Kritik zu Alphabet
Der Film zur Bildungsdiskussion: Nach den Themen Ernährung und Bankenkrise beschäftigt sich der österreichische Dokumentarist Erwin Wagenhofer nun mit den Defiziten einer auf Leistung getrimmten Pädagogik
Einen Riecher für Trends und Timing muss man dem Filmemacher Erwin Wagenhofer unbedingt zugestehen. 2005 realisierte er mit "We Feed the World" einen der ersten Filme zum globalen Lebensmittel-Irrsinn. Dann kam pünktlich zur Bankenkrise "Let’s Make Money" ins Kino, vor zwei Jahren mit "Black Brown White" ein Spielfilm im Schlepper-/Flüchtlingsmilieu. Und jetzt, wo in Deutschland überall heftig über Reformen des Schulsystems diskutiert wird, legt Wagenhofer den Film zu Talkshows und Buchveröffentlichungen vor.
Doch sein Ansatz reicht weiter als ins Klein-Klein von Stundentafeln und Lehrplanschelte. Schließlich regiert auch bei der Bildung längst der globale Wettbewerb: Seit Einführung der PISA-Studien 2000 steht das Lernen in weltweiter Konkurrenz und ist zum Wirtschafts- und Standortfaktor geworden. Und zum Geschäftsmodell selbst, mit dem nicht nur in China Millionen gemacht werden. Dort fängt "Alphabet" auch an, mit Szenen aus einem Bildungssystem, das die konfuzianische Tradition von Nachahmung und Gehorsam gerade mit Wettbewerb und Konkurrenzdruck aufputscht. Während PISA-Koordinator Andreas Schleicher sich von den Erfolgen beeindruckt zeigt, gibt es aus der chinesischen Erziehungswissenschaft durchaus Kritik.
Das ist schön für ihn, doch nicht unbedingt für den Film, der mit dieser singulären Erfolgsgeschichte doch arg ins Manipulative abdreht. Ebenfalls deutlich unterreizt wird die faszinierend widersprüchliche Figur von Thomas Sattelberger, einem pensionierten Telekom-Vorstand, der sich zum scharfen Kapitalismuskritiker mauserte. Wäre das nicht ein herrliches Paradebeispiel für spätes Lernen gewesen? Dass und wie auch gerade neue kommunikative Praktiken Macht ausüben können, bleibt in der Fixierung auf die traditionelle Beschulung hier außen vor. Ansonsten zeigt sich "Alphabet" im Gestus behauptend und hat in der Montage wie in der Bebilderung trotz aller scheinbaren Objektivität eine Schlagseite zum plakativen Vordenken. Für einen Film, der vom Eigensinn handeln will, nicht die beste Voraussetzung.
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