Kritik zu Joker: Folie à Deux

© Warner Bros. Pictures

Es ist nicht das Sequel, das alle wollten: Todd Phillips dekonstruiert den Comic-Mythos des Jokers diesmal noch konsequenter, wenn er Arthur Fleck – wieder von Joaquin Phoenix gespielt – als öden Loser inszeniert. Die Musicalnummern mit Lady Gaga tun ein Übriges

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Es fängt so vielversprechend an. Ein Cartoon im 1940er Warner-Stil (von »Das große Rennen von Belleville«-Regisseur Sylvain Chomet inszeniert) mit einem Zeichentrick-Joker, der im Horrorclown-Make-up über den roten Teppich stolziert, doch sein Schatten lässt sich nicht abschütteln, gewinnt schließlich sogar die Oberhand und macht, nun selbst in vollem Kostüm, die Fernsehsendung zu seiner eigenen One-Man-Show. Ein schönes Bild der Schizophrenie des Mannes, der Arthur Fleck heißt und zum Joker wurde. 

Doch Todd Phillips geht es um etwas anderes in »Folie à Deux«, dem Sequel zu seinem Überraschungshit »Joker«. In der Psychologie wird so die gemeinsame psychotische Störung zweier Personen in enger Beziehung bezeichnet. Doppelter Wahnsinn. Denn zum Joker gesellt sich noch eine zweite Figur, die Pyromanin Harley Quinn (Lady Gaga), und eine Weile gehen sie eine Art Symbiose ein, in der alles möglich scheint und die Gotham ins Chaos stürzen könnte.

Mit dem traditionellen Weißclown aus der Zirkus- und Theatergeschichte hat der Joker nicht viel mehr gemeinsam als die Farbe im Gesicht und den autoritären Charakter, allerdings in stark pervertierter Form. Todd Phillips macht nun ernst und den Joker zum dummen August. Bei ihm ist er kein rebellischer Antiheld, kein moderner Robin Hood, der die Armen rächt, sondern nur ein öder Loser mit Geltungsdrang. Die Rolle des belehrenden und kommandierenden Weißclowns, der kulturhistorisch vom Harlekin der Commedia dell'Arte abstammt, wird nun von Harley Quinn verkörpert.

Sie begegnen sich im Arkham Asylum, der Gefängnisinsel vor Gotham, wo Arthur Fleck auf seinen Prozess wartet. Fünf Menschen hat er auf dem Gewissen, und seine Verteidigerin Maryanne Stewart (Catherine Keener) will auf unzurechnungsfähig plädieren und ihm so zu einer milderen Strafe verhelfen, doch dafür muss er kooperieren. Im Knastchor, in dem er dank seines musicalbegeisterten Wächters Jackie (Brendan Gleeson) mitwirken darf, begegnet Arthur der Insassin Harley, die ihn gleich in Beschlag nimmt und sich als großer Fan outet. Die Faszination ist gegenseitig und drückt sich schon bald im ersten gemeinsamen Song aus. Viele weitere folgen, solo und im Duett, Jazz- und Soul-Standards aus den 40er und 50er Jahren hauptsächlich, die als Kommentar zum Gefühlszustand und zur psychischen Verfassung der Figuren dienen. »Folie à Deux« ist (auch) ein Musical, aber eins, das sich visuell zurücknimmt und mit choreographierter Fantasie und Opulenz wenig anzufangen weiß. Einige Nummern sind albern, wenn etwa Gaga/Harley und Phoenix/Joker Cher & Bono nachahmen und damit irgendwo zwischen Hommage, Parodie und intendiertem Camp schunkeln. Andere sind wirklich toll, wenn Arthur etwa Jacques Brels »Ne me quitte pas« durchs Knasttelefon fleht. Doch insgesamt will Phillips' Hybrid aus Musical, Gefängnisdrama, Gerichtsdrama und Melodram mit männlicher Heroine nicht so recht zünden. Da mag sich Joaquin Phoenix als gedemütigter Schmerzensmann noch so eindrücklich krümmen und verdrehen.

Die Latte lag hoch. Todd Phillips' erster »Joker« hatte den Goldenen Löwen in Venedig erhalten, dazu zwei Oscars und neun weitere Oscarnominierungen, und spielte über eine Milliarde US-Dollar an der Kinokasse ein. Wie das toppen? 200 Millionen Dollar soll das Sequel gekostet haben, fast das Vierfache des Vorgängers. Zu sehen ist das auf der Leinwand nicht. Dennoch: Ein neunstelliger Betrag für einen dekonstruierten Comic-Mythos, inszeniert als Nummernmusical mit einer Leerstelle als Protagonist im Zentrum – das könnte auch schon wieder genial erscheinen in seiner subversiven Chuzpe und der Weigerung, der Blockbuster-Sequel-Formel des »Bigger, Faster, Stronger« zu folgen und den teils nicht unproblematischen Joker-Hype vor allem männlicher Fans zu bedienen. Oder aber es ist eine künstlerische Bankrotterklärung.

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