Gamescom 2015
Die interaktive Spielmesse Gamescom in Köln hat sich zum lebhaftesten Publikumsevent der Sparte entwickelt. In diesem Jahr gab es: viel E-Sport, neue Stars, Virtual-Reality-Brillen. Und wieder lustige T-Shirts
»Gaming doesn't make me violent. Lag does«, steht auf einem der T-Shirts, die hier massenhaft verkauft oder verschenkt werden. Wenn der Computer hängt, dann wird der Gamer sauer. Komischerweise aber zeigen auch Hardcorespieler, die bei ihren Online-Battles so schnell denken und klicken, als hätte man Klone aus Kampfpiloten und Schachweltmeistern vor sich, auf der Gamescom unendliche Geduld. Bis zu drei Stunden muss man warten, um für zehn oder zwanzig Minuten Hand an eins der neuen Blockbusterspiele, an »Call of Duty: Black Ops 3« oder »Star Wars: Battlefront«, zu legen. Und, hey, keiner beschwert sich, keiner drängelt... nie. Die chilligste Messe, die man sich vorstellen kann. Wenn man davon absieht, dass sich an fünf extraheißen Augusttagen 345.000 Besucher durch zehn Hallen mit 806 Ausstellern schieben, die Trailerpräsentationen alle Sinne flashen und manche Stände aussehen, als wäre man in ein Bundeswehrmanöver geraten.
Die Branche hat die meisten Spiele, die hier vorgestellt werden, schon im Juni auf der Elektronik-Entertainment-Messe E3 in Los Angeles gesehen. Die Gamescom ist eine Publikumsveranstaltung mit Partyatmo; sie gehört den vielen Stämmen, Horden und Fandoms, aus denen sich die stetig wachsende zockende Community zusammensetzt – die Hälfte aller Deutschen, hat der Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware kürzlich mitgeteilt, spielt auf dem Handy, an der Konsole oder dem PC.
Von DEM Gamer kann man also schon lange nicht mehr sprechen. Zwischen »Lego Marvel's Avengers«, mit dem die Knirpse initiiert werden, dem comichaften »Battleborn«, dem »Landwirtschafts-Simulator« und dem Rennspiel »Need for Speed« liegen Welten. Jeder findet hier seine Nische. Die Frauen sind nicht mehr so krass in der Unterzahl wie noch vor zwei Jahren – »Mein Freund ist wegen mir hier«, hat sich eine aufs Shirt geschrieben –, es sind Familien unterwegs und ältere Gamer. Wer mal mit »Galaga« angefangen hat, ist heute eben schon fünfzig.
Dass Spieler einsam, asozial und passiv sind, stimmt im Übrigen auch nicht. Immer mehr Spiele werden online im Multiplayer-Modus gespielt, immer mehr erfordern hochkomplexe Abstimmungen in Teams. Es gibt eine Menge Aktivitäten, denen Spieler gemeinsam nachgehen: Sie treffen sich bei den E-Sport-Events, bauen Computer und Spielsoftware um, streifen in Kostümen über die Messe, zocken live, kommentieren und kritisieren auf allen Social-Media-Kanälen – die Let's-Player, die auf YouTube Millionen von Abonnenten versammeln, sind die neuen Stars der Szene. Und die müssen auf der Gamescom richtig ackern: Autogramme geben im Akkord, zwei Stunden lang, wie die Jungs von PietSmiet, die für eine ziemlich durchgeknallte Fusion von Gaming und Comedy verehrt werden.
Die Bilder in den Spielwelten müssen nicht unbedingt gut oder realistisch aussehen, bei vielen Titeln ist das nicht gewollt oder hinderlich. Wer aber am Game als visuellem Medium interessiert war, konnte in diesem Jahr in Köln durchaus auf seine Kosten kommen. Wenn die Konsolen eingeführt sind – 2013 bekämpften sich hier die X-Box One und die Playstation 4 –, werden die Spiele grafisch besser: zu beobachten etwa in den atmosphärischen Nacht- und Höhlenszenen von »Final Fantasy XV« oder an den Licht- und Schattenspielen in »Metal Gear Solid: The Phantom Pain«.
Und dann war da noch diese Renaissance oder besser Neugeburt des Konzepts Virtuelle Realität. Die VR-Brillen (siehe der Artikel von A. Matzkeit) von Oculus, Sony und HTC/Valve waren das meistbesprochene Phänomen der Messe. Die Oculus Rift und Sonys Project Morpheus sind gefühlsmäßig noch beim Gamer – man navigiert im Sitzen durch dreidimensionale Jump-'n'-Runs oder Sportspiele. Die Vive von HTC, die den Hardware-Preis der Gamescom gewonnen hat, führt wirklich ins Holodeck. Man bewegt sich mit Brille, Headset und Controllern in einem dunklen Raum, der sich auf Knopfdruck in eine voll »funktionsfähige« Spielküche – »Sie brauchen hier nicht aufzuräumen, lassen Sie den Pilz einfach fallen!« –, eine Unterwasserwelt oder einen Fantasyshop zu verwandeln scheint. Damit man sich nicht die Nase stößt, werden die Wände als blaues Raster in die Spielwelt eingeblendet. Das wirkt so verblüffend greifbar, dass ein Abgrund, der sich vor den Füßen auftut, Schweißausbrüche auslösen kann. Und die Möglichkeit, fluoreszierende Bilder in den Raum zu malen – toll. Kinos und klassische Games werden den Angriff der VR überleben, würde ich mal prognostizieren. Aber für den Edutainmentbereich, auch für Museen tun sich Möglichkeiten auf: minimalinvasive Hirnchirurgie selbst gemacht oder live bei der Ermordung von Julius Cäsar ... die ultimative Experience.
Die Gamescom 2016 findet von Mittwoch, 17. August 2016, bis Sonntag, 21. August 2016, statt.
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