Kritik zu El Bulli – Cooking in Progress
Einblicke in ein Labor von besonderem Geschmack: Gereon Wetzel dokumentiert die Kocharbeit von Ferran Adrià und seinem Team für die letzte Saison im weltberühmten Restaurant »el bulli«
Man muss kein Kenner der avantgardistischen Küche sein, um schon mal etwas von Ferran Adrià und seinem legendären Restaurant »el bulli« an der Costa Brava gehört zu haben. Der 49-jährige Spanier gilt als Begründer und Wegbereiter der sogenannten »Molekularküche «, in seinem Restaurant gehen jährlich zwei Millionen Reservierungsanfragen ein, von denen gleichwohl nur ein Bruchteil positiv beantwortet werden kann. Dies liegt unter anderem daran, dass Adrià sein Restaurant jährlich für sechs Monate schließt, um mit seinen Souschefs in einem Küchenlabor in Barcelona nach Möglichkeiten für neuartige Kreationen zu forschen.
Für seinen Dokumentarfilm El Bulli – Cooking in Progress hat der Filmemacher Gereon Wetzel diesen langwierigen, von akribischer Feinarbeit geprägten Prozess mit der Kamera begleitet. Mehr als ein Jahr lang schaute er Adrià und vor allem seinen Mitarbeitern sowohl im Labor als auch im Restaurant über die Schulter. Dabei setzt der Film ein gewisses Grundwissen über die Materie voraus, kann aber dennoch auch für den interessierten und offenen »Neuling« nachvollziehbar und faszinierend sein.
Wenngleich die Ästhetik von El Bulli der einer anspruchsvolleren Fernsehreportage ähnelt, wiedersetzt Wetzel sich ansonsten konsequent den üblichen Dramatisierungen. Es gibt keine Interviews und keine Offkommentare, er verzichtet auf eine erzählerische Dramaturgie oder eine Kontextualisierung, die über grobe Eckdaten hinausgeht. Der gefüllte Gastraum des Restaurants und die Reaktionen der Esser werden kein einziges Mal gezeigt. Über das Leben der Protagonisten jenseits ihrer Küchenarbeit erfährt man absolut nichts.
Der Film ist geprägt von einem betont nüchternen Blick auf die Tätigkeiten in Labor und Küche. Spannung kommt lediglich auf, wenn der wie ein Guru verehrte Adrià einen seltenen Wutanfall bekommt oder wenn er eine neue Kreation seiner Crew kostet und man gebannt auf sein Urteil wartet.
Diese puristisch und durchaus etwas spröde wirkende Fokussierung auf das »Wesentliche « ist zwar bewundernswert, hat aber auch ihre Kehrseite. Oftmals kann man aufgrund von Zeitsprüngen und mangels Erläuterungen dem »Forschungsstand« der Köche kaum mehr folgen; zugleich hätte man sich an vielen Stellen ein noch genaueres und geduldigeres Beobachten gewünscht, das es einem ermöglicht, den kreativ-wissenschaftlichen Findungsprozess exakt nachzuvollziehen – oder auch die enervierende Monotonie nachzufühlen, die in einer solchen Arbeit liegen kann, wie es etwa Bettina Timm in ihrer exzellenten Doku Ich koch! (2010) gelungen ist.
Dafür gelingt Wetzel etwas möglicherweise viel Wichtigeres: die oftmals unverstandene Avantgardeküche vom Kritikpunkt der effektheischenden Schaumschlägerei zu befreien. El Bulli zeigt, wie viel Präzisionsarbeit, Kreativität und Hintersinn in den surreal aussehenden Speisen von Männern wie Adrià steckt. Im Juli 2011 schloss das Restaurant »El Bulli« übrigens für immer seine Pforten und wird bis 2014 in eine kulinarische Kreativakademie umgewandelt.
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