Interview mit Wolfgang Becker über seinen Film »Ich und Kaminski«
»Wolfgang Becker«
Wolfgang Becker studierte an der dffb in Berlin und sammelte dort als Kamerassistent unter anderem bei Michael Ballhaus erste Erfahrungen. Sein einstündiger Abschlussfilm »Schmetterlinge« (1988) brachte dem Westfalen einige prominente Nachwuchspreise ein, und nach einigen Fernsehproduktionen (etwa einem gefeierten »Tatort«) folgte mit »Das Leben ist eine Baustelle« (1997) das Debüt auf dem Roten Teppich der Berlinale. 2003 gelang ihm dann mit der melancholischen Wendesatire »Good Bye, Lenin!« das rare Kunststück eines Publikumshits, der gleichzeitig mit neun Deutschen Filmpreisen ausgezeichnet wurde und dazu noch großen internationalen Erfolg hatte.
epd Film: Ihr letzter Film Good Bye, Lenin! war ein Riesenerfolg. Das war vor zwölf Jahren. Warum mussten wir so lange auf einen neuen Wolfgang-Becker-Film warten?
Wolfgang Becker: Ich beschäftige mich ja nicht nur mit Film. Sicher würde ich gern häufiger drehen, aber in Ermangelung geeigneter Drehbücher warte ich lieber, bis ich ein Skript in der Hand habe, das sich für mich richtig anfühlt. Viele Regisseure drehen – um die Zeit zu füllen, in der Übung zu bleiben und Geld zu verdienen – zwischen ihren Hauptwerken immer wieder Filme, hinter denen sie möglicherweise nicht so ganz stehen. Ich versuche stets, Filme zu finden, die ich hundertprozentig vertreten kann, weil mir sonst auch die Luft ausgehen würde.
Warum waren Sie bei Daniel Kehlmanns Roman »Ich und Kaminski« sicher, dass das Ihr Stoff ist?
Der Roman hat mir von der Thematik, der Erzählweise, vom Humor her sehr gut gefallen. Ich habe den Stoff allerdings unterschätzt, als ich dachte, er sei leicht für die Leinwand zu adaptieren. Auch was die Finanzierbarkeit anbetrifft, die sich dann auch als schwierig entpuppte. Der Roman kommt so harmlos daher, aber er steckt voller dramaturgischer Tücken und ist allein schon durch die vielen Figuren und Drehorte in verschiedenen Ländern viel teurer, als man beim Lesen vermutet. Und der Film ist historisch. Auch wenn er »nur« in den 90ern spielt, muss man, was die Ausstattung anbetrifft, wie an einen historischen Film herangehen. Kehlmann musste kein einziges Bild malen und konnte einfach behaupten, dass Kaminski ein Künstler von Weltrang ist. Im Film muss man die Bilder jedoch zeigen, und die kann man nicht kurz mal von einem Requisitenmaler anfertigen lassen. Ich musste einen Künstler finden, der ein Lebenswerk in Ausschnitten überzeugend malen konnte. Das macht man nicht in drei Monaten. Die Kunstproduktion ist daher schon parallel zum Drehbuchschreiben gelaufen und hat viel, viel Zeit in Anspruch genommen.
Der Roman operiert mit einem unsympathischen Ich-Erzähler. Wie übersetzt man so eine Figur auf die Leinwand, wo das Kino stärker als die Literatur mit Identifikation arbeitet?
Wir schauen anders Filme, als wir Bücher lesen. In einem Roman kann eine Hauptfigur wie die von Sebastian viel krasser gezeichnet sein, weil wir als Leser den Grad der Vermessenheit, der Arroganz und Selbstüberschätzung mit Hilfe unserer Fantasie selbst nachjustieren. Wir können uns die Figur so vorstellen, dass sie für uns erträglich ist. Auf der Kinoleinwand bekommt die Figur zwangsläufig eine Objektivierung. Wir sehen ganz konkret, wie unverschämt dieser Sebastian ist. Im Film ist die Gefahr viel größer, dass eine Figur denunziert wird und die Zuschauer den Kontakt zu ihr verlieren. Im Film folgen wir einem Kotzbrocken, weil wir an ihm auch Seiten von uns wiedererkennen, weil er sich was traut, was wir uns insgeheim auch gern trauen würden. Aber das geht eben nur, wenn der Film auch Empathie für die Figur entwickelt.
»Ich und Kaminski« ist auch ein Film über das Alter, das Sie ungeschönt und auf eine sehr körperliche Weise zeigen...
Kehlmann, der ja noch recht jung war, als er den Roman schrieb, thematisiert das Alter mit erstaunlich weisen und einfühlsamen Sätzen – ganz ohne Larmoyanz und Mitleid. Das Alter wird hier als ein Wechsel des Aggregatzustandes beschrieben. Zwar ist man im Alter noch da, wird aber mehr und mehr unsichtbar, hört auf, in der Wahrnehmung der Jüngeren zu existieren. Wie ein Phantom. Wenn solche Sätze von dem großartigen Jacques Herlin gesprochen werden, der mit seinen 86 Jahren genau wusste, wovon er redete, verfehlt das nicht seine Wirkung. Es ist auch kein Zufall, dass ich Jürgen Jürges als Kameramann angefragt habe. Er wusste mit seiner Alterserfahrung genau, worauf es ankommt, alte Menschen ungeschönt, aber würdevoll ins Bild zu setzen.
Daran schließt sich ein weiteres zentrales Thema des Films an: die Vergänglichkeit des Menschen und sein Bestreben, zumindest in der Kunst Unvergänglichkeit zu erreichen...
Die Frage »Was bleibt von mir übrig, wenn ich nicht mehr bin?« beschäftigt jeden Menschen früher oder später. Die meisten begnügen sich damit, dass sie Kinder in die Welt setzen. Und ich finde, ein Kind großzuziehen, ist eine ebenso große Lebensleistung, wie ein Meisterwerk zu malen. Das wird im Film ja auch thematisiert.
Haben Sie mit »Good Bye, Lenin!« ein Stück Unvergänglichkeit erreicht?
Zumindest werde ich immer noch mit dem Film in Verbindung gebracht, ob ich nun will oder nicht. Aber eine nachträgliche Befriedigung ist der große Erfolg auf jeden Fall. Der Film hat Millionen Menschen auf der ganzen Welt erfreut. Und ich wurde für etwas belohnt, für das ich hart gearbeitet habe.
Kommentare
Wolfgang Becker & das Savoir Vivre
Endlich wieder ein Film von Wolfgang Becker! Aber mich würde die rein ökonomische Frage interessieren, womit jemand, der im Schnitt alle 9 Jahre einen Spielfilm dreht, überlebt. Wovon lebt WB und woher nimmt er dann die Energie für ein neues Projekt? Wie auch immer - freue mich, das neue Werk (und Jürgen Jürges Arbeit!! - der hat doch auch ewig nicht gedreht, oder?) im Kino zu sehen!
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