Kritik zu Die Moskauer Prozesse
Pussy Riot und mehr: Der Schweizer Milo Rau hat in Moskau die russischen Kunst-gegen-Religion-Prozesse der letzten Jahre nachverhandeln lassen. Die so entstandene Dokumentation gibt atemberaubende Einblicke in akute russische Denkweisen
Kommt hierzulande die Rede auf Pussy Riot, hört man oft, dass »so etwas« ja auch bei uns verboten sei. Nur würden drei junge Frauen, die sich während einer Messe, sagen wir, in den Kölner Dom einschleichen, um dort in ein unflätiges »Punk-Gebet« auszubrechen, nicht mit Gefängnis bestraft. Die drakonischen Urteile gegen zwei der Frauen (zwei Jahre Lager, bei der dritten Beteiligten zur Bewährung ausgesetzt) erregten 2012 weltweites Kopfschütteln über ein Land, das auf diese Weise mit einer von der Kunst inspirierten Protestform umgeht.
Nun hat aber Kopfschütteln über Russland im Westen eine lange Tradition – die leider eher verhindert als fördert, dass genauer hingeschaut und hingehört wird. Was eigentlich ist da los? Was denken sich die Menschen dort, und zwar sowohl die Pussy-Riot-Unterstützer als auch ihre Gegner? Auf diese Fragen kennt man kaum Antworten. Der Schweizer Theatermacher Milo Rau hat eine faszinierende Form gefunden, den »russischen Diskurs« in konzentrierter Form sichtbar zu machen. Unter dem Titel »Moskauer Prozesse« hat er im Frühjahr 2013 einen Gerichtsprozess nachstellen lassen, in dem gleich drei reale Moskauer Prozesse, bei denen Kunst und Religion gegeneinander antraten, nachverhandelt wurden. Essenziell war dabei, dass es sich bei den Akteuren um echte Beteiligte handelte. Es sollten die wahren Überzeugungen zu Wort kommen, keine »gescripteten« Bekenntnisse. Der nun daraus entstandene Dokumentarfilm ist damit zur realen Bestandsaufnahme von Gesinnungen geworden, die dem westlichen Zuschauer nicht nur sprichwörtlich die Sprache verschlagen.
Der Ort der Veranstaltung war sorgfältig gewählt: In eben diesem Pavillon des Sacharow-Zentrums in Moskau war im Januar 2003 die Ausstellung »Vorsicht, Religion!« eröffnet worden, die wenige Tage nach Beginn von Schlägern überfallen wurde, die den Großteil der Exponate beschmierten und zerstörten. Gerichtlich verfolgt wurden daraufhin nicht etwa die Kunstschänder, sondern die Kuratoren und Künstler der Ausstellung – wegen »Verbreitung von nationalem und religiösem Hass«. Eine unselige Fortsetzung erfuhr dieses Vorgehen 2007, als die Kuratoren der Ausstellung »Verbotene Kunst 2006« angeklagt wurden, weil sie Werke zeigten, die die staatlichen Museen und Galerien im Jahr zuvor abgelehnt hatten. Auch hier lag der Schwerpunkt der Anklage darauf, dass in der Kunst religiöse Gefühle verletzt würden. Diese beiden Prozesse bilden die unrühmliche Vorgeschichte zu dem, was 2012 in der Verhandlung gegen die »Pussy Riot«-Aktivistinnen kulminierte.
Interessanterweise beruft sich in Raus Film keiner der Akteure auf die Freiheit der Kunst. Vielmehr geht es den Kunstbefürwortern darum zu zeigen, dass ihre Intentionen »harmlos« gewesen seien. Eine seltsam zahnlose Argumentation gegen die Riege von mehr oder weniger charismatischen »Experten«, die im Pussy-Riot-Auftritt die Gefahr eines »Liberal-Faschismus« wittern oder haarsträubende Vergleiche zu Stalins Antireligionspolitik ziehen. So krude sind die Argumentationen – und dabei anscheinend so wirkungsmächtig (was nicht zuletzt der Trupp selbst ernannter Kosaken zeigt, der zwischendurch zum Schutz des Vaterlands den Saal stürmen will) – man muss diesen Film sehen, um es für möglich zu halten.
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