Kritik zu Alice im Wunderland

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White Rabbit reloaded, diesmal in 3-D. Tim Burtons Adaption des Kinderbuchklassikers ist eine visuelle Tour de Force, überbordend und detailverliebt und mit einer »sinnstiftenden« Vorgeschichte versehen

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Dass seine Geschichte zu einem Kinderbuchklassiker und einer popkulturellen Schatztüte werden würde, ahnte Lewis Carroll sicher nicht, als er 1864 seiner kleinen Freundin Alice Pleasance Liddell zu Weihnachten eine handgeschriebene Erzählung mit dem Titel »Alice's Adventures Under Ground« schenkte. Kurze Zeit später traten die neugierige Alice, das weiße Kaninchen und der verrückte Hutmacher einen beispiellosen Siegeszug rund um die Welt an. Bis heute faszinieren sie, nicht zuletzt wegen ihrer Dekonstruktion gesellschaftlicher Konventionen. Carroll schildert sein Wunderland als subversives Zerrbild der Gesellschaft: eine Tyrannei absurder Regeln und Machtverhältnisse.

Unzählige Male wurde der Stoff verfilmt, und wenn man jetzt staunend in Tim Burtons dreidimensionale Bilderflut eintaucht, könnte man meinen, dass das Wunderland nur auf diesen Regisseur und seine hybride Verwendung von CGI, Motion Capture und klassischen Special Effects gewartet hat. Umwerfend ist die Gestaltung der Figuren, allen voran die großkopferte, böse Herzkönigin, hinreißend gespielt von Helena Bonham Carter, die bei der kleinsten Missliebigkeit in manische »Kopf ab!«-Rufe ausbricht. Großartig auch die beiden Zwillingspummel Tweedledum und Tweedledee (»Little Britain«-Star Matt Lucas), Johnny Depp als Hutmacher und Anne Hathaway als gute weiße Königin, die so ätherisch ist, dass sie schon wieder unheimlich wirkt. Auch Alice, die in dieser illustren Gesellschaft langweilig wirken könnte, ist mit Mia Wasikowska sehr gut besetzt.

Ein kleines Mädchen wie im Original ist Alice hier nur in einem Prolog. Die Haupthandlung zeigt sie als 19-Jährige, und das Drehbuch von Linda Woolverton verwebt die allseits bekannte Grundgeschichte als Vorgeschichte in den Plot: Alice kehrt in eine Welt zurück, die sie aus traumhaften Kindheitserinnerungen kennt. Ihre Rückkehr findet in einer Konfliktsituation statt: Auf einer viktorianischen Gartenparty soll sie sich mit einem dummen Schnösel verloben. Alice erbittet sich Bedenkzeit – und wenn sie nun dem weißen Kaninchen in die Unterwelt folgt, so markiert dies natürlich auch ihren Blick in die eigene Innenwelt. Die folgenden Abenteuer erlebt sie im Labyrinth ihrer eigenen Träume und Ängste. Auch dort sind ständig folgenschwere Entscheidungen zu treffen, und sei es die Frage, ob man von einem Kuchen nascht, der einen ins Bodenlose schrumpfen lässt.

Einen Film an seiner literarischen Vorlage zu messen, ist immer etwas unfair. Doch wenn nun das Drehbuch die disparaten Elemente des Romans aufnimmt und in ein Korsett der Schlüssigkeit zwingt, wird das Spektakel auch für sich genommen allzu konventionell und letztlich austauschbar. Schon bevor Alice sich zur Heldin wandelt, haben sich Carrolls subtile Reflexionen einfach in Wohlgefallen aufgelöst. Von den verstörenden Leerstellen und Widersprüchen, der subversiven Macht seiner Geschichte bleiben auf der Leinwand nur viele bunte Zeichen.

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