Kritik zu A Serious Man
Den Brüdern Ethan und Joel Coen ist nicht zu trauen. Das wissen wir spätestens seit Fargo, wo eine Texttafel zu Beginn des Vorspanns verkündete, es handele sich bei dem Folgenden um eine »wahre Geschichte «. Am Anfang ihres neuen Films A Serious Man steht eine Weisheit des mittelalterlichen Rabbiners Rashi: »Receive with simplicity everything that happens to you« - »Empfange mit Einfachheit das, was dir passiert «
Dieses Zitat ist in doppelter Hinsicht mit Vorsicht zu genießen, denn erstens mussten die Coens im Interview mit einem jüdischen Onlinemagazin schmunzelnd zugeben, dass sie selbst nicht mehr genau wüssten, wo sie den angeblichen Spruch des einflussreichen Talmudlehrers eigentlich herhaben; und zweitens scheint das Schicksal ihres »Helden« Larry Gopnik der lebende Beweis dafür zu sein, dass es kaum etwas Fataleres gibt, als der genannten Maxime zu folgen.
Das Jahr ist 1967, der Ort eine kleinbürgerliche Vorortsiedlung im Niemandsland des amerikanischen Mittelwestens. Larry Gopnik, respektiertes Mitglied der jüdischen Gemeinde, arbeitet als Physikprofessor am örtlichen College. Er ist in jeder Hinsicht ein »seriöser«, ein »ernsthafter« Mann. Man könnte sagen, dass die Coens diesmal einen jener Durchschnittstypen in den Mittelpunkt rücken, die in ihren bisherigen Filmen das Geschehen eher vom Rand beobachteten und nur widerwillig in die eigentliche Geschichte hineingezogen werden, Typen wie etwa der von Richard Jenkins verkörperte Fitness-Studio-Manager in Burn After Reading.
»Ich habe doch gar nichts getan!«
Der Irrsinn, auf den die Coens dabei stoßen, steht den Stories ihrer anderen Filme in nichts nach. Larry Gopniks biederes Leben gleicht in jeder Hinsicht einem Katastrophengebiet. Seine Frau will sich für einen anderen Mann von ihm scheiden lassen und sein pubertierender Sohn Danny (der exzellente Laiendarsteller Aaron Wolff als Coen-Alter- Ego) interessiert sich allein für die Rockband Jefferson Airplane, fürs Kiffen und für den störungsfreien Empfang seiner Lieblings-Fernsehserie; seine zickige Teenage-Tochter denkt nur ans Haarewaschen und die Finanzierung ihrer Nasen-OP und verschwindet allabendlich in einer ominösen Diskothek namens »The Hole«. Dann ist da noch sein arbeitsloser Bruder Arthur, der sich auf der Familiencouch eingenistet hat, fortwährend das Badezimmer blockiert und wegen illegalen Glücksspiels von der Polizei gesucht wird. Außerdem versucht ein koreanischer Student Larry für eine bessere Note zu bestechen, während dessen Vater damit droht, ihn wegen Rufmords anzuzeigen, sollte er die Sache publik machen. Zur gleichen Zeit wird Larrys Beförderung am College durch anonyme Verleumdungsbriefe gefährdet. All das (und noch viel mehr) nimmt Larry Gopnik mit geradezu aberwitziger Reaktionslosigkeit hin. »Receive with simplicity everything that happens to you« verwandelt sich bei ihm in die Wehklage »Why me? I didn’t do anything!« – was bei genauerer Betrachtung auf dasselbe hinausläuft.
Messerscharf konturiert und zugleich diffus wirkt der Lebensraum der Gopniks: eine von Menschenhand geschaffene Einöde aus uniformen Einfamilienhäusern, menschenleeren, betongrauen Straßen und akkurat gestutzten, sattgrünen Rasenflächen. Eine kafkaesk gesichtslose Urbanisation unter einem strahlend blauen Himmel – und aus Dannys Transistorradio dröhnt dazu »Somebody to Love« von dem Jefferson-Airplane-Album »Surrealistic Pillow«, ein Titel, der auch gut zu diesem Film gepasst hätte. Der einzige Baum weit und breit dient Larrys Nachbar als Alibi, um einen Teil seines Grundstücks in Beschlag zu nehmen. Der Mann, ein Ami namens Brandt mit Bürstenhaarschnitt und bulligem Quadratschädel, scheint der einzige Nichtjude der Gegend zu sein. Und es liegt eine feine Ironie darin, dass seine vermeintliche Ungerechtigkeit gegen Larry keineswegs antisemitisch motiviert zu sein scheint (wie überhaupt Antisemitismus im jüdischen Universum dieses Films überhaupt keine Rolle spielt), im Gegenteil: Als Larry vom Vater seines koreanischen Studenten konfrontiert wird, bietet ausgerechnet Brandt ihm Hilfe an. Überhaupt führt dieser raubeinige »Goi« eine mustergültige Vater- Sohn-Beziehung mit Baseball und Jagdausflug. Davon kann Larry mit seinem dauerbekifften Sprössling nur träumen.
Ratio und Religion
In aktuellen Interviews betonen die Coens, wie sehr das Bild jüdischen Provinzlebens in A Serious Man von den Erinnerungen an ihre eigene Jugend geprägt ist. Aber davon abgesehen, dass man auch diesen Selbstbezug auf die Autorentheorie mit Vorsicht genießen sollte, liegt der Reichtum ihres Films ohnehin woanders: A Serious Man ist eine Reflexion über die vermeintlichen Widersprüche und die gegenseitige Durchdringung von religiösem »Glauben« und rationalem »Wissen«. In fast all ihren Filmen spielen Fragen nach dem Dualismus von freiem Willen und vorbestimmten Schicksal eine bedeutende Rolle (man denke nur an den Münze werfenden Killer in No Country for Old Men), auch werden ihre besten Geschichten stets von einer übergreifenden Moral zusammengehalten (in Fargo beispielsweise verkörpert von der herzensguten Polizistin Marge). In A Serious Man verdichten sie diese Themenkomplexe zu einer tragikomischen Hiobs-Geschichte, bei der man gleichsam nie genau weiß, wo die Brüder die Grenze ziehen zwischen feixender Ironie und existenzialistischer Sinnsuche. Womöglich um die Erwartung der Zuschauer nicht in eine bestimmte Richtung zu lenken, haben sie nach dem All-Star-Ensemble von Burn After Reading diesmal fast ausschließlich unbekannte Darsteller und Filmdebütanten besetzt. Vor allem der renommierte Theaterschauspieler Michael Stuhlbarg als Larry und der TV-Nebendarsteller Fred Melamed als sein Verständnis heuchelnder Nebenbuhler mit dem herrlichen Namen Sy Ableman erweisen sich dabei als echte Entdeckungen. Und in typischer Coen-Manier werden viele Charaktere allein schon durch ihre Stimmlagen charakterisiert: da ist zum Beispiel der absurd tiefe Tonfall der Rabbi-Sekretärin, Larrys zunehmend hysterisch-larmoyanter Singsang und Sys bärenhafter Bass.
Vom Wunder des Parkplatzes
Der biblische Hiob, das ist in A Serious Man natürlich Larry Gopnik, der durch furchtbare Schicksalsschläge in seinem Glauben erschüttert wird. Einerseits nimmt er die demütigenden Geschehnisse mit einer Unterwürfigkeit hin, als ließe das Schicksal sich ohnehin nicht abwenden; andererseits bleibt er unerschütterlich optimistisch und begibt sich auf eine sehr zielgerichtete Suche nach Antworten auf die Frage, wie es einen Gott geben kann, wenn ausgerechnet einem guten Menschen wie ihm solcherlei Unbill widerfährt. Er besucht drei Rabbiner, die ihm gleichwohl nicht weiterhelfen können: der Erste ein emphatischer Grünschnabel, der kaum mit den religiösen Terminologien vertraut ist und in seinem winzigen Büro vom »göttlichen Wunder des Parkplatzes« erzählt; der Zweite ein selbstgefälliger Schwafler in einem luxuriösen Büro, dem die religiösen Symbole vor allem Zierde seiner Macht sind; der Dritte schließlich, ein Greis in einem riesigen, schummrigen Büro voller Kuriosa, will Larry gar nicht erst empfangen (später erfahren wir, dass er offenbar damit beschäftigt war, über die Songs von Jefferson Airplane zu sinnieren). Die Tatsache, dass Gopnik ein Professor der Physik ist, wirkt in diesem Zusammenhang wie eine überdeutliche Anspielung auf den Kontrast von Ratio und Religion. Tatsächlich jedoch begreifen die Coens beide Welten als Teil eines kosmischen Ganzen. Larrys überdimensionale, von kryptisch anmutenden Formeln übersäte Tafel findet eine Entsprechung in der Tafel der Talmudschule seines Sohnes, beschrieben mit kaum minder kryptischen hebräischen Schriftzügen. Larrys aktueller Lehrstoff besteht denn auch nicht aus klar definierbaren Lösungen, sondern aus dem Paradoxon von »Schroedingers Katze«, einem Gedankenexperiment aus der Quantenmechanik der dreißiger Jahre: Dabei geht es um eine Katze, die zusammen mit radioaktiven Molekülen in einem blickdichten Kasten eingesperrt ist und dem Gedankenspiel zufolge (das en Detail zu erklären hier zu weit führen würde) sich in einem Zustand der »Überlagerung« befindet: tot und zugleich lebendig – bis man den Kasten öffnet, um nachzuschauen, und die molekulare Situation damit unwillkürlich in einen den beiden Zustände kippen lässt: Leben oder Tod, Sein oder Nichtsein.
Triviales und Philosophisches
Larrys koreanischer Schüler erklärt, dass er zwar die Mathematik nicht versteht, wohl aber diese Geschichte – und bringt mit dem Schmiergeldumschlag voller Hundert-Dollar-Scheine geradewegs ein Mysterium à la Schroedinger in Larrys Leben: bis zum Schluss befindet sich der Inhalt des Umschlags, wie auch Larrys Schicksal, in einem diffusen Zustand zwischen Sein und Nichtsein. Erst mit dem Öffnen in der letzten Szene lässt Larry die Situation endgültig kippen: eine kleine Bewegung des Radiergummis, eine minimale Verschiebung von Bleistift-Molekülen besiegelt sein Schicksal.
Im Grunde funktioniert der gesamte Film nach diesem Prinzip. A Serious Man befindet sich Szene für Szene in einem »Überlagerungszustand « von ironisch-blasphemischem Spiel und spiritueller Ernsthaftigkeit. In welche Richtung das Ganze kippt, hängt allein davon ab, aus welchem Blickwinkel man diesen Zauberkasten aus religiös-historischen Anspielungen und philosophischen Verweisen öffnet.
»Accept the Mystery« lautet ein zentraler Satz des Films und die Sinnhaftigkeit der Bezüge mag sich in der Tat nicht immer erschließen, originell sind sie allemal. Wenn Larry vom Dach seines Hauses eine verführerische Nachbarin beim Sonnenbad beobachtet, ist das – wenn man so will – die Suburbia-Version der Geschichte von König David, der einst vom Dach seines Palastes aus die schöne Bathsebah erblickte (als weiterer Dreh ist die Nachbarin frisiert und geschminkt, wie die Jefferson-Airplane-Sängerin Grace Slick). Und wenn der entnervte Larry dem aufdringlichen Vertreter eines Plattenclubs am Telefon erläutert, dass er das Santana- Album »Abraxas« nicht haben und nicht hören wolle, mag man darin lediglich einen surrealen Gag sehen (die Platte kam nämlich erst 1970 auf den Markt), oder aber eine Anspielung auf das Gottheitswesen »Abraxas«, das bei frühchristlichen Gnostikern unter anderem für die sieben Stufen der Erleuchtung stand. Die bekiffte Bar-Mitzwa-Zeremonie des jungen Danny Gopnik, eine der schönsten Szenen des Films, könnte eine sarkastische Umsetzung des alten Spruchs vom »Opium fürs Volk« sein, wirkt in ihrer liebevollen Inszenierung und den anrührenden Gesten der Beteiligten aber vor allem wie eine unorthodoxe Visualisierung dieses berauschenden, bewusstseinserweiternden Initiationsrituals. Und ist es zynisch oder erhaben, dass Larrys genialischer Bruder Arthur mit Hilfe der Kabbala nach einer Formel sucht, um seine Chancen beim Glücksspiel zu steigern? Selbst die vermeintlich trivialen Weisheiten der drei Rabbiner, im ersten Moment komödiantische Kabinettstücke, lassen sich als genuin philosophische Blicke auf die Welt betrachten – und dass Gott möglicherweise durch die Verse einer Rockband wie The Jefferson Airplane zu den Menschen spricht, ist so oder so ein sympathischer Gedanke. »No Jews were harmed in the making of this motion picture« heißt es ganz am Ende des Abspanns von A Serious Man, ein Gag, der mögliche Vorwürfe eines »jüdischen Antisemitismus« höhnisch ad absurdum führt. Aber nicht nur das: anders als bei dem pathetischen Rashi-Zitat zu Beginn darf man den abschließenden Spruch wörtlich nehmen: Durch diesen Film wurde niemand verletzt. A Serious Man ist eine liebevolle Hommage an die Erfahrung jüdischen Lebens in Amerika – Coen-Style.
Kommentare
Pretentiöser Spoilertext
Zuviel "Handlung" - vs. zu wenig "Meinung"
Pretentiöse Sprache vs. Erkenntnisgewinn
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