Axel Ranisch: Ganz große Oper

»Ich kann nur lachen, wenn ich vorher geweint habe«
Mirjam Mesak als Orphea, Guido Badalamenti als Kolya in »Orphea in Love« (2022). © missingFILMS

Mirjam Mesak als Orphea, Guido Badalamenti als Kolya in »Orphea in Love« (2022). © missingFILMS

Es wird über den Tod hinaus geliebt und auf Teufel komm raus gesungen im neuen Film von Axel Ranisch. Mit der ­Großstadtphantasie ­»Orphea in Love« ist dem ­Regisseur in Kooperation mit der Bayerischen Staatsoper eine hinreißende Fusion aus Kino und Musiktheater gelungen. Thomas Abeltshauser lässt sich erzählen, wie Ranisch das gemacht hat

Mehr Vielfalt geht nicht. 2011 platzte Axel Ranisch, gelernter Medien- und Theaterpädagoge, in die Hofer Filmtage mit der »Tragikomödie« »Dicke Mädchen«, die er als Diplomfilm mit den Schauspielern Heiko Pinkowski und Peter Trabner gedreht hatte. Es folgten »Ich fühl mich Disco«, eine Coming-of-Age-Geschichte mit Schlageruntermalung, gefühlvoll und authentisch, und »Alki Alki«. Damit war Ranisch als Meister des Impro-Films und Miterfinder des German Mumblecore etabliert; er selbst hat sich in die Traditionslinie »Rosa« (von Praunheim) eingeordnet. Ein Kinderfilm, Fernseharbeiten (»Tatort«), Schauspiel und ein Roman haben immer noch nicht gereicht. Seit 2018 liegt Ranischs Fokus auf der Opernarbeit – rund zehn Inszenierungen hat er seither erarbeitet. Und dabei wird er am 30. Juni gerade mal vierzig.

epd Film: In »Orphea in Love« spielt und singt die estnische Opernsängerin Mirjam Mesak in ihrer ersten Kinorolle. Wie haben Sie sie gefunden?

Axel Ranisch: Wir hatten bereits »Iolanta« von Tschaikowski zusammen gemacht, im Opernstudio der Bayerischen Staatsoper, mit ihr in der Titelrolle als blinde Prinzessin. Und das war wirklich beeindruckend. Sie kam mit der fertigen Rolle auf die Probe, es gab überhaupt keinen Zweifel daran, dass sie die blinde Prinzessin war. Irre! Ich weiß nicht, wo sie es hergeholt hat und wie sie es gemacht hat, aber sie brauchte mich nicht. Bei einem Mitschnitt der Inszenierung für eine DVD habe ich dann in Nahaufnahmen gesehen, dass sie auch in den Szenen, in denen sie nicht sang, durchgängig spielte und niemals eine Pause machte, auch wenn das im Saal niemand gesehen hat. Da war mir klar, dass Mirjam auch einen ganzen Film tragen könnte.

»Orphea in Love« ist ein romantischer Musikfilm mit Opernarien. Wie kam es zu dieser Idee?

Serge Dorny, der heutige Intendant der Bayerischen Staatsoper, hat mich, als er noch Intendant der Opéra Lyon war, eingeladen, »Rigoletto« zu inszenieren. Da kamen wir ins Gespräch. Er hatte die Idee, Opernarien als Kurzfilme zu adaptieren. Es gab 1987 den Omnibusfilm Aria, bei dem zehn Regisseure je eine Opernarie verfilmt haben. Ich überlegte, welche Stücke ich nehmen würde, und dachte schon bald, dass es schöner wäre, einen langen Film mit durchgängiger Handlung zu machen. Davon träumte ich schon lange, weil ich in meinen Bühneninszenierungen immer wieder Film in die Oper gebracht hatte, aber nie konsequent Oper in den Film. Serge und ich spielten dann Pingpong mit Titeln, die vorkommen sollten. Wir wollten auch junge Sänger*innen besetzen wie Mirjam. Und parallel habe ich überlegt: Was könnte das für eine Geschichte sein? Auch das war schnell klar. Es sollte etwas mit Orpheus zu tun haben, einfach weil der Orpheusmythos die älteste und meistvertonte Geschichte des Musiktheaters ist. Wenn ich Oper und Film zusammenbringen möchte, dann mit dem Urmythos der Oper. 

Was war die Motivation, Arien aus verschiedenen Opern filmisch umzusetzen statt eine Oper als Ganze? 

Serge wollte eine Bandbreite darstellen und ein Publikum begeistern, das nicht zwangsläufig in die Oper geht. Damit rannte er offene Türen bei mir ein, weil ich auch zeigen wollte, was für wunderbare und vielfältige Musik es gibt in der Welt der Oper. Ich bin da auch missionarisch unterwegs. Ich hätte es sehr schade gefunden, wenn wir nur den Gluck genommen hätten, ich wollte schon auch, dass Monteverdi und Händel, Puccini, Verdi und Wagner bis Heitor Villa-Lobos und John Adams vorkommen.

Als Angebot, erste Schritte in die Oper zu machen?

Über den Umweg Leinwand. Mir bedeuten klassische Musik und Oper schon seit Kindertagen wahnsinnig viel. Im Grunde ist jeder wichtige Moment in meinem Leben mit Musik verbunden. Und ich habe gedacht, wenn wir eine Geschichte erzählen von einer Figur, der das ähnlich geht und die mit bestimmten Situationen ein bestimmtes Stück verbindet, dann gelingt es, die Oper nicht nur zu benutzen und vorzuführen, sondern mit dem Gefühl zu unterfüttern, das die Figur in dem Moment hat.

Bei »Orphea« ist der Mythos eine Ebene der Geschichte. Gleichzeitig erzählen Sie heutigen Alltag … 

Ich habe schon eine große Sympathie für die einfachen Helden. Leute wie du und ich, die mir auch auf der Straße begegnen können. Oder wie unsere Nele hier, eine Figur, die eben nicht auf der Bühne im Rampenlicht steht, sondern eher in der Garderobe arbeitet. Und von da aus basteln sich dann die Mythologie mit rein und das Märchen und die Oper und alles, was eigentlich artifiziell ist. Man schmückt den Realismus quasi aus. Und dann darf auch wieder improvisiert werden wie in den meisten meiner Filme. Wenn ich in der U-Bahn nach Hause fahre, wünsche ich mir oft sehnlichst, dass die jetzt einfach alle anfangen zu singen und zu tanzen, statt so doof auf ihre Smartphones zu gucken. Aus diesem Gedanken heraus wollte ich die Geschichte erzählen.

Wie haben Sie die Balance gefunden zwischen den großen Emotionen der Musik und diesem Gespür fürs Trashige und den Camp?

Das nehme ich mir nicht vor, das passiert mir. Es liegt irgendwie in mir. Da muss man mich auch mal bremsen: Trashpolizei, es reicht, Axel! Ja, ich will Trash und Camp, aber auch die jeweilige Situation ernst nehmen. Ich ertrage keine Tragödien ohne einen gewissen Grad an Selbstironie. Das ist meine Überlebensstrategie. Ich will zwischendurch wieder lachen können. Ich kann aber nur lachen, wenn ich vorher geweint habe. Nur dann ist es eine Erlösung. So kommen diese Amplituden zustande. Ich ertrage auch dieses Unsinnliche im Regietheater nicht. Wenn mir in dem Moment, wo ich in der Arie empfinden möchte, auf einmal der Spiegel vorgehalten wird: »Guck mal, du weinst ja! Haha, bist du doof!« Dann werde ich vorgeführt als Zuschauer. Das ärgert mich, das ist mir zu viel intellektueller Abstand und zu wenig Mut zur Sinnlichkeit. 

Warum haben Sie aus Orpheus eine weibliche Figur gemacht?

Ganz am Anfang wollte ich einen bekannten Popsänger als Orpheus besetzen, aber der hat sich den Schauspielpart nicht zugetraut. Bei der Beschäftigung mit dem Stoff hat mich dann die Grundkonstellation zunehmend genervt. Eurydike ist immer nur die quenglige Randfigur, die meckert, dass Orpheus sie nicht anguckt, weil sie nicht kapiert, dass er sich nicht umdrehen darf. Außerdem wollte ich unbedingt mit Mirjam Mesak arbeiten. Ich konnte mir keinen besseren Orpheus vorstellen. Also hab ich die Rollen getauscht. Und als Mirjam zugesagt hat, war auf einmal alles ganz einfach. Die Eurydike-Figur, jetzt ein Mann, wollte ich auch geheimnisvoller machen, ganz ohne Stimme. Also die höchste Form der menschlichen Stimme verbinden mit einer ganz großen Stimmlosigkeit und einer Sprache durch den Körper. Ein Tänzer. 

Eine wichtige Rolle bei »Orphea« spielen die Drehorte und die Kamera.

Als ich meinem Kameramann Dennis Pauls die großen Arien vorgespielt habe, hat er nur gesagt: »Du kannst nicht wieder alles im Lichtenberger Plattenbau drehen. Für diese Musik brauchen wir starke, adäquate Bilder.« Also ist er ein Jahr vor Dreh losgezogen und hat Motive gesucht, Orte an der Ostsee, den Geisterwald, die verlassene Kasernenstadt, das Bahndepot, die vielen Graffiti. Die ausgewählten Motive hatten wiederum einen großen Einfluss aufs Drehbuch und die Geschichte. Dass der Kolja – Eurydike – so ein Straßenköter geworden ist, hat auch damit zu tun. Am Anfang war der im Skript ein lupenreiner Tänzer. Und dann kam über unseren Choreografen Moritz Ostruschnjak der Guido Badalamenti dazu und hatte diese wahnsinnigen Augen, diese merkwürdige Physiognomie und diese irren Bewegungen. Es war auf einmal nicht mehr Tanztanz, sondern Sprache, ausgedrückt mit seinem ganzen Körper. Das hat mich umgehauen. Sein Stil in Verbindung mit den kontraststarken Orten hat eine Dimension an Schmutz und Realität in den Film gebracht, die dem Projekt vorher gefehlt hatte.

Wie haben Sie mit den Schauspielenden gearbeitet?

Die großartige Teresa Harder hat uns gecoacht, damit wir eine gemeinsame Sprache finden, weil wir ja aus ganz unterschiedlichen Richtungen kommen, aus Oper, Tanz und Schauspiel. Und von Tanz habe ich zum Beispiel gar keine Ahnung, da war ich froh, dass Moritz und Guido so viel Input reingebracht haben. Es wäre furchtbar gewesen, wenn das so ein klassisches Rumgehüpfe geworden wäre. Aber auch mit Mirjam – was da im gemeinsamen Pingpong für Charaktere entstanden sind, ist wirklich besonders. Ich liebe es, wenn man den Film zusammen entwickelt. Ich halte mich nicht für jemanden, der sich in genialischen Momenten am Schreibtisch Sensationelles ausdenkt und dann muss es am Set genau so umgesetzt werden.

Wie kam es zu diesem sehr frühen Zugang zu Oper bei Ihnen? Gab es eine Art Erweckungserlebnis?

Erst mal lief es über die klassische Musik. Mein Vater brachte von einer Trainingsreise in der Tschechoslowakei 1990 einen Gettoblaster mit, unsere erste Hi-Fi-Anlage, mit 20 Doppel-CDs klassischer Musik. Und die habe ich mir geschnappt. Da war ich sieben. Und diese Musik hat mich elektrisiert. Das habe ich auch immer wieder an vielen Kindern beobachtet, dass sie einen sehr leichten Zugang zu klassischer Musik haben. Beethoven toll zu finden, war mit sieben komplett unproblematisch, das war barrierefrei. Man fühlt ja, dass es groß ist und eine Geschichte erzählt. In der Schulzeit geht das dann wieder verloren und alle hören was anderes. 

Nicht bei Ihnen …

Ich hatte das Glück, dass ich nicht so viele Freunde hatte und Außenseiter war als Kind. Und dann hatte ich meine ältere Schwester Anett, die das mit mir zusammen gehört hat. Auch meine Oma, die in ihrer Jugend Ballett getanzt hat, hat mein Interesse gefördert. Ich weiß noch, wie ich das allererste Mal auf CD Joan Sutherland mit der Glöckchenarie in »Lakmé« gehört habe und mir der Unterkiefer runtergeklappt ist. Ich bin dann einmal pro Woche mit meinem Taschengeld in die Klassikabteilung des CD-Ladens und hab geschaut, was ich mir leisten kann. Da machte ich meine ersten Opernentdeckungen, darunter »Hänsel und Gretel«, »Cavalleria rusticana« und „Die Perlenfischer«, alles Opern, die ich bis heute über alles liebe.

Und zum ersten Mal in einem Opernhaus?

War ich erstaunlicherweise erst mit 13, in der Volksoper in Wien und habe »L’elisir d’amore« von Donizetti gesehen. Und das war so unbeschreiblich schön. Ich war das erste Mal in Wien. Mein Papa war Trainer und hatte Jugendeuropameisterschaften dort, da hat er mich mitgenommen. Ich konnte allein durch die Stadt laufen, habe einen großen Strauß Rosen gekauft und bin auf den Zentralfriedhof und habe an den Gräbern meiner ganzen toten Freunde, den Komponisten, je eine ­Rose abgelegt. Das hat mir wirklich viel bedeutet. Ich habe auch nichts anderes gelesen als Komponistenbiografien. Das war meine Welt. Und am Abend hat mich Papa zur Volksoper gebracht und da habe ich den »Liebestrank« gesehen und war verzaubert. Als Nemorino sein berühmtes »Una furtiva lagrima« gesungen hat, bin ich nur noch gestorben vor Glück. Ab da bin ich in Berlin in die Oper, später mit der Classic Card für zehn Euro in die erste Reihe. Die Komische Oper wurde mein zweites Zuhause. 

Das Interesse war aber immer nur als Zuschauer …

Erst mit 15 bin ich auf die Idee gekommen, dass ich ja eigentlich ein Instrument lernen müsste, wenn ich mit der Musik beruflich was zu tun haben will. Das kam erstaunlich spät. In unserem Sportlerhaushalt kam keiner auf die Idee, der Junge sollte doch mal Klavier lernen. Ich habe mir dann vehement ein Klavier gewünscht und versucht, zwei Jahre ganz eifrig Komponist zu werden. Ich hatte eine Klavierlehrerin, die wollte mir das Spielen beibringen, aber ich wollte Harmonielehre, wollte das Handwerkszeug haben, um komponieren zu können. Ganz wild habe ich versucht aufzuholen und bin kläglich an den eigenen Ansprüchen gescheitert. Und dann kam der Film dazwischen.

Inwiefern?

Es gab die Möglichkeit, an einer Bildungsstätte in Brandenburg drei Wochen Theater zu spielen. Da wollte ich hin. Aber leider war der Theaterworkshop schon voll und nur beim dusseligen Videoworkshop gab es noch Platz. Und weil ich mich nicht streiten wollte, habe ich eben Video gemacht und meine ersten drei Kurzfilme gedreht. Der Dozent hat uns beigebracht, wie eine Digitalkamera funktioniert. Video fand ich wahnsinnig unsexy, war es früher aber auch. Mit diesem VHS-System, das hat mich nicht interessiert. Film hat mich auch nie so interessiert, ich war ja lieber in der Oper. Aber plötzlich gab es diese Mini-DV-Kameras und so ein ganz einfaches digitales Schnittprogramm und ich konnte das alles bedienen und habe plötzlich begriffen, dass das mein Medium ist. Fast so wie Oper, wo alle Gewerke zusammenkommen. Ab da war ich infiziert vom Virus Film und habe mich an der Filmhochschule beworben. 

Das Musikalische ist Ihnen geblieben …

Das habe ich im Studium sehr zu schätzen gewusst. Ich hatte für jede Szene, die ich gedreht habe, meine Musik im Kopf, die der Wirkung entsprach, die ich erzielen wollte. Ich muss erst mal wissen, wie mein Film klingt, dann weiß ich, wie ich ihn inszenieren muss. Meinen Abschlussfilm »Dicke Mädchen« hat dann Nikolaus Bachler, der damalige Intendant der Bayerischen Staatsoper, im Kino gesehen und mich eingeladen, Musiktheater zu machen, weil ihm wohl aufgefallen war, dass es in meiner Inszenierung eine spezielle Musikalität gab.

Ihre erste Operninszenierung war dann vor zehn Jahren – in einem Kino. Da bereits eine bewusste Verbindung der beiden Kunstgattungen.

Es waren zwei Einakter. Den einen, »The Bear« von William Walton, habe ich verfilmt, mit Heiko Pinkowski und Peter Trabner, meinen Schauspielern aus »Dicke Mädchen«, und mit der So­pranistin Stephanie C. Braun. »La voix humaine« ist eine Oper von Francis Poulenc, in der eine Frau am Telefon in mehreren Eskalationsstufen versucht, ihren Verflossenen zurückzugewinnen. Die Leute waren eingeladen, ins Kino zu kommen und einen Opernfilm zu gucken. Und dann saß aber die Sopranistin mit ihrem Handy im Saal und hat angefangen zu telefonieren. Da dreht sich Heiko auf der Leinwand plötzlich zur Kamera und sagt: »Was machen Sie denn da? Wir spielen uns hier nen Bären und Sie telefonieren!« Die Sängerin beginnt im Saal zu singen, während die anderen im Film auf sie warten. Am Ende kommen beide Welten zusammen. Das kam so gut an, dass es seitdem oft den expliziten Wunsch gibt, dass ich Film mit in die Inszenierung bringe.

Wie haben Sie das Medium bei anderen Inszenierungen integriert?

Für »Orlando Paladino« von Joseph Haydn hatten wir das Prinzregententheater in ein altes Kino verwandelt, wo jeden Sonntagmorgen ein Stummfilm gezeigt wird, den der Kinobesitzer besonders mag. Und dann reißt die Rolle und geht in Flammen auf. Und die Figuren wissen nicht, was sie machen sollen. Also kommen sie ins Kino und spielen da weiter. Und dann beschließt der Kinobesitzer, in die Handlung einzugreifen. Ein wunderbares Kuddelmuddel, zwischen Bühne und Leinwand. Und bei »Pinocchio« habe ich mit ganz vielen Leinwänden gearbeitet. Da war es der Pförtner der Oper, der nachts bei seinen Rundgängen immer auf Ideen kommt und in sein kleines Heftchen Skizzen macht, die dann auf den Leinwänden entstanden. Wir haben uns ganz oft solche Sachen ausgedacht, aber nie Livekamera.

Warum?

Das finde ich schrecklich. Wenn Film verwendet wird, soll das gut gemacht sein. Und das geht nur, wenn es vorproduziert ist. Inzwischen habe ich aber eine gewisse Meisterschaft darin, die Filme so zu drehen, dass die immer auf die Musik passen und sich nicht der Dirigent an den Film anpassen muss, sondern umgekehrt. Da muss man die Einstellungen immer ein Stückchen länger lassen und im Klavierauszug gibt es ganz genaue Marker, an denen live geschnitten wird, das merkt keiner. So kann der Dirigent, die Dirigentin den einen Abend schneller und den anderen Abend langsamer dirigieren.

Wie reagiert das Opernpublikum drauf? 

Das ist ganz unterschiedlich. In München gabs auch ein paar Buhs, aber der Großteil des Publikums fand es sehr schön, dass wir mit der Form gespielt haben. Zuletzt in Hamburg gab es große Entrüstung. Da haben sich wirklich viele Leute total aufgeregt, dass es plötzlich Filme zu sehen gab. »Wir sind hier in der Oper!«, haben sie geschrien.

Inwieweit hat sich Ihr Filmemachen durch die Erfahrung der Operninszenierungen verändert?

Es hält mich frisch, in den Kunstformen hin und her zu springen. Ich habe eine Zeit lang zu viel Fernsehen gemacht. Ich habe bald gemerkt, wie es mich künstlerisch versaut, weil ich anfange, konventioneller zu erzählen. An der Oper bringt das Publikum eine viel größere Bereitschaft mit, Abstraktion zu akzeptieren. Ein Stuhl kann ein Tisch sein, ein Bett oder eine Kapelle. Man kann sich einen Wald erdenken, selbst wenn keiner da ist. Das würde im Fernsehen niemals funktionieren. Wenn die Szene nicht im realen Wald spielt, glaubt es das Publikum nicht. Die Oper hingegen erlaubt mir, fordert sogar von mir, abstrakt zu denken. Das ist wie eine Frischzellenkur für den ­Filmemacher in mir.

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