nur für einen Sekundenbruchteil erhascht.
Die Karriere des 1948 in Kopenhagen geborenen Schauspielers war von Anfang an international. Zum zweiten Mal stand er 1975 vor der Kamera in Eberhard Fechners Verfilmung von Walter Kempowskis Familiensaga »Tadellöser & Wolff«; in der Fortsetzung »Ein Kapitel für sich« war seine Rolle des schwedischen Freundes der Familie tragender. Aber wirklich jung hat ihn das Publikum außerhalb Dänemarks praktisch nie kennengelernt. Wir dürfen uns ihn als eine schneidige Erscheinung vorstellen; seine verwitterte Schönheit legt das nahe. Seine großen Triumphe feierte er vor allem auf der Bühne, und das dänische Kino gewann erst mit der Dogma-Bewegung wieder größere, weltweite Ausstrahlung. Nach seinen Auftritten in »Italienisch für Anfänger« und Per Flys Gesellschaftstrilogie (»Die Bank«, »Das Erbe« und »Totschlag«) nahm das internationale Publikum verstärkt von ihm Notiz. Sein Hollywooddebüt feierte er 2005 unter der Regie von Sydney Pollack in »Die Dolmetscherin«.
Christensen beglaubigt den Aphorismus Stanislawskis, es gebe keine kleinen Rollen, nur kleine Schauspieler. Seine Nebenfiguren in dänischen Filmen (die übrigens auch oft von der Globalisierung erzählen) besitzen einen anderen Zuschnitt als seine internationalen Engagements. Aber auch sie stattet er zuverlässig mit einem Charisma aus, das sich bereits im Ungesagten erfüllen kann, etwa als skeptischer, aber loyaler Bankdirektor in »Das Erbe« oder als treu ergebener Majordomus in Lars von Triers »Melancholia«. Diesen kurzen Auftritten verleiht er ein Flair gewährender Strenge, den Hauch eines reichen, diszipliniert verborgenen Innenlebens. Seine Figuren bewegen sich an den Rändern dessen, was als Hauptmotiv seiner dänischen Filme insgesamt aufscheint: der schwierige Zusammenhalt von Familien und Gemeinschaften.
In »Kleine Missgeschicke«, Annette K. Olesens Komödie über eine trauernde Familie, die nicht traurig sein will, spielt er einen noch immer leichtlebigen Mann, dessen müßiggängerisches Frührentnerdasein aus der Bahn gerät, als ihm seine Frau eine Affäre gesteht. Er durchläuft alle Phasen der Kränkung und Wut, aber Christensens sonst meist grimmige Gesichtszüge vermögen sich in einer Weise aufzulockern und zu entspannen, dass man dem Ende der Krise gelassen entgegenblicken darf. Dieser heitere Tonfall bestimmt zunächst auch seine größte Rolle, die des Chefs einer traditionsreichen Bäckerei in »Eine Familie«. Souverän vermählt er in ihr Gegensätze wie Handwerkerstolz, protestantischen Geschäftssinn und die Gabe, das Leben zu genießen. Eingangs ist er von einem Krebs genesen, erkrankt dann aber erneut an einen Gehirntumor. Die unheilbare Krankheit verwandelt ihn in einen hartherzigen Patriarchen, dessen Stolz die Beziehungen zu seiner Patchworkfamilie vergiften könnte. Christensen legt in seinem letzten Aufbäumen ungekannte, aber nie tröstliche Nuancen frei. Es ist erschütternd, seinem Siechtum zuzuschauen. Seine Zähigkeit nützt ihm dieses eine Mal nicht.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns