Gibt’s das auch in lang?
Alles muss Serie werden. Auf der Suche nach Stoffen schlachten TV-Produzenten zunehmend klassische Spielfilme aus. Auch solche, die sich auf den ersten Blick nicht dafür eignen. So sollen Fargo und From Dusk Till Dawn den kürzlich auch in Deutschland gestarteten Sender Netflix voranbringen
Wenn bei Hollywoodfilmen auch Jahre später Zitate nachhallen und der Kult nicht abreißen will, handeln die Produzenten von Zeit zu Zeit im Sinne der Fanbase und bringen mehr oder minder erfolgreiche Fortsetzungen in die Kinos. Ein neueres und für die Zuschauer wesentlich sättigenderes Phänomen sind Transformationen des Stoffes ins Serienformat. Fargo, der oscarprämierte Erfolgsfilm der Coen-Brüder, Robert Rodriguez’ Kultfilm From Dusk Till Dawn und Tim Burtons Horrorkriminalfilm Sleepy Hollow sind jüngst serialisiert worden, angekündigt sind Adaptionen von Scream, School of Rock, Rush Hour und Westworld. Selbst eine europäische Hoffnung wird diesen Monat mit der Serie Gomorrha gesetzt, die an Roberto Savianos bereits zum Spielfilm verarbeitete Camorra-Recherchen anschließt (seit Oktober auf Sky). Fehlt es den Sendern etwa an neuen Ideen? Gab es das schon immer? Oder erfüllen sie nur endlich jene über Jahrzehnte ungestillten Bedürfnisse nach »mehr«?
Mittlerweile bedient sich der amerikanische Serienmarkt bei so ziemlich allen erdenklichen Quellen. Abkopplungen erfolgreicher TV-Serien, populär vertreten durch die verschiedenen »CSI«-Ausläufer, Romanverfilmungen wie Game of Thrones und Graphic-Novel-Adaptionen wie The Walking Dead führen die Rangliste ihrer Heimatsender an. Analog zur Blockbusterlandschaft halten Geschichten aus dem Marvel-Universum (Agents of S.H.I.E.L.D.) und vor allem aus dem DC-Universen (Smallville, Arrow, Gotham, Flash) Einzug in die Serienlandschaft. Auch die Amerikanisierung etablierter Serien aus dem Ausland funktioniert ganz gut, was der Erfolg von Homeland, Shameless, The Bridge oder The Killing deutlich macht. Dazu kommen Reanimationen alter TV-Hits wie der Soap-Operas Dallas und Beverly Hills 90210, der Sci-Fi-Serie Dr. Who oder – jüngst durch Warner Bros. TV beschlossen – der Sitcom Full House (1987–95).
Auf der Suche nach medialer Inspiration mussten Filme konsequenterweise irgendwann in das Visier der Serienproduzenten geraten. Schon Dallas basierte angeblich auf George Stevens’ Giganten (1956); der von James Dean in seiner letzten Rolle dargestellte Charakter Jett Rink soll der Namensgeber für den Ölindustriellen »J.R.« gewesen sein. Bezugnahmen gab es also früh, eine direkte Spielfilmverwertung setzte allerdings erst in den letzten zwanzig Jahren ein.
Roland Emmerichs Stargate (1994) ließ in den zwei Jahrzehnten nach seinem Kinoerfolg drei Real- und eine Animations-Serie folgen, seit Mai diesen Jahres steht auch eine Emmerich-Neuverfilmung in Form einer Trilogie durch MGM/Warner auf dem Plan. 1997 sorgte Joss Whedon dafür, dass sein ursprüngliches Drehbuch des Leinwand-Flops Buffy – Der Vampir-Killer (1992) zumindest für die heimischen Bildschirme adäquat umgesetzt wird. Seine Bemühungen trugen Früchte, und die Serie um eine Dämonen jagende Teenagerin wurde zum Liebling von Fans und Kritikern. Neben sieben erfolgreichen Staffeln kreierte Whedon auf Anfrage des Senders The WB daraufhin gleich noch die Spin-off-Serie Angel – Jäger der Finsternis (1999–2004). Whedons Serien zeigten damals schon, dass ein interessanter Grundstoff, dessen kommerzieller Erfolg im Kino ausbleibt, durchaus als Serienmaterial funktionieren kann. Ähnliches ist auch bei der FX-Bikerserie Sons of Anarchy zu beobachten, in der vom bizarren Treiben eines Motorradclubs, respektive einer kriminellen Organisation, erzählt wird. Der Erfolg der mittlerweile sieben Staffeln zeigt, dass auch »unedler« Filmstoff wie die Hells-Angels-Titel der späten sechziger Jahre, zu denen klare Parallelen erkennbar sind, fürs Fernsehen gut taugen kann.
Nachdem Ende der Neunziger mit Serien wie Oz und The Sopranos das Quality-TV seinen Siegeszug durch die amerikanischen Kabelnetze antrat, wurden die Sender bei den Serienproduktionen finanziell deutlich mutiger und machten Themen wie Drogenhandel und -konsum, Promiskuität und Gewalt in den bürgerlichen amerikanischen Wohnzimmern salonfähig. Unter diesen Voraussetzungen soll sich nun, nach dem Aufblühen der VoD-Portale Ende der 2000er Jahre, die Erfolgsgeschichte für die Streamingriesen wiederholen. Netflix, der Global Player aus den Staaten, setzt wie der Konkurrent Amazon neben Bemühungen um die besten Studio-Deals auch verstärkt auf Eigenproduktionen. Im Kielwasser des Politdramas House of Cards entstanden so Erfolgsserien wie Orange Is the New Black und Hemlock Grove. Als Zugpferde bewarb der Sender bei seiner deutschen Markteinführung im September jedoch zwei andere exklusiv via Netflix ausgestrahlte Serientitel, die beim cinephilen Mittdreißiger das Herz höherschlagen lassen sollen: Fargo und From Dusk Till Dawn.
Wie im Film sind es angeblich reale Ereignisse, die dem Zuschauer in Fargo zugetragen werden, dies wird dem Zuschauer vor jeder Episode des Senders FX suggeriert. Die Serie wurde von Noah Hawley (Bones, The Unusuals) aus der Geschichte des skurrilen Heimatfilms der Coens konsequent weiterentwickelt und knapp zwanzig Jahre in die Zukunft transferiert.
Versicherungsvetreter Lester Nygaard (Martin Freeman) ist der prototypische Loser der amerikanischen Mittelschicht. Sein Gehalt ist mickrig, die Provisionen bleiben aus, sein kleiner Bruder schaut auf den Mittvierziger herab, und die Ehejahre haben seine Frau das liebevolle Hassen gelehrt. Die Straßen der verschlafenen Kleinstadt Bemidji sind für ihn ebenso gefährlich wie früher der Schulhof – noch immer wird er von Mickey, dem Bully von damals, belästigt. Bei einem daraus resultierenden Krankenhausbesuch trifft Lester auf den hilfsbereiten Killer Lorne Malvo (Billy Bob Thornton), der fortan einen großen Teil seines Lebens bestimmen und die matschgrauen Spurrillen der vereisten Straßen bis Fargo blutrot färben soll.
Das gegensätzliche Duo ist eines von vieren, die im Laufe der zehnteiligen Serie eingeführt werden. Ein Großteil der Comedy entsteht aus den Gipfeltreffen skurriler Einzelcharaktere, aus Konstellationen, die, im Coen-Film wie in der Serie, mit Bedacht stilisiert sind, voller versteckter Andeutungen, Wortspiele und Wiederholungen. Das durchweg gelungene Casting trägt die Handschrift von Rachel Tenner, die auch schon verschiedene Coen-Filme besetzte. Durch die Gratwanderung zwischen Thriller und Komödie baut sich in der Serie eine Dynamik auf, die in der geheimnisvollen Kleinstadt inmitten der eisigen Tundra Minnesotas auch über zehn Stunden erhalten bleibt. Nach Abschluss der preisgekrönten Serie – 3 Emmys – wurde bereits die Produktion einer zweiten Staffel bekanntgegeben.
Ganz ohne Hollywood-Cast tritt Robert Rodriguez’ Serienadaption seiner bizarren Action-Extravaganza From Dusk Till Dawn (1996) an. Dahinter steht die Absicht des Regisseurs, durch seinen eigenen TV-Sender El Rey, dessen Aushängeschild die Serie ist, hispano-amerikanische Künstler und Schauspieler zu fördern. In der Serie kommen neben Rodriguez selbst unbekannte Serienregisseure zum Einsatz, und neben dem unerfahrenen Cast wird als Eyecatcher die mexikanische Newcomerin Eiza González in Szene gesetzt. Der Cast ist jedoch auch eine der größten Schwächen der Serie, die bis zur siebten Folge nicht viel mehr ist als eine verwässerte Repetition der Filmstory; hanebüchene Dialoge und Overacting weit über der Toleranzgrenze des gewollten B-Movie-Charmes machen das Ganze nicht besser. Ähnlich wie im Film wird aber auch in der Serie kurz nach der Hälfte der Sendezeit endlich die Wundertüte aufgerissen: Horror- und Splatterfreunde werden im Folgenden überzeugend bedient, und die Vampirstory zumindest solide weitergeführt. Trotzdem bleibt das Gefühl, dass man es hier mit einem Werbefilm für Rodriguez’ Sender zu tun hat – umso mehr, als schon nach Ausstrahlung der dritten Folge eine zweite Staffel angekündigt wurde. Die Direct-to-DVD-Fortsetzungen des Films lassen Übles ahnen.
Gleich 240 Jahre in die Zukunft geht es in der Serie zu Burtons Sleepy Hollow. Der damals von Johnny Depp gespielte Ichabod Crane ist hier kein Lehrer, sondern ein britischer Soldat mit Macho-Allüren, der als kurzerhand engagierter FBI-Berater neben dem kopflosen Reiter auch den Problemen der Neuzeit gegenübersteht. Der Mix von Fantasy-, Horror- und Comedyelementen mit Hexengeschichten und biblischen Prophezeiungen ist allerdings nicht stimmig, der burtonsche Charme und die charismatischen Züge der Hauptfigur sind leider verloren gegangen.
Bei einem stimmigen Konzept und einer konsequenten Weiterentwicklung des vorhandenen Stoffes wie bei der Umsetzung von Fargo ist auch der serielle Bereich in der Lage, die Kultistenpupillen zu erweitern. Angesichts der Menge neu angekündigter Projekte könnte man jedoch auf den Gedanken kommen, dass hier ziemlich abenteuerlich daherserialisiert wird. Ein Hypethema ist übrigens noch gar nicht richtig ausgeschlachtet. Wie wär’s mit "Nymphomaniac – Nach dem Sex ist vor dem Sex?" oder "Feuchtgebiete – Endlich trocken?"
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