Nahaufnahme von David Strathairn
David Strathairn mit Frances McDormand in »Nomadland« (2020). © Walt Disney
Als Moderator mit Moral in George Clooneys »Good Night, and Good Luck.«. wurde er richtig prominent. Typisch für David Strathairn sind aber prägnante Ensemble- und Nebenrollen. Wie jetzt in »Nomadland« als Freund von Frances McDormand
Wenn Fernsehjournalist Edward R. Murrow in »Good Night, and Good Luck.« (2005) vor der Kamera einen kritischen Kommentar zu Senator Joseph McCarthys »Komitee für unamerikanische Umtriebe« einspricht, hält er das vielleicht beeindruckendste filmische Plädoyer zur Verteidigung des common sense seit Atticus Finch im Antirassismusklassiker »Wer die Nachtigall stört« (1962). Nie war David Strathairn – Murrow – von gregorypeckhafterer Würde als in dieser langen, ungeschnittenen Rede, in der hinter seinen einfachen, doch wohlgesetzten Worten und der gesammelten Mimik rechtschaffene Empörung brodelt. Versuchte Peck als Atticus Finch, weiße Geschworene davon abzubringen, einen offensichtlich unschuldigen Angeklagten über die Klinge springen zu lassen, so entlarvt Strathairn als Murrow, wie schändlich McCarthys Hexenjagd auf kommunistische Spione gegen Gesetz und schlichte Redlichkeit verstößt. Eine Anklage ist kein Beweis: Der Satz aus Murrays mutigem Kommentar von 1954 klingelt in den Ohren. Neben der prophetischen Aktualität seines schwarz-weißen Kammerspiels spricht es außerdem für Regisseur George Clooney, dass er, vielleicht aus seinem Instinkt als Schauspieler heraus, einem gut abgehangenen Nebendarsteller wie Strathairn den Vortritt lässt und ihn als Wiedergänger des legendären Nachrichtenmoderators zum Hauptdarsteller macht. Für diese Paraderolle bekam Strathairn seine bis jetzt einzige Oscarnominierung.
Der echte Murrow war mit seinen erschütternden Fronterfahrungen, darunter als erster Reporter im KZ Buchenwald, in gewisser Weise ein Getriebener und Außenseiter unter seinen Fernsehkollegen. Dieser Hintergrund wird durch die grüblerische Melancholie in David Strathairns Darstellung großartig widergespiegelt. Sein Murrow ist ein altmodisch unprätentiöser und kantiger Held. Doch Charaktere jenseits der Norm sind für den Schauspieler das tägliche Brot. So ist er in vielen Filmen seines Repertoires – die IMDb verzeichnet einschließlich des neu anlaufenden Dramas »Nomadland« 63 Kinotitel, dazu etliche Fernseh- und Serienauftritte – für gewöhnlich Teil eines herausragenden Ensembles. Doch mit seiner Präsenz eines stillen Wassers mit rätselhaften Untiefen sticht er aus der tollsten Promiriege hervor.
Diese aparte Randständigkeit rührt vielleicht daher, dass Strathairn auch sein Kinodebüt mit einem Filmemacher von der Seitenlinie, John Sayles, feierte. Die beiden, die am selben College studierten und sich beim Theaterspielen kennenlernten, verbindet eine langjährige Arbeitsbeziehung. Der Independent-Regisseur wurde bereits mit seinem Debüt »Die Rückkehr nach Secaucus«, in dem eine Clique ehemaliger Aktivisten der Studentenbewegung nach zehn Jahren ein Wiedersehen feiert, zum Geheimtipp. Sein bitteres Porträt einer Generation, die nach der Aufbruchsstimmung der Sechziger unter Schmerzen von Utopien Abschied nimmt, gilt als Blaupause für Lawrence Kasdans Tragikomödie »Der große Frust« (1983).
Nach seiner ersten kleinen Ensemblerolle in »Die Rückkehr nach Secaucus« übernahm Strathairn im Zuge von Sayles' Aufstieg zum gefeierten Autorenfilmer immer größere Parts. Er war in sieben von Sayles' bis jetzt zwölf Regiearbeiten zu sehen. Im Arthouse-Erfolg »Passion Fish« (1992), einem Südstaaten- und Frauendrama, spielt Strathairn etwa einen Hinterwäldler mit Cajun-Charme. In »Acht Mann und ein Skandal« (1988), einem Sportdrama über einen historischen Korruptionsskandal im Chicago White Sox-Baseballteam, verkörpert er Eddie Chicotte, einen ausgebeuteten Starspieler, der sich unter Gewissensqualen zu einem Betrug verleiten lässt. Im Alaska-Drama »Wenn der Nebel sich lichtet – Limbo« (1999) glänzt Strathairn als Hilfsarbeiter mit tragischer Vergangenheit, der mit seiner neuen Flamme und deren Tochter auf einer Insel strandet. Eigentlich aber sind Sayles' Geschichten unerzählbar und passen in keine Schublade. Sayles, der leider seit Jahren verstummt ist, verwebt in seinen Filmen stimmungsvolle Zeit- und Gesellschaftspanoramen mit Porträts gewöhnlicher Menschen, die in einer Lebenskrise stecken.
Aus seinem Ensemble, das er über die Jahre versammelte, geriet nur Strathairn in die engere Wahl von Mainstream-Regisseuren, die Filme mit Mehrwert drehen wollten. So ist er als väterlicher Baseball-Manager in der beschwingten Komödie »Eine Klasse für sich« (1992) zu sehen, in der u. a. mit Madonna und Tom Hanks die Formierung einer weiblichen Baseball-Profiliga im Zweiten Weltkrieg geschildert wird. Anders als im fußballverrückten Deutschland wurde Penny Marshalls Sportlerinnenhommage, in der mit Witz die Sollbruchstellen eines Frauenlebens zur Geltung gebracht werden, in den USA ein Riesenerfolg und hat Kultstatus.
Von den Neunzigern an ist David Strathairn fast so etwas wie ein filmisches Gütesiegel für den »guten Film«. Die namhaftesten Regisseure wollten ihn im Team haben, und seine Kollegen bilden, von Anthony Hopkins bis Tom Cruise, von Daniel Day-Lewis bis Sigourney Weaver, ein Who's Who der damals angesagtesten Darstellern. Im Schaulaufen der Stars in der Shakespeare-Verfilmung »Ein Sommernachtstraum« (1999) hat er, als weiser Herzog Theseus, der die von Sophie Marceau gespielte Amazone Hippolyta heiraten will, eine Aufseherfunktion über die elfischen Liebeswirren.
Als – oft gebrochene – Respektsperson taucht er in großen und kleinen Filmdramen auf, in denen in aus heutiger Sicht staunenswerter Vielschichtigkeit unbequeme gesellschaftspolitische Themen aufs Tapet gebracht werden und die im besten Sinne progressiv sind. Als Beispiele seien etwa das Adoptionsdrama »Die andere Mutter« (1997) mit Halle Berry, die Tragikomödie »Simon Birch« (1998) nach einem Roman von John Irving und auch Steven Spielbergs großes Historiendrama »Lincoln« (2012) genannt, in dem David Strathairn den knorrigen Außenminister und Abolitionisten William E. Seward spielt.
Aufklärerischen Anspruch hatten einst sogar launige Heistmovies wie »Sneakers« (1992), in dem eine Bande von Computerhackern Sicherheitssysteme knackt und als Happy End mit einem »Code Breaker«-Chip Greenpeace und Amnesty International Megaspenden zuteilwerden lässt. Im glanzvollen Darstellerarsenal, darunter Robert Redford und Ben Kingsley, übernahm Strathairn die kleine, aber entscheidende Rolle eines blinden Audiofachmanns. Regisseur Curtis Hanson besetzte ihn im Actionthriller »Am wilden Fluss« (1994) mit Meryl Streep, wo er als Familienvater bei einer Wildwassertour in den Rocky Mountains von Ganoven attackiert und in seiner Gegenwehr als Vater und Ehemann rehabilitiert wird. In Hansons oscargekröntem Hollywoodkrimi »L. A. Confidential« (1997) ist Strathairn in einer ambivalenten Strippenzieherrolle als Geschäftsmann und Zuhälter zu sehen und entpuppt sich in seiner väterlichen Haltung gegenüber den als Filmstars zurechtgemachten Prostituierten fast als zu den Guten gehörig. Einen totalen Fiesling gibt er selten: etwa in der Steven-King-Verfilmung »Dolores« (1995) mit Kathy Bates, wo er als Trinker, Schläger und Vergewaltiger schließlich entsorgt wird. In komischen Rollen ist Strathairn, der in den Anfängen seiner Karriere eine Clownausbildung durchlief, nie zu sehen.
Dieser Star aus der zweiten Reihe hat sich, obwohl er zu den Menschen gehört, die im Alter immer attraktiver werden, in den letzten zehn Jahren auf der Leinwand generell rar gemacht. Was vielleicht auch daran liegt, dass das Angebot an zugkräftigen »Filmen für Erwachsene«, in denen es tatsächlich um etwas geht und für die Strathairn wie kaum ein anderer Charakterdarsteller steht, angesichts des Comicfilm-Booms rückläufig ist.
In »Nomadland« ist er, weißhaarig und zerzaust, wie gehabt ein Einzelgänger und love interest einer starken Frau. Das vom Hippiegeist durchzogene Low-Budget-Roadmovie ist für Strathairn, der seit 40 Jahren vor der Kamera steht, auch eine Rückkehr zu seinen Wurzeln: nicht nur in Bezug auf John Sayles, sondern auch zu jener Zeit, in der er als junger Schauspieler für seine Sommertheaterengagements durchs Land trampte. Sein Credo bleibt unverändert: »Ich möchte, so lange es noch geht, in guten Geschichten mitspielen.«
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns