Joker: Das lachende Ungeheuer

»Joker: Folie à Deux« (2024). © Warner Bros. Pictures

»Joker: Folie à Deux« (2024). © Warner Bros. Pictures

Den Joker werden wir einfach nicht los: über dreißig Jahre läuft seine Kinokarriere schon. Und er präsentiert sich in immer neuer Maske. Georg Seeßlen über die Mutationen eines Superschurken

Batman ist kein »Superheld«. Er hat keine fantastischen Fähigkeiten, sondern ist ein besonders athletischer Kerl in einem Kostüm, das explizit entworfen wurde, um Angst zu machen – eher im Gegensatz zu den dezent maskierten Detektiven aus den Pulp-Magazinen (»The Green Hornet« oder »The Shadow«), denen er wohl seine Entstehung am Ende der dreißiger Jahre mitzuverdanken hat und die vor allem ihre Identität verbergen wollten. Auch das gehört natürlich zur Existenz des Mannes, der als ebenso gelangweilter wie begehrter Multimillionär Bruce Wayne eine zivile Existenz hat. Aber Batman ist vor allem ein Comicheld, und das heißt: ein Held der Visualität. Alles muss hier Bild, Symbol, Zeichen werden, das Gute wie das Böse. Und wenn Batman, den man später den »dunklen Ritter« nennen wird, als Kostüm die Anmutung einer gewaltigen Fledermaus wählen kann, dann haben seine Widersacher wohl das Recht, in ihrer Erscheinung alle erdenklichen Aspekte des Grotesken, des Grausigen und des Makabren auszudrücken, die unter einer nur teilweise modernen Gesellschaft im Allgemeinen und unter dem Bett im Kinderzimmer im Besonderen lauern. 

Diese Gestalten kommen teils aus den Kunstmärchen-Fantasien wie Scarecrow (ursprünglich ein Psychiater, der sich an seinen Patienten infizierte), der Mad Hatter (der, anders als in »Alices Wunderland«, Teegesellschaften mit tödlichem Ausgang gibt) und der Riddler (der all seine Missetaten durch Rätselverse ankündigt, die nur für Batman bestimmt sind). Teils kommen sie aus der Schauerliteratur wie Two-Face (eine Jekyll/Hyde-Figur aus einem tüchtigen Staatsanwalt und einem destruktiven Monster) und Ra's-al-Ghul (der Unsterbliche, der die Menschen von der Krankheit der Zivilisation befreien will). Und teils kommen sie aus der Pulp Fiction, wie die Meisterdiebin Catwoman und die wahrhaft giftige Poison Ivy, oder aus dem Dick-Tracy-Kosmos der deformierten Gangster wie The Penguin, der sein Imperium des Verbrechens aus der Kanalisation unter der Stadt aufbaut. Was alle diese bösen Gestalten im grotesken Outfit verbindet – abgesehen davon, dass sie schwere Macken mit sich rumschleppen (auffallend oft durch ein traumatisches Ereignis in der Kindheit oder durch einen hochsymbolischen Unfall ausgelöst) und sich an dem Chaos erfreuen, das sie anrichten –, ist das Paradoxon der Maskerade: Sie verbergen sich, indem sie megasichtbar werden, sie spiegeln ihre Stigmatisierungen ins Monströse, und sowenig sie endgültig besiegt werden können, werden sie endgültig demaskiert. Immer wieder erweist sich eine Erklärung einer dieser Gestalten als neuerliche Maskerade, und viele von ihnen haben zum eigentlichen Helden, dem Batman, eine ambivalente Haltung. Sie bekämpfen ihn, sie brauchen ihn aber auch, nicht nur so wie Kater Tom, der eine schwere Sinnkrise durchleben müsste, wenn er keine Jerry-Maus mehr zum Jagen hätte. Vielmehr geht es um eine tiefere Verbundenheit: Auch Batman ist durch ein traumatisches Ereignis »erschaffen« worden: die Ermordung seiner Eltern in einer Seitengasse von Gotham City, nach dem Besuch des Films »Die Maske des Zorro« und mit der letzten elterlichen Ermahnung, keine Angst zu haben. Angst ist der Schlüssel. Der modernste der Widersacher von Batman, ein massiver Kerl mit Atemmaske namens Bane, der ständig unter Drogeneinfluss bleiben muss, um Schmerz und Angst zu kontrollieren, wuchs in einem Foltergefängnis auf und zettelt, wo er kann, bürgerkriegsähnliche Zustände an. Angst ist es auch, die der unfassbarste aller Widersacher im Batman-Kosmos verbreitet: der Joker. 

Er ist auf den ersten Blick ein Horrorclown. Er hat zwar das ewige Lachen und den roten Mund eines »dummen August«, ansonsten aber erinnert er mehr an den »weißgesichtigen Clown«, die schrille Verkörperung von Anmaßung und Unterdrückung in den Zirkusnummern. Und er ist der Einsame unter den Clowns. Sein lila Anzug ist von altmodischer Eleganz, er trägt Handschuhe in derselben Farbe und manchmal einen breitkrempigen Hut. Vor allem aber ist er »der Mann, der lacht«. Da gibt es ein Vorbild im gleichnamigen Film von Paul Leni aus dem Jahr 1928. Conrad Veidt spielt die Victor-Hugo-Figur des Mannes, dem zur Strafe für die Rebellion des Vaters ein ewiges Grinsen ins Gesicht operiert wurde. So muss er auf ewig lachen über die Vergeblichkeit eines Aufstandes gegen die königliche Macht. 

Und wie kam das Lachen über die zeitgenössische Comicfigur? Ist es eine Gesichtslähmung, eine Verletzung, eine Verätzung, die dauerhafte Nachwirkung eines psychotischen Schubs? Das diabolische Lachen jedenfalls ist uns als Effekt des Schauderns nicht fremd: der Kurzschluss zwischen dem Wahnsinn und der sadomasochistischen Lust. Dieser Joker lacht ja noch, wenn man ihn verprügelt, er lacht, wenn er in Todesgefahr gerät, und am gemeinsten ist es, dass er seine Opfer zum Lachen zwingt. Und sei's nach ihrem Tod. 

Der Name bezieht sich natürlich auch auf die Spielkarte, die als eine Art Metatrumpf die Funktion jeder anderen in Spielen mit 52 Karten übernehmen kann. In der Comichistorie heißt es, dass Jerry Robinson, erster Tuschezeichner der von Bob Kane und Bill Finger geschaffenen Figur, zunächst eine Spielkarte entwarf, in der der Joker schon dem späteren Aussehen entsprach. Das Kartenbild zeigt einen lachenden Spaßmacher, den Hofnarren vielleicht, aber der Name kommt möglicherweise aus dem Spiel »Euchre«, bei dem diese Art von Spielkarte zum ersten Mal, so um 1860, zum Einsatz kam, damals noch als »Best Bower« (Buganker). Nach und nach wurde daraus der »Jolly Joker«. Eine andere Funktion hat die Narrenkarte im Tarot; hier steht sie mal für das Scheitern des Helden, mal für dionysische Lust. Fügt man freilich beides wieder zusammen, so bekommt man ein neues, diabolisches Kartenspiel mit dem Titel »Spin Master Joker«, das als einer der üblichen Merchandiseartikel zu verschiedenen Joker-Versionen aus den Batman-Comics und -Filmen angeboten wird und bei dem der Joker immer mehr Regeln außer Kraft setzt, je weiter das Spiel geht. Es ist sozusagen ein Metaspiel, man spielt nicht in den Regeln, sondern gegen sie. Aber das ist eine andere Geschichte. 

Seinen ersten Auftritt hatte der Joker in der Nummer eins der eigenen »Batman«-Comicserie vom Frühjahr 1940, die gestartet wurde, nachdem der Fledermausmann in der Serie »Detective Comics« zur populärsten Figur geworden war. Das Heft bietet gleich zwei Episoden des Kampfes zwischen Batman (assistiert von seinem Sidekick Robin, dem »Wunderknaben«) und dem Joker, und in der zweiten Geschichte sollte der Schurke ursprünglich sterben. Aber die Redaktion erkannte das Potenzial der Figur und wollte den Joker für kommende Zeiten bewahren; ein nachgeschobenes Panel erklärt: »Dieser Mann ist nicht tot.« Und da wir gerade beim Sterben sind: Diese Geschichten erschienen vor der Einführung des Comic Codes in den USA, einer Form der freiwilligen Selbstzensur, nach der Morde tunlichst so sehr zu vermeiden seien wie Blicke in Badezimmer oder Flüche. Kurzum: Der Joker der vierziger Jahre ist eine wirklich schaurige Gestalt, ein Serienkiller, Brandstifter, Attentäter. Nur äußerlich zu vergleichen mit dem Joker der kontrollierten fünfziger und sechziger Jahre, in denen er sich vor allem als trickreicher Dieb und technisch aufgerüsteter Gegenspieler des ­»dynamischen Duos« Batman und Robin zeigt: Hat Batman einen Spezialgürtel mit allerlei technischen Gadgets, bekommt auch der Joker einen; das Batmobil wird mit einem Jokermobil gekontert, und der Batcopter mit einer fliegenden Windmühle mit dem Konterfei des Jokers. Immerhin gelingen dem Joker in dieser Ära ein paar wirkungsvolle Verkleidungen, darunter eine als Charlie Chaplin und eine andere als Harpo Marx. Dem Joker (und seinen Autoren) ging es mit anderen Worten in dieser Zeit mehr um ein Spiel mit den Popmythen und um die mehr oder weniger kreative Verwendung von Alltagsgegenständen und Spielzeug als um wirkliche Brutalität. 

Dieser unernste Joker spielte auch seine Rolle in der Batman-Fernsehserie, die nicht zuletzt wegen ihrer Anlehnung an Pop Art und mit campy Effekten zum Kult wurde. Cesar Romero hatte in der Serie mehrere Auftritte als Joker, und vielleicht gehört es da zum V-Effekt der Figur, dass der Schauspieler sich geweigert hatte, seinen Schnurrbart abnehmen zu lassen, der dann einfach überschminkt wurde. Dieser Joker war noch in den sechziger Jahren auch in den Comics ein im Grunde harmloser Spaßmacher, der bei seinen Unternehmungen eigentlich schon immer vorher wusste, dass er am Ende von Batman und Robin wieder ins Gefängnis gesteckt würde. Der nächste Ausbruch, der nächste Verkleidungscoup (einmal übernahm der Joker sogar das Kostüm und die Rolle von Batman selbst), und das Spiel begann wieder von vorn. 

In den siebziger Jahren (noch waren die amerikanischen Comics weit entfernt von ihrer literarischen und visuellen Entfesselung, wenn sich auch der Einfluss des Underground und der europäischen »Comic-Revolution« langsam bemerkbar machte) wurde der Joker als »Clown-Prinz des Verbrechens« wieder ein wenig grimmiger. Was ihn nun antrieb, war nicht nur das Verlangen danach, in der Verbrecherwelt von Gotham City eine wichtige Rolle zu spielen, sondern auch eine unstillbare Rachsucht. Es geht ihm nicht mehr darum, den maskierten Detektiv auszutricksen – er will ihn leiden sehen. Mehr und mehr wird klar: Das ist etwas Persönliches.

Aber was? So viel ist sicher: Sowohl Batman als auch der Joker sind Gestalten mit höchst instabiler Persönlichkeit. Sie können nur überleben, indem sie sich permanent neu erfinden und gleich darauf auch wieder zerfallen. Zu den wirkungsvollsten Joker-Geschichten gehören solche, in denen er Doppelgänger und Spiegelbilder einsetzt. Die Frage ist tatsächlich, ob es ihn überhaupt als Wesen in Fleisch und Blut gibt. Oder ob jeder zum Joker werden kann in einer Welt, in der es viel leichter ist, verrückt zu werden, als sich mit einer bürgerlichen Identität zu begnügen. Gotham City wird zum Ort einer symbolischen Auseinandersetzung. Hier ist Batman, Vertreter einer liberal-konservativen Rechtsstaatlichkeit, der beständig mit dem Impuls zu kämpfen hat, für Recht und Ordnung mal kräftiger durchzugreifen. Ein gewisser Hang zu Selbstzweifel und Melancholie ist da nicht weit. Das Persönliche spielt immer wieder eine destabilisierende Rolle: Aus Robin, dem Wunderknaben, wird schließlich langsam ein junger Mann mit eigenen Vorstellungen, Butler Alfred (der eigentliche Erzieher von Bruce Wayne und stets Helfer im Hintergrund – eine der dankbarsten Nebenrollen in Batman-Filmen) ist nicht mehr so duldsam wie einst, die Beziehung zu Commissioner Gordon und vor allem die zu seiner Tochter Barbara erlebt ihre Krisen, und dann ist da noch der Joker. Nicht bloß als Widersacher und als Problem, sondern auch als Spiegel. Batman und der Joker, das sind zwei monströse Abbildungen von Einsamkeit. Kein Wunder, dass sie voneinander nicht lassen können.

In Tim Burtons Film »Batman« von 1989, einer vollendeten Mischung aus American Gothic und Steampunk-Architektur, Düsternis und Popbewusstsein, antwortet Jack Nicholsons Joker auf die Frage, wer ihn zu dem gemacht habe, was er ist, seinem Gegenüber im Fledermauskostüm: »Du.« Das bezieht sich möglicherweise auf den von einer Comiclinie übernommenen Sturz in einen Säurebottich, der Jokers Haare grün und die Haut weiß verfärbte. Später wird in den Comics eine andere, noch schauerlichere Origin Story angeboten: Da ist der Joker Produkt einer üblen Art von schwarzer Pädagogik, bei der Bleichmittel eine entscheidende Rolle spielt. Erinnern, Verdrängen, Kompensieren, darum geht's zwischen den beiden zu dieser Zeit. 

Aufgelöst wird diese reziproke Schöpfungslegende zu der Zeit nicht, intensivere Comicleser*innen aber haben längst Hinweise auf eine intensivere Beziehung der beiden gesammelt. Jack Nicholson, als hochbunte Parodie seines wahnsinnigen Schriftstellers aus Shining, ist jedenfalls einer, der mehr weiß als Batman selbst – über sich und über Gotham City. Das ist bei Burton noch eine verfremdete Märchenwelt und Nicholsons Joker eher eine Selbstfindungsmaske als ein Gesellschaftsbild. Am Ende von Burtons »Batman« ist der Joker tot und Batman selbst (Michael Keaton) sozusagen befreit. Ganz buchstäblich wacht er zum Schluss als Ikone über seine Stadt. 

Das Bild dieser Stadt aber hat sich in den Comics da schon geändert und wird immer schärfer konturiert: Gotham City, der Name ist Programm, ist so etwas wie die Unterseite, der Schatten der amerikanischen Gesellschaft. In Gotham City haben Polizei und Justiz den Kampf gegen das Verbrechen schon halb verloren, die Politik und die Medien sind spürbar korrupter und unfähiger als in der helleren Gegenwelt von Supermans Metropolis, Verbrecherclans wie die Falcones regieren Bezirke und Handlungsfelder. Batman kann diese Verhältnisse nicht mehr ändern; er kann höchstens das Schlimmste verhindern. Und der Joker? Mehr und mehr wird er zum Bild der Anarchie. Er lacht nicht mehr über sich selbst, und er lacht nicht mehr über Batman. Er lacht über die Verhältnisse. Er ist der Verrückte, der seiner Umwelt zeigt, wie verrückt sie ist. Sein Spiel mit den Insignien der Populärkultur wird politischer, er mischt sich ein in mafiöse Immobiliengeschäfte mit öffentlichen Gebäuden, er sucht zumindest zeitweise Verbündete, freut sich über Skandale und Enthüllungen, versteht sich auf die Vorformen von Fake News und Shitstorms und sieht sich als einzig wahrer Vertreter der Freiheit, ganz direkt auch als Hofnarr von Gotham City, der unantastbar ist, weil in seinen destruktiven Späßen immer steckt: dass er eine verborgene Wahrheit ans Licht bringt. Am Ende vielleicht auch die über Batmans wahre Identität. In einer verrückten Welt ist der Verrückteste eben König. Oder wenigstens ein »Clown-Prinz«.

Aber die Ordnung, die Batman und seine Verbündeten vertreten, ist nicht die einzige in Gotham City. Auch die Gangster, die Verschwörer und die Leute mit den dunklen Geschäften errichten ihre Ordnungen. Der Joker verändert am Ende des Jahrhunderts noch einmal seinen Charakter. Der Spaß an der Anarchie, den er in den achtziger und neunziger Jahren ausleben durfte, verblasst in einer Welt, die gar nichts anderes mehr zu kennen scheint. Radikaler als zuvor wird der Joker nun zum Bild des reinen Wahns. Das Verbrechen wird ihm zur Kunst. Er arrangiert Stilleben des Grauens (und er macht Bilder davon). Mit den Kategorien »gut« und »böse« hat das nur noch am Rande zu tun. Sein Wirken besteht nun vorzugsweise darin, Menschen und Szenen zu »jokerisieren«. Ja, es braucht nur ein wenig Joker-Gift, um waffennärrische Normalbürger in eine Horde von Massakerschützen zu verwandeln. Der Joker ist diese absolute Freiheit, die sich sogar von Biografie und Psyche entfernt. Er lacht auch über seine psychologischen Erklärungen. 

»Dark Knight« (2008). © Warner Bros. Pictures

Heath Ledger in Christopher Nolans »The Dark Knight« von 2008 ist die perfekte Darstellung dieses Jokers, der so unbedingt grausam und komisch ist, wie er es bei seinen ersten Auftritten in der Zeit von Weltkrieg, Faschismus und Verschwörungsangst war. Er hat keine persönliche, sondern nur eine kategoriale Beziehung zu Batman. Wenn sich die beiden nicht bis zum Letzten bekämpfen müssten, könnten sie sich vielleicht über Friedrich Nietzsche unterhalten. Es ist eine Art Tanz, die Joker und Batman (Christian Bale) da aufführen: Joker ist Mephisto, der Geist der verneint, doch nicht Verführung, sondern Drastik ist sein Ausdruck. Die Maske verschmiert, sein Lachen ähnelt dem der Täter, der Amokläufer und Massenmörder, die Klaus Theweleit beschrieben hat: »Dies Lachen, dies Fest, ist so etwas wie der Geburtsschrei des in machtvoller Eingebundenheit neu erstehenden großen Institutionenleibs, als dessen machtvoller Teil er von hier an über die Erde stapft.« Da ist die politische Metapher nicht aus der Welt. Der Joker will Prinzip werden. Sein Mitspieler in diesem Film ist nicht umsonst Harvey Dent, Two-Face, das Doppelgesicht der amerikanischen Demokratie. Dent muss sterben, nicht der Joker.

Wie in den Comics hat sich auch in den Filmen und Serien die Figur des Jokers in verschiedene Richtungen gleichzeitig entwickelt. Jared Leto in »Suicide Squad« (2016) ist ein ganz anderer als der, dem Robert Pattinson in der Titelrolle von »The Batman« (2022) begegnet, ein Vor-Schein auf einen kommenden neuen Auftritt im DC-Universum, und der wiederum unterscheidet sich von dem Joker aus der Serie »Gotham« (der Vorgeschichte des Helden), der überdies noch aus zwei Figuren besteht, die sich niemals so nennen (man sagt, man hätte die Figur für die große Leinwand reserviert und wolle sie nicht »verheizen«). Am Ende von »Zack Snyder's Justice League« (der 2021er-Revision des Films von 2017) hat Jared Leto einen großen Auftritt als Joker. Wahrhaft am Ende der Welt diskutieren zwei seltsam gekleidete Männer über Leben und Tod. »Wie gewöhnlich«, sagt Leto-Joker zu Batman, »werde ich der vernünftigere sein.« Er bietet einen Waffenstillstand einem Batman an, der geschworen hat, ihn zu töten. Aber klar, diese Umkehrung der Rollen kann nicht das wirkliche Ende sein. Übrigens ist Joker zu dieser Zeit auch wieder von seiner Idee abgekommen, nur der Wahnsinn könne die wirkliche Erfüllung der Freiheit sein. Jetzt sagt er bescheiden, man möchte fast sagen trumpistisch: »Ich bin gar nicht verrückt. Ich bin nur anders normal.«

»Suicide Squad« (2016). © Warner Bros. Pictures

In den letzten Filmen wiederum wird der Joker wieder mehr zum Menschen; zu einem der gequält ist und der quälen will. Entsprechend wird klar, dass die Clownsmaske nur aufgemalt ist, geradezu nachlässig bei Heath Ledger und Jared Leto; bei Joaquin Phoenix in »Joker« von Todd Phillips sind sogar die Ränder dieser Bemalung deutlich. Es gab also offensichtlich keine traumatisierende Verwandlung, die Maske ist nicht aufgebrannt. Ja, dieser Joker braucht keinen Batman mehr, der ihn an seine Herkunft aus den Träumen und Alpträumen aus dem Kinderzimmer erinnert. Ein wenig ist der Joker in den letzten Filmen jener Barbie verwandt, die aus ihrer Spiel- und Zeichenwelt in die Wirklichkeit tritt. Hier die Plastikprinzessin, die den pinken Traum der Mittelschicht lebt, dort der bizarre Clown-Prinz, der ihn verfehlte. Es ist Arthur Fleck in Joker, ein kranker Mensch in einer kranken Welt, den wir verlassen haben, als er eine Psychiaterin ermordete und sich einmal mehr in den Zellen des Arkham Asylum wiederfand. »That's Life« von Frank Sinatra war die Begleitmusik dazu gewesen, und das Summen des Jokers begleitet uns von diesem Film aus dem Jahr 2019 in das Sequel, das nun noch mehr im Zeichen der Musik steht. Nicht, dass es im klassischen Sinne ein Musical wäre. Joaquin Phoenix und Lady Gaga singen nicht wie Profis, die die Handlung überhöhen oder aus ihr heraustreten, sie tun es in der Szene, auch in der Nichtperfektion, und dieser Effekt ist von Bedeutung. Nicht Erlösung, sondern Sog in die Tiefe. 

Auch in »Joker« war die Musik ein wesentlicher Antrieb, auch im Soundtrack von Hildur Gudnadóttir, die als Cellistin vor allem an sublime Kontinuität denkt und als Begleiterin von Leuten wie The Knife musikalisch Abgründe zurückschauen lässt – als eine Parallelführung von Pop, Klassik und Avantgarde. Nun ist die Musik also in die Handlung einbezogen; der Film wird deshalb für den ersten Eindruck leichter als sein Vorgänger. Möglicherweise ist das eine der Finten, für die der Joker bekannt ist. Denn genauer gesagt gibt es in »Joker: Folie à Deux« zwei Formen der Musik, die in der Handlung und die von außen. Was ziemlich normal verrückt ist. 

»Folie à Deux« nimmt die Geschichte von Joker und Harleen/Lee Quinzel alias Harley Quinn wieder auf (in den Comics in verschiedenen Versionen aufgetreten, Star einer eigenen Animationsserie und in »Suicide Squad« von Margot Robbie dargestellt). Es entfaltet sich eine musikalische Bewegung von Songs, Duetten und musikalischen Nummern aus verschiedenen Ecken des Pop, das Broadway-Feeling immer in Reichweite. Wir erinnern uns daran, was im klassischen Hollywood-Musical »Song and Dance« meinte: Da wird von etwas gesprochen, das in gewöhnlichen Dialogen nicht auszudrücken ist. Und das, worum es hier geht, ist nicht weniger unsagbar: dass die Liebe nicht zur Erlösung von einem Menschen, sondern zur Verdammung von zweien führt. Wenn es in ­Joker um einen Mangel an Liebe ging, dann geht es in »Joker: Folie à Deux« um einen Überschuss. Weder das eine noch das andere löst das Grundproblem des schrecklichen Helden: die Identität. So viel immerhin verrät Regisseur Phillips: »Der Titel Folie à Deux bezieht sich einerseits auf Arthur und Lee, aber andererseits auch auf Arthur Fleck und den Joker.« Man kann die Joker-Filme auf zwei Arten ansehen. Erst einmal sind es Studien über Einsamkeit, über ein Wesen, das keinen Platz in der Gesellschaft gefunden hat und darauf mit Gewalt reagiert. Aber dann sind es auch Filme über eine gesellschaftliche Auflösung, eine Gesellschaft, die gar keine Plätze mehr für Menschen parat hält. Es ist die Frage, die sich Arthur Fleck am Beginn von Joker stellt: Bin ich verrückt oder hat die Welt da draußen den Verstand verloren? Der Joker, wir kennen das, ist eine schlechte Antwort auf eine gute Frage. 

In einem der multiplen Universen, an die sich Comicleser*innen mittlerweile gewöhnt haben, hat Bruce Wayne dem Joker das Genick gebrochen, infizierte sich dabei mit dem Joker-Gift und verlor seine ursprüngliche Persönlichkeit: Er wurde »der Batman, der lacht«, ein Hybridwesen aus Batman und Joker. Ein böseres Lachen aus Angst und Einsamkeit gibt es nicht.

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