Klimakiller Hollywood?
»The Day After Tomorrow« (2004). © 20th Century Fox
So wie in Roland Emmerichs »The Day After Tomorrow« könnte es schon bald bei uns aussehen. Auch die Filmindustrie müsste schleunigst ein bisschen grüner werden.Tim Lindemann über Umweltinitiativen in der Branche
Als der Bösewicht Thanos in Disneys Superheldenspektakel »Avengers: Infinity War« mit einem Fingerschnippen die Hälfte der Weltbevölkerung verschwinden lässt, tut er dies nach eigenem Verständnis zum Wohle der Menschheit: Weniger Erdbewohner heißt weniger Verschmutzung, weniger Kriege, weniger Ausbeutung und mehr Ressourcen für alle. Viele Filmkritiker haben diesen Plot als Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Klimakrise interpretiert: Thanos' grausamer Plan der Bevölkerungsreduzierung ist zwar die falsche Lösung, animiert die Zuschauer aber, sich mit der Alternative, nämlich gerechter und ökologischer Ressourcenverteilung, auseinanderzusetzen.
Solch vage ökologische Metaphern als Grundlage von populären Fantasyfilmen häufen sich in den letzten Jahren. Man mag sich der naiven Hoffnung hingeben, dass Konzerne wie Disney versuchen, ein »grünes Bewusstsein« unter ihren jungen Zuschauern zu schaffen – wahrscheinlicher ist aber, dass man bloß zynisch versucht, vom bereits vorhandenen Engagement der »Fridays for Future«-Generation zu profitieren, ohne sich explizit zu positionieren. Für Letzteres spricht vor allem, dass strengere Umweltgesetze der amerikanischen Filmindustrie schwer zusetzen würden – Hollywood ist einer der größten Klimasünder der Welt.
Laut einer Studie der University of California von 2006 – die einzige belastbare ihrer Art und daher bis heute viel zitiert – leistet Hollywood im Verhältnis einen größeren Beitrag zur Luftverschmutzung als die meisten Industriezweige, darunter die Luftfahrtindustrie, die Bekleidungsindustrie und das Hotelgewerbe. 15 Millionen Tonnen CO₂ produziere Hollywood pro Jahr, hieß es in dieser Untersuchung. Aus dieser Perspektive reiht sich der Schurke Thanos eher in typisch reaktionäre Karikaturen von Umweltaktivisten als gefährliche Fanatiker ein. Disney hat sich zwar ebenso wie andere Filmstudios öffentlich dazu verpflichtet, seinen CO₂-Ausstoß zu verringern; zweifellos aber haben die Firmen auch ein Interesse daran, dass die Frage nach dem konkreten ökologischen Fußabdruck eines ihrer Blockbuster gar nicht erst aufkommt.
Dieser Abdruck ist nämlich erheblich. Für solche Megafilme werden nicht nur gigantische Sets aus oft umweltschädlichen Materialien gebaut, die nach wenigen Monaten wieder abgerissen werden, es müssen auch unzählige Mitarbeiter zu oftmals weit verstreuten Schauplätzen auf der ganzen Welt hin und her geflogen werden. Und das zieht nur den Produktionsprozess in Betracht – der Kohlendioxidausstoß, der mit den weltweiten Marketing- und Presseaktionen einhergeht, kommt noch hinzu. Pro Film kommen laut der kalifornischen Studie etwa 500 Tonnen CO₂ zusammen, so viel wie die jährlichen Abgase von über 100 Autos. Bei Großproduktionen kann das aber auch auf über 4000 Tonnen pro Film ansteigen. Das bekannte Problem beim Aufzeigen solcher Zusammenhänge ist, dass sie unweigerlich abstrakt wirken. Was es etwa genau bedeutet, dass nach Angaben der britischen Filmorganisation BAFTA eine einzige Stunde Fernsehen, die im Vereinigten Königreich produziert wird, 13 Tonnen Kohlendioxid erzeugt, kann man als Laie schwer einschätzen. Zum Vergleich: Ein durchschnittlicher Amerikaner erzeugt eine solche Menge CO₂ in einem Jahr. Den Großteil dieses Verbrauchs machen laut »Albert«, der Nachhaltigkeitskommission der BAFTA, Flugreisen und der Verbrauch fossiler Brennstoffe aus.
Es gibt aber auch konkretere Beispiele für filmindustrielle Umweltzerstörung: Beim Dreh des Disney-Films »Pirates of the Caribbean: Salazars Rache« in Australien wurde angeblich tonnenweise Giftmüll ins Wasser abgelassen und so möglicherweise die örtliche Trinkwasserversorgung verseucht. Laut einem geleakten Umweltbericht zerstörte das Team des Actionfilms »Mad Max: Fury Road« beim Filmen in der Namibwüste geschützte Gebiete, die bedrohte Tierarten beherbergen. Eine der verheerendsten Produktionen dieses Jahrtausends war Danny Boyles »The Beach«, für den Berichten zufolge ganze Strände und Buchten per Bulldozer den Wünschen des Filmteams angepasst wurden. Blickt man weiter zurück, kommen Filme wie die für ihren rabiaten Umgang mit dem Regenwald bekannten »Apocalypse Now« und »Die Brücke am Kwai« ins Gedächtnis.
Was also tun? Angesichts eines explosionsartig wachsenden Bedarfs an ökologisch nachhaltigen Produkten nimmt es Wunder, dass sich das Label »Grüner Film« bisher nicht durchgesetzt hat. In anderen Branchen, berichtet die »Financial Times«, ist die Nachfrage nach ethischen Gütern und Dienstleistungen in den letzten zwei Jahrzehnten um das Zehnfache angestiegen. Biolebensmittel, nachhaltige Pflegeprodukte, umweltfreundliche Reisen und so weiter sind so populär wie nie – warum also besteht dieses Bedürfnis nach ethischem Konsum nicht beim Film? Ansätze sind durchaus vorhanden. In Deutschland hat sich 2017 beispielsweise der »Arbeitskreis Green Shooting« gegründet, der Vertreter großer Filmförderungen, Produktionsfirmen und Fernsehsender zusammenbringt, die gemeinsam an Strategien für nachhaltige Filme und Serien arbeiten.
Für 2021 hat man sich dazu verpflichtet, 100 ökologische Produktionen »nach einheitlichen Regeln herzustellen und anschließend gemeinsam wissenschaftlich auswerten zu lassen«, so die Pressemitteilung. Darunter finden sich populäre Serien wie »Gute Zeiten, Schlechte Zeiten« und »Polizeiruf 110«. Zu den Regeln, denen sich die Produzent:innen unterwerfen wollen, gehören etwa die Anstellung eines »Green Consultant«, also von Berater:innen, die speziell für die ökologische Nachhaltigkeit sorgen. Weitere Auflagen sind die Verwendung von Ökostrom, der Verzicht auf dieselbetriebene Generatoren, die weitestgehende Reduktion von Flugreisen und die Verwendung regionaler Zutaten beim Catering. Konkret hofft Carl Bergengruen, Vorsitzender der MFG Baden-Württemberg, die den Arbeitskreis ins Leben gerufen hat, den derzeitigen CO₂-Ausstoß der teilnehmenden Produktionen auf die Hälfte reduzieren zu können.
Schon seit 2012 gibt es den »Grünen Drehpass« der Filmförderung Hamburg-Schleswig-Holstein, der nachhaltigen Kriterien folgenden Produktionen verliehen wird – bisher etwa an einzelne »Tatort«-Folgen und die Serie »Babylon Berlin«. Ein solches Siegel wünscht sich der Arbeitskreis Green Shooting auch auf nationaler Ebene. Tatsächlich gab es schon konkrete Planungen, Vorgaben und sogar ein Logo. Laut einem Bericht der »Süddeutschen Zeitung« scheint es bei der Umsetzung jedoch an der Kooperation zwischen der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien Monika Grütters, dem Arbeitskreis und der Bundestagsfraktion der Grünen, die wiederum an einem eigenen Konzept arbeiten, zu hapern. Grütters gelang es im Zuge der Berlinale 2020 allerdings, Vertreter der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten und Abgesandte großer US-Firmen wie Disney und Netflix zusammenzubringen, die feierlich eine Absichtserklärung zu mehr Umweltschutz beim Filmdreh unterzeichneten.
Wie in allen Branchen besteht bei solchen Aktionen auch in der Filmindustrie die Gefahr des Greenwashings: die werbewirksame Verkündung hehrer ökologischer Ziele, der schließlich aber kaum Taten oder sogar gegenläufige Aktionen folgen. Aktuelles Beispiel ist etwa Jeff Bezos, reichster Mann der Welt und CEO von Amazon, der mit der Produktionsfirma Amazon Studios und seinem Streamingdienst Prime auch in der Filmwelt aktiv ist. Kurz nachdem Bezos seinen wohltätigen »Earth Fund« vorstellte, wurde bekannt, dass seine Firma eine Art privaten Geheimdienst betreibt, der Organisationen wie Extinction Rebellion, Greenpeace und Fridays for Future ausspioniert, die von Amazon als Bedrohung wahrgenommen werden. Andere Medienkonzerne brüsten sich mit üppigen Spenden und der Verwendung von holzfreiem Papier, benutzen für ihre Filmkulissen gleichzeitig aber das in der Filmindustrie gängige, besonders leichte Holz Lauan – bei dessen Gewinnung können für ein einziges Filmset bis zu 4000 Hektar Regenwald zerstört werden.
Die größte Chance, den Hauptverschmutzer Hollywood zur Einhaltung von umwelt- und klimafreundlichen Regeln zu bringen, sehen Green Consultants von Firmen wie Earth Angel, Greenshoot und Green Spark darin, den Filmstudios einen ökonomischen Nutzen zu versprechen – nämlich Geld zu sparen. Earth Angel hat an Filmen und Serien wie »The Post« und »The Marvelous Miss Maisel« mitgearbeitet und dort beispielsweise durch Einsparung von Plastikflaschen und anderem unnötigem Müll laut eigenen Angaben bis zu 8500 Tonnen CO₂ und 4800 Tonnen Abfall vermieden. Die Beraterfirmen bringen Filmproduktionen auch mit Herstellern ökologischer Alternativen zu gängigen Gebrauchsgegenständen am Set in Verbindung und übernehmen die Verteilung von übrig gebliebenen Kostümen und Requisiten an wohltätige Organisationen. Das geht aber noch längst nicht weit genug. Eine Vertreterin von Earth Angel sagte der Webseite Vice in einem Interview, sie wünsche sich von den US-Bundesstaaten Steuererleichterungen für Filmproduktionen, die sich zu umweltfreundlichen Standards verpflichten. Viele Filmstudios aber sträuben sich, solche direkten Aktionen überhaupt erst anzustreben: Die heikle Frage nach der Nachhaltigkeit von Hollywoodfilmen soll möglichst nicht ins öffentliche Bewusstsein dringen.
Immerhin: Der Green Production Guide, den alle großen Studios mitverantwortet haben, hilft Produktionsteams bei der Einhaltung grüner Standards. Immer wieder gibt es auch einzelne Blockbuster, die sich das ökologische Engagement besonders auf die Fahne schreiben. »Fifty Shades Freed«, der dritte Teil der beliebten Erotiksaga, erhielt 2016 den EMA Green Seal Award für beinahe vollständiges Recycling und Wiederverwertung von Sets und Kostümen – nicht gerade ein Effektfilm, aber immerhin. Ein grüner Vorreiter in Hollywood ist der deutsche Regisseur Roland Emmerich, der seine amerikanischen Kollegen nicht nur öffentlich ermutigt, mehr populäre Filme zum Thema Klimakrise zu entwickeln, sondern mit seinem Klimathriller »The Day After Tomorrow« auch als erster Blockbuster-Filmemacher den konkreten CO₂-Ausstoß des Films offenlegte. Zudem bezahlte er aus eigener Tasche 200 000 Dollar, mit denen durch das Pflanzen von Bäumen der Ausstoß des Films – um die 10 000 Tonnen CO₂ – ausgeglichen wurde. Insgesamt aber bleiben diese Anstrengungen verstreut und die Selbstverpflichtungen der großen Studios vage.7
Auch in Deutschland gibt es nun ein »Grünes Kinohandbuch«, das von der Filmförderungsanstalt FFA herausgegeben wird. Außerdem sollen Nachhaltigkeitskriterien in die Richtlinien der Filmförderung des Bundes übernommen werden. Im Sommer 2020 startete das Pilotprojekt für ein nationales Ökozertifikat, für das sich Produktionen bei der FFA bewerben können, wenn sie bestimmten Auflagen nachkommen – etwa Fahrgemeinschaften bilden und Mülltrennung betreiben. Zweifellos sind solche Initiativen begrüßenswert. Aber es stellt sich bei Detailaspekten wie etwa der Verwendung von energiesparenden LED-Lampen und dem Verzicht auf Einwegflaschen am Set die Frage: Sollte das nicht längst selbstverständlich sein?
Ein weiteres, bislang unangetastetes Problem ist die föderalistische Förderstruktur der Bundesrepublik, die Filmteams oft zum aufwendigen Herumreisen animiert. Denn erhält man einen Förderungsbeitrag aus einem Bundesland, muss man dort meist auch eine gewisse Anzahl von Drehtagen verbringen. »Im Zweifel wird eine ganze Crew durch halb Deutschland geschickt und das Drehbuch umgeschrieben, nur damit man diese Förderung bekommt«, erklärte Grünenpolitikerin Tabea Rößner der »Süddeutschen Zeitung«. Von all dem abgesehen muss wohl wie in allen anderen Branchen auch ein Bewusstsein bei den Konsument:innen für den Umwelteinfluss von Film- und Fernsehproduktionen geschaffen werden. Die Veränderungen, die dann anstehen, wenn das Bedürfnis nach ökologisch nachhaltigen Filmen erst einmal gewachsen ist, dürften sich allerdings nicht mit einem simplen Fingerschnippen à la Thanos einstellen, sondern bedürfen noch harter Arbeit und innovativer Ideen.
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