Kritik zu Grand Budapest Hotel

© 20th Century Fox

Noch mehr als seine vorangegangenen Filme schwelgt Wes Andersons neues Werk in überbordendem Reichtum an Ideen, Figuren und berückenden Bildern. Und es bietet noch etwas mehr als den erwartbaren Trip ins Reich des Skurrilen

Bewertung: 4
Leserbewertung
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4.4 (Stimmen: 9)

Ganz falsch lag der Regisseur nicht, als er in einem Interview vor der Premiere von Grand Budapest Hotel als Eröffnungsfilm der Berlinale die Befürchtung äußerte, viele Zuschauer könnten während des Films hin und wieder das Bedürfnis haben, nochmal zurückzuspulen, da er eine solche Fülle an Material und Details eingearbeitet hat. Tatsächlich legt der Film ein enormes Tempo vor und serviert in rasanter Abfolge so viel Einfälle, dass andere Filmemacher vielleicht fünf abendfüllende Werke daraus bauen würden. Auch die Besetzungsliste erinnert an Mammutwerke wie Der längste Tag: Neben Andersons Stammschauspieler Bill Murray spielen – um nur einige zu nennen – Ralph Fiennes, Adrien Brody, Saoirse Ronan, Willem Dafoe, Jeff Goldblum, Léa Seydoux, Harvey Keitel, Jude Law, Edward Norton und Tilda Swinton. Von vielen hätte man freilich gerne mehr gesehen, schlummert doch in mancher Rolle weit größeres Potenzial als in wenigen Minuten auszuspielen ist.

In mehrfacher Verschachtelung präsentiert Wes Anderson einen Autor (Law), der uns von seiner Begegnung mit dem geheimnisumwitterten Besitzer des Grand Budapest Hotel (F. Murray Abraham) berichtet, welcher dann wiederum anhebt, von dessen großen Zeiten zwischen den Kriegen zu erzählen: In den Bergen der osteuropäischen Republik Zubrowka gelegen, tummeln sich im edlen Kurhotel Anfang der 1930er die reichen Exzentriker. Im Mittelpunkt des Treibens sorgt der legendäre Concierge Monsieur Gustave (Fiennes) dafür, dass das Personal die Wünsche der Gäste erkennt, noch bevor diese sie aussprechen. Er selbst geht mit leuchtendem Beispiel voran, indem er amouröse Beziehungen zu den weiblichen Gästen unterhält, besonders, wenn diese sehr blond und sehr alt sind. Als eine dieser Damen (Swinton) stirbt und dem Concierge ein millionenschweres Gemälde vermacht, erzürnt dies insbesondere ihren Sohn Dmitri Desgoffe-und-Taxis (Brody). Gustave, im Verdacht, die Erblasserin ermordet zu haben, wird inhaftiert. Sein treuer Lobby Boy Zero (Tony Revolori) will ihn befreien, doch trotz tatkräftiger Unterstützung durch ein paar Mithäftlinge und die geheime, internationale Bruderschaft der Concierges bleibt ihm Dmitris skrupelloser Scherge Jopling (Dafoe) auf den Fersen, was unter anderem in einer furiosen Verfolgungsjagd durch die verschneite Bergwelt kulminiert.

Diese Szene ist wie einige andere eine wunderbare Bastelarbeit aus zeitgemäßen visuellen Effekten und zeitlosen Stop-Motion- und Miniaturelementen. Doch im Grunde ist jedes Bild von Grand Budapest Hotel ein Genuss. In feinziselierten, häufig symmetrischen Kompositionen schwelgt die Kamera in Dekor und Kostümen, und Görlitz, neben Babelsberg wichtigster Drehort der amerikanisch-deutschen Koproduktion, verkörpert idealtypisch eine europäische Vergangenheit, die es derart malerisch wohl nie gegeben hat.

Aus zahlreichen literarischen wie filmischen Quellen speist sich die Welt des Grand Budapest Hotel und des fiktiven Staats Zubrowka, mit denen der Demiurg Wes Anderson sein ureigenes Universum in die Historie erweitert: Der Abspann nennt Stefan Zweig, unverkennbar haben ihn auch Thomas Manns »Zauberberg« beeinflusst, Ernst Lubitschs Komödien und Hitchcocks Eine Dame verschwindet, der ebenfalls in einem fiktiven osteuropäischen Staat spielte. Anderson schlägt aber auch unerwartet düstere Akkorde an. Im anfangs bonbonbunten k.u.k.-Operettenstaat mehren sich die Zeichen des Unheils. Ein Krieg zieht herauf. Zuerst beiläufig geraten ominöse »ZZ«-Abzeichen ins Bild, die SS-Runen ähneln und dann immer präsenter werden – die »Zig-Zag-Brigaden« sind in Zubrowka auf dem Vormarsch, und mit ihnen dominieren bald das Grau der Uniformen und brutale Sitten. Auch als der Film den zuvor stets so adretten Concierge Gustave zum ersten Mal im Gefängnis zeigt, löst sein Anblick ungute Assoziationen aus: Fahl und von Misshandlungen gezeichnet, nähert er sich langsam der Kamera – ein Bild, das man eher in einem KZ-Drama denn in einer Komödie erwarten würde.

Ohne jede Frivolität kontaminiert Anderson die idealisierte, exzentrisch-freizügige Welt des Grand Hotels mit Anspielungen an reales historisches Grauen. Die Werte, die der distinguierte Concierge verkörpert und verteidigt – nämlich Stil, Anstand und Sinnenfreude – sind dem Untergang geweiht. Die Zeit der Barbaren bricht an, schillernd verkörpert von Adrien Brody als skrupellosem Schreibtischtäter Dmitri und Willem Dafoe als seinem Henker Jopling. Im schwarzen Ledermantel scheint er den düstersten Winkeln der frühen Filmgeschichte entstiegen und wirft schon mal beiläufig ein Kätzchen aus dem Fenster.

Unter der Verspieltheit von Andersons Welt lauert diesmal eine tiefe Trauer angesichts der Katastrophen der Geschichte. Der Schwung leidet allerdings nicht darunter, eher noch scheint er eine trotzige Energie daraus zu ziehen. Vielleicht ist das Grand Budapest Hotel daher weniger ein nostalgischer denn ein utopischer Ort.

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