Interview mit Anders Thomas Jensen über seinen Film »Men & Chicken«
Mads Mikkelsen und Regisseur Anders Thomas Jensen
Anders Thomas Jensen über seinen Film »Men & Chicken«, die Arbeit mit Mads Mikkelsen und die Zerbrechlichkeit der Zivilisation
Herr Jensen, einige Ihrer Figuren in »Men & Chicken« tragen deutsche Vornamen, ‚Franz’ und ‚Josef’ – können wir uns deren Vater deshalb als einen Anhänger des "Dritten Reiches" vorstellen?
Nein, relevanter waren für mich die biblischen Namen der Erstgeborenen, "Elias" und "Gabriel". Es gab eine Nebenlinie in der Geschichte, die im Film nicht mehr drin ist, dass der Vater seinen Glauben verloren hatte. Die Namen Franz, Josef und Gregor beziehen sich auf Kafka.
Wie sind Sie ursprünglich auf diesen Stoff gekommen? Haben Sie vielleicht H.G Wells’ "Die Insel des Dr. Moreau" wieder gelesen?
Den habe ich gelesen, als ich klein war, und die erste Verfilmung mit Charles Laughton (»Island of Lost Souls«, 1933) habe ich nie vergessen, insofern spielte das sicherlich unbewusst eine Rolle. Die Idee kam aber aus der Beobachtung meiner vier Kinder: da konnte ich sehen, wie zerbrechlich unsere Zivilisation ist, wie viel wir lernen müssen, damit wir uns nicht gegenseitig umbringen.
Dann werden Sie ihnen eines Tages den Film zeigen und sagen, "Seid froh, dass das nur ein Film ist"?
Ja: "Das wäre aus Euch geworden, hätte ich Euch nicht erzogen" (lacht).
Hat der Film in Dänemark eine Kontroverse ausgelöst oder hieß es nur, "Von diesem Regisseur sind wir ja nichts anderes gewohnt."
Letzteres. Der Film wurde als Mainstream rezipiert und ist bislang der erfolgreichste dänische Film des Jahres. Zumindest in Dänemark ist es heute schwierig. Leute zu provozieren.
Ist das trotzdem etwas, was Sie im Hinterkopf haben, wenn Sie einen Film machen?
Das ist keine bewusste Entscheidung: ich muss die Leute provozieren, damit Sie ins Kino gehen. Wenn man Figuren hat wie diese und in eine derartige Welt eintaucht, dann passiert das zwangsläufig. Ich gebe aber zu, dass ich mich gerne in diese Bereiche vortaste.
Gab es einige drastischere Szenen, die Sie schließlich herausgeschnitten haben?
Nein, die Andeutungen fand ich wirkungsvoller.
Haben Sie den Schauspielern freigestellt, welchen der Brüder sie verkörpern wollten oder für bestimmte Schauspieler bestimmte Rollen geschrieben?
Ich habe für bestimmte Darsteller geschrieben, aber während der Proben probierten wir einen Tausch aus, nur um dann zum ursprünglichen Modell zurück zu kehren.
Ich habe Mads Mikkelsen noch nie in einem Film gesehen, in dem er so anders aussah wie hier, Wir kennen ihn glatzköpfig aus »Pusher«, aber sonst hat er immer denselben Mittelscheitel. Hier hat er eine Lockenfrisur und trägt einen Schnurrbart. Ich habe mich gefragt, ob sich das nur aus seiner Figur entwickelt oder ob er damit auch die Andersartigkeit der Figur zu allen seinen sonstigen Figuren unterstreichen wollte?
Ich glaube, das ist eine Kombination von beidem. In den drei Filmen, die ich zuvor mit ihm gedreht habe, hatte er jeweils ein anderes Aussehen. Aber es kam aus der Frage, wie würde diese Figur aussehen, wenn wir sie ernst nehmen? Er entfernt sich gerne von seinem normalen Image.
Die Schauspieler haben mir erzählt, dass Sie viel Wert auf die Vorbereitung legen – mit Lesungen und Proben.
Das stimmt. Bei diesem Film war das zudem wichtig, weil wir Figuren in Grenzbereiche führen, die das Publikum herausfordern. Das bedarf einer genauen Vorbereitung – aber auch weil Drehzeit kostbar ist. Ich bin offen für Ideen in der Vorbereitung, aber nicht beim Drehen.
Dies ist erst Ihr vierter Langfilm als Regisseur, aber als Autor sind Sie sehr präsent. Machen Sie beim Schreiben einen Unterschied? Sind die Drehbücher, die Sie selber inszenieren jene, die Ihnen am meisten am Herzen liegen?
Das möchte ich so nicht sagen, denn beim Schreiben kommt jedes Mal der Punkt, wo ich denke, dieses Buch würde ich am liebsten selber inszenieren. Bei diesem Stoff wusste ich allerdings von Anfang an, da steckt so viel von mir selber drin, dabei werde ich auf jeden Fall selber Regie führen.
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