Der Tod hält sich nicht an Wochentage
Es hilft vielleicht, Europäer zu sein, um beim Western zuerst an die Himmelsrichtung zu denken. Das ist der Ort, sagte Damiano Damiani einmal, wo die Sonne untergeht. Das Schlusspanel jedes Lucky-Luke-Albums erinnert zuverlässig daran.Der italienische Regisseur hatte aber wohl ein existenzialistische Ortsbestimmung im Sinn: Der Weg dorthin führt ins Dunkel.
Welche zivilisatorischen Abgründe hier lauern, führt eine kleine, schmucke Auswahl von Italowestern vor Augen, die das Berliner Zeughauskino an diesem Wochenende zeigt. In der Reihe "Sammelt Filme!", die regelmäßig ein Schlaglicht auf private Filmarchive wirft, feiert es diesmal das KommKino Nürnberg, das auf ein inzwischen mehr als 50jähriges Bestehen zurückblickt. Der Schwerpunkt der Sammlung liegt auf Zelluloidkopien aus den Randbereichen des Genrekinos, auf welche die seriöse Filmkritik für gewöhnlich mit beträchtlichem Abscheu blickte. Einen schillernden Ruf genießt die wackere Initiative nicht zuletzt dank des legendenumwobenen Hofbauer-Kongresses, über den alljährlich beispielsweise die Autoren von critic.de berichten.
Konstantin Hockwin, eines der Mitglieder des Nürnberger Vereins, führt am Freitag und Samstag in drei Italowestern aus den späten 1960ern ein, die auf 35mm in deutschen Synchronfassungen zu sehen sind. Darunter befinden sich zwei inzwischen anerkannte Klassiker. Den Auftakt macht »Der Tod ritt dienstags« von Tonino Valerii, den Abschluss bildet »Tepepa« (Giulio Petroni), dazwischen läuft »Django spricht das Nachtgebet«. Von Regisseur Mario Caiano kenne ich bisher nur ein, zwei beachtliche Sandalenfilme sowie den zünftigen »Erik, der Winkinger« mit Giuliano Gemma und Gordon Mitchell. Caiano sattelte ziemlich früh auf den Western um, legte sich diverse englischsprachige Pseudonyme zu vertraute die Hauptrollen meist Anthony Steffen an, dessen Gegenspieler diesmal William Berger verkörpert. Django kommt zwar, wie so oft, gar nicht vor, dafür ist die Rachegeschichte unmittelbar nach Ende des Bürgerkriegs angesiedelt, was in aller Regel ein spannungsvoller Hintergrund ist.
Beim Italowestern stellt sich das Problem der hiesigen Überlieferung in besonderer Weise. Es fängt mit den abenteuerlichen Verleihtiteln an. Wer, mal abgesehen von einigen wenigen Eingeweihten, käme schon auf die Idee, dass sich hinter »Durch die Hölle, Companeros«, »Der Eliminator« und »Tepepa – Viva la Revolucion« derselbe Film verbirgt? Streng genommen handelt es sich meist auch nicht um den selben Film, sondern um Versionen, die anders montiert, gekürzt oder synchronisiert wurden. Hockwin zeigt »Tepepa« in der ersten deutschen Verleihfassung, die rund 20 Minuten kürzer ist als Petronis Original. Valeriis Film hingegen dürfte in einigermaßen integraler Länge zu sehen sein.
Er nimmt die Figurenkonstellation von dessen Westernulk »Mein Name ist Nobody« grimmig vorweg. Ein erfahrener Revolverheld (Lee van Cleef) nimmt einen jungen Heißsporn (Gemma), dessen Schießkünste bereits beachtlich sind, unter seine Fittiche. Als unehelicher Sohn einer Prostituierten, der seinen Vater nie kennenlernte, befindet sich Gemma anfangs ganz unten in der Hackordnung der korrupten Stadt. Der "Bastard" ist dazu verdammt, allmorgendlich die Fäkalien der Einwohner einzusammeln. Die Begegnung mit dem geheimnisvollen Fremden namens Talby gibt das Versprechen auf eine glorreiche Zukunft aus. Der Veteran gibt dem Ausgestoßenen, der bisher nur Scott hieß, einen Nachnamen (Mary, wie seine Mutter) sowie das Gefühl, wertgeschätzt zu werden. In neun Lektionen lehrt er ihn, wie man als Revolverheld überlebt. Scott ist ein gelehriger Schüler, der seinem Meister bereits die achte erteilen kann. Hier treffen zwei Männer aufeinander, die nicht mehr einsam sein wollen; van Cleef gehört zu den wenigen Stars des Genres, die eine kühn homoerotische Note in ihr Spiel einbringen. Talbys Wohlwollen scheint groß, aber ihre Partnerschaft erweist sich als letztlich strategisch. Der skrupellose Talby will die Macht in der Stadt an sich reißen. Zum Glück hat Scott einen zweiten Mentor (Walter Rilla), der ihn in Talbys Technik einweist und ihm zugleich klar macht, dass er dabei ist, den falschen Weg einzuschlagen. Die Schießereien sind fabelhaft inszeniert, insbesondere ein Duell zu Pferde, bei dem die Gewehre in vollem Galopp geladen werden. Von der ersten bis zur letzten Einstellung beweist Valeriis Film eine schöne Sympathie für die Außenseiter der Gesellschaft.
Mit Petronis »Tepepa« hat er nicht nur den erhabenen Einsatz diverser Drehorte in der Tabernas gemeinsam (das weißgetünchte Pueblo wird Ihnen sofort in die Augen fallen), sondern auch die spektakulär transatlantische Besetzung. Hier kollidieren Tomás Milián als vom Volk verehrten Rädelsführer (zugegeben, ein gebürtiger Kubaner, aber vollends eingemeindet als charismatischer Held des italienischen Genrekinos) und Orson Welles als gefürchteter Offizier der Rurales miteinander. Der große Franco Solinas hat mit »Tepepa« seinen zweiten Revolutionswestern nach »Töte, Amigo« (so kommt Damiani in diesem Eintrag doch noch zu seinem Recht) verfasst, in dem wiederum der Schlachtruf "Land und Freiheit" erklingt. Solinas hat in den Revolutionswirren stets die Gegenwart von 1968 fest im Blick, der rachsüchtige Dritte im Bunde (John Steiner) ist sehr vage Che Guevara nachempfunden, der ebenfalls als Arzt anfing, sich für die Unterdrückten einzusetzen. Ein fürwahr furioser Western, fast eine brechtsche Allegorie auf soziale Entrechtung, die mit zielstrebiger Ambivalenz durch die an Verwerfungen reiche politische Gemengelage navigiert. Auf dieses Meisterwerk wurde ich übrigens erst vor ein paar Jahren aufmerksam, dank einer Gedenktafel unweit unseres Hotels in Almeria, die daran erinnerte, dass an dieser Stelle eine Schlüsselszene gedreht wurde.
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