Kritik zu Für immer hier
Walter Salles erzählt vom langen Schatten der brasilianischen Militärdiktatur, indem er die Geschichte der Familie Paiva schildert, die damit fertig werden musste, nie mehr genau zu erfahren, was mit dem Vater nach dessen Verhaftung geschah
So schlicht und einfach wie die Feststellung des Titels ist auch die Präsenz der Frau, die für diesen Akt des stillen, aber unbeugsamen Widerstands steht. Und für die Schauspielerin Fernanda Torres, die sie verkörpert und dafür bereits mit dem Golden Globe ausgezeichnet wurde und auch für den Oscar nominiert ist, zusammen mit einer Nominierung als bester Film, der ersten für einen brasilianischen Film in der Geschichte der Oscars. Die Stärke dieses Films liegt in der unaufgeregten Ruhe seiner dokumentarisch zurückhaltenden Erzählweise, in der Art, wie sie das Wesen dieser Rebellion spiegelt.
Es beginnt mit Bildern aus dem Alltag einer Familie, im Sommer, am Strand, zu Hause am Tischkicker, gemeinsam essend, tanzend, spielend. Eine der vier Töchter probiert ein weißes Hemd des Vaters an, er lässt sie gewähren. Jugendliche albern ausgelassen im Auto herum und filmen sich dabei in flirrenden Bildern. Eine alltägliche Leichtigkeit liegt über diesen unscharf aufgenommenen Szenen mit Siebzigerjahre-Flair. Einen ersten Dämpfer bekommt diese unbeschwerte Stimmung mit dem jähen Einbruch der Politik: Das Auto der Jugendlichen gerät in eine Militärkontrolle, willkürlich aggressiv werden die Kids eingeschüchtert, herumkommandiert und geschubst. Man ahnt, das kann überall und jederzeit passieren. Und dann klingelt es eines Tages an der Tür, Männer schwärmen ins bürgerliche Haus der Familie Paiva in Rio de Janeiro, ziehen die Vorhänge zu, unterbinden Gespräche, nehmen den ehemaligen Kongressabgeordneten Rubens Paiva ohne Erklärung mit zum Verhör, »Ich werde bald zurück sein, meine Geliebte«, sagt er beschwichtigend zu seiner besorgten Frau und lächelt ihr noch einmal sanft zu, bevor er in sein Auto steigt. Mehrere Männer bleiben im Haus, ein paar Tage später werden auch Eunice und eine ihrer Töchter abgeholt und mit Säcken über dem Kopf zum Verhör gebracht.
In der von 1964 bis 1985 währenden brasilianischen Militärdiktatur wurden viele Regimekritiker und Oppositionelle verhaftet, gefoltert und ermordet, die Hinterbliebenen erfuhren nie, was mit ihnen passiert war. Eunice Paiva hat nicht nur ihre fünf Kinder allein großgezogen, sondern parallel ein Jurastudium abgeschlossen und sich lebenslang als Aktivistin für die Hinterbliebenen der Opfer der Diktatur eingesetzt. 2015 hat Marcelo Rubens Paiva, der elf Jahre alt war, als sein Vater entführt wurde, sie zur stillen Heldin seiner autobiografischen Erzählung gemacht. Verfilmt hat sie Walter Salles, der seinem Land in »Central Station« bereits mit dokumentarischem Gespür den Puls gefühlt hat und in »Die Reise des jungen Che« die Entwicklung des jungen Che Guevara zum kubanischen Revolutionär begleitete. Auch in »Für immer hier« nutzt er die intime Nähe zu einem einzelnen Schicksal, um der Geschichte seines Landes nachzuspüren.
Damit setzt der Regisseur die Arbeit der Familie Paiva fort, die unablässig damit beschäftigt ist, Dokumente gegen das Vergessen zu schaffen, in Fotos, Home Movies und Büchern. Einmal wird die vaterlose Familie vom Fotografen eines Magazins vor ihrem Haus fotografiert, kurz bevor sie aus Rio de Janeiro wegziehen müssen. Mehr Ernst und Traurigkeit fordert der Journalist, doch Eunice weigert sich: Nicht die Tragödie will sie abgebildet sehen, sondern die Zuversicht, den Zusammenhalt, die Würde und die Kraft ihrer Familie.
Und genau das tut auch der Film, indem er dieser Geschichte einen größeren Rahmen gibt, ihre Wirkung multipliziert und sie in die Kinos trägt. Seine widerständige Kraft bezieht er aus der erstaunlichen Abwesenheit von Aggression, Wut und Gewalt, aus der Stärke und Präsenz einer einzelnen Frau und aus der demütigen Zurückhaltung aller Gewerke, vom Schauspiel über Schnitt, Kamera bis zu Ausstattung und Kostüm. Am Ende wird die von Alzheimer gezeichnete Eunice von Fernanda Montenegro verkörpert, der leiblichen Mutter von Fernanda Torres, die ihrerseits für ihre Rolle der Lehrerin in »Central Station« bei den Oscars 1998 als beste Hauptdarstellerin nominiert war, damals als erste Schauspielerin aus Lateinamerika.
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