Im Herzen brünett
Die Schönheit ist im Kino nie unschuldig. Sie überstrahlt, was sie umgibt. Sie besitzt eine Macht, die alles Andere verdrängen, ausradieren kann. Nicht einmal zu denen, die sie besitzen, ist sie gerecht. Man unterschätzt sie gern, spricht ihnen andere Tugenden ab: als sei die Schönheit eine eifersüchtige Gabe, die neben sich weder Klugheit noch Talent duldet.
Die Anerkennung, die ihr längst schon gebührt hätte, errang Virna Lisi erst, als sie gegen ihre Schönheit anspielte. Für die Rolle der Catarina de' Medici in Die Bartholomäusnacht wurde ihr der Haaransatz geschoren, sie trägt fast eine Stirnglatze. Schön ist sie in dieser Maskierung dennoch; ihre Anmut war nicht zu tilgen. Aber die bizarre Frisur wirkte wie das nötige Korrektiv, das den Betrachter ihre Schönheit erst ernst nehmen ließ. In Cannes wurde sie dafür 1994 ausgezeichnet, Darstellerpreise in Frankreich und in Italien folgten. Das hätte, wäre sie eine französische Schauspielerin gewesen, der Auftakt einer großen, späten Karriere sein können. Aber da die italienische Filmindustrie in den 1990er Jahren praktisch nicht mehr existierte, konnte sie ihrer Laufbahn außer zwei Auftritten bei Cristina Comencini in Geh, wohin dein Herz dich führt und Der schönste Tag in meinem Leben keine nennenswerten Glanzlichter mehr aufsetzen. In einer gerechteren Welt hätte schon ihre Rolle in Gino und Elvira – Alte Liebe rostet nicht von Cristinas Vater Luigi fünf Jahre zuvor diese Wende herbeiführen können. Aber eine Tragikomödie über zwei Großeltern, die ihr Glück ihren Kindern opfern, wollte damals kaum jemand sehen.
Auch ihre bis dahin bekannteste Rolle, in ihrem Hollywooddebüt Wie bringt man seine Frau um?, markierte keinen wirklichen Wendepunkt in ihrer Karriere. In meiner Herzens- und Kinobildung allerdings sehr wohl. Als ich Richard Quines doppelbödig misogyne Komödie vor vielen Jahren auf dem Festival von Deauville sah (in einer Hommage an ihren Co-Star Jack Lemmon), hinterließ ihr erster Auftritt einen unauslöschlichen Eindruck. Bis heute ist mir unbegreiflich, weshalb sich damals, 1965, nicht die halbe Menschheit in Virna Lisi verliebte. Wie sie da bei einem Junggesellen-Abschied zu den Klängen von Neal Heftis coolem Schmeicheljazz aus einer Überraschungstorte emporsteigt, ist ein Kabinettstück platinblonder Verlockung. Es besitzt eine erhabene Anzüglichkeit, wie ihr Mund dabei stumme Laute formen und sie später mit der Zunge über ihren Lippengloss fährt. Ob Drehbuchautor George Axelrod wohl wusste, dass Lisi im italienischen Fernsehen mit einem Werbespot für Zahnpasta Furore gemacht hatte, dessen schauderhafter Slogan lautete „Bei einem solchen Mund ist es egal, was sie sagt“? Gleichviel, in der Szene sprüht ihre Stummheit vor Esprit. Es geniert mich fast ein wenig, dass Quine von den sublimen Großaufnahmen ihres Gesichts einmal auf eine Halbtotale schneidet, die sie in einem Bikini zeigt, der aus Sahne zu bestehen scheint. Der Sex-Appeal ihres Antlitzes allein hätte mir schon genügt.
„One of the great beauty shots of all time!“, begeisterte sich auch mein Freund Robert Osborne, als wir zusammen das Kino verließen. Als altgedienter Hollywood-Chronist verstand er eine Menge von dem Glamour, der dort fabriziert wird und konnte vielleicht gerade deshalb diese Explosion europäischen Flairs umso mehr würdigen. Ich mochte Lisi aber auch in den Szenen, in denen sie spricht und aufhört, eine Erscheinung zu sein. Gewiss, ihre Figur entspricht den landläufigen US-Klischees von italienischem Temperament. Aber Lisi verkörpert es mit entwaffnender Lebhaftigkeit. Sie entwickelt eine ganz selbstverständliche, mediterrane Zielstrebigkeit darin, Lemmons Leben umzukrempeln. Ihre Fürsorge ist unerbittlich (wenn ich an die Salamis und Schinken denke, mit denen sie seine Küche umdekoriert, muss ich schmunzeln) und ihre Hingabe unwiderstehlich: Manchmal besteht die Weisheit einer Kinofigur schon darin, dass sie kein Zögern und keinen Zweifel kennt.
Von da an war ich ergriffen von Lisis Schönheit. Ihre Lippen waren voll auf eine Weise, die sie wie eine kostbare Wunde aussehen ließ. Ihr Schönheitsfleck besaß Noblesse und in ihren Augen funkelte Wehmut. Ich kannte sie zuvor nur aus ein paar Nebenrollen, etwa in Joseph Loseys Eva und Henri Verneuils Spionagethriller Die Schlange. Da ist sie prunkend unterbeschäftigt, in Eva ist Jeanne Moreau der eigentlichen Star; bei Verneuil geht sie auf in einem verschwenderisch hochkarätigen, internationalen Ensemble. Ihren Namen fand ich übrigens immer schon toll. Nach der Epiphanie, die mir ihr Hollywooddebüt bescherte (das mich im Übrigen nie darüber täuschte, dass sie in Wirklichkeit und wohl auch im Herzen brünett war) schaute ich mir jeden Film an, in dem sie zu sehen war. Es waren wenige Offenbarungen darunter. Sie ist großartig in Pietro Germis schonungsloser Sittenkomödie Aber, aber meine Herren, die sich 1966 in Cannes die „Goldene Palme“ mit Ein Mann und eine Frau teilen musste. Ihre Rollen in Episodenfilmen waren meist flüchtig, aber aus Casanova 70 ist sie mir in guter Erinnerung und in Die Puppen fand ich sie erfreulich lasziv. Der Sandalenfilm Romulus und Remus war mittelprächtig (Sergio Corbuccis Meisterwerk in diesem Genre scheint mir doch eher Der Sohn des Spartakus zu sein), Die schwarze Tulpe kein Meisterstück des Mantel-und-Degen-Films, aber ihre Leinwandpräsenz adelte sie. Ich sah sie auch gern in Partisanenfilmen, obwohl dort etwas zu oft Anthony Quinn ihr Partner war. Meine Leidenschaft ließ mich nicht einmal vor Wolfsblut zurückschrecken, einer jener deutschen Jack-London-Verfilmungen, in denen Anfang der 70er US-Serienstars wie Ron Ely und Doug McClure ihr Gnadenbrot fristeten. Da spielt sie eine Nonne, was natürlich vorteilhaft ist, denn kaum etwas bringt ein Antlitz wie das ihre so wunderbar zur Geltung wie der Schleier. Es war kein Film darunter, von dem ich mir nicht gewünscht hätte, ihre Rolle sei größer, charismatischer und weniger funktional. Virna Lisis Talent zur Herausforderung, ihre Glaubwürdigkeit als romantische Gegenspielerin, schöpfte keiner von ihnen aus. Ihr blieb meist nur ein kleiner Spielraum, aber den brachte sie zum Leuchten. Liliana Cavanis Jenseits von Gut und Böse habe ich leider nie gesehen, darin könnte ihr Part substanzieller sein. Ihre Schönheit ging kein Bündnis ein mit dem Autorenkino, wie es Cardinale oder Deneuve klugerweise schlossen. Sie gehörte weder den Regisseuren noch den Kameraleuten, sondern nur ihr und ihrem Publikum.
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