Krieg, Krise, Unkultur

In drei Wochen wird die Buchhandlung Wolff, das vorletzte Traditionsgeschäft in Herford, nach 151 Jahren endgültig ihre Türen schließen. Seit vier Generationen war es in Familienhand. Zwar lagen in den Schaufenstern stets die aktuellen Neuerscheinungen aus, aber ansonsten hatte man es nicht eilig, mit der Zeit zu gehen.

Das düstere Interieur hatte sich seit Jahrzehnten nicht verändert. Abgerechnet wurde noch mit einer alten Registrierkasse der Marke Adler. Quittungen wurden, allerdings ungern, von Hand ausgefüllt. Ein Nachbar bezweifelte, ob das überhaupt legal war. Als Grund der Geschäftsauflösung wird der frühe Tod des letzten Eigentümers angegeben. Zudem war die Konkurrenz durchs Internet, der Filiale einer bundesweiten Kette sowie der letzten verbliebenen Buchhandlung vor Ort wohl einfach zu groß.

Auch die Eltern von Thilo Mischke, der nun doch nicht Moderator des Kulturmagazins "titel thesen temperamente" in der ARD wird, waren Buchhändler. Von ihnen habe er gelernt, wie man Kultur verkauft, erklärte der Reporter nach seiner Ernennung. Ich bin nicht sicher, ob das dem elterlichen Selbstverständnis entsprach. Im Ost-Berlin der 1980er Jahre, in dem er aufwuchs, hatte man bestimmt einen anderen Begriff dafür. Aber in seiner bewegten, smarten, anscheinend auch preiswürdigen Journalistenlaufbahn hat Mischke in der Regel gezeigt, dass er mit der Zeit zu gehen versteht. Nach den Sexismus-Vorwürfen, die in aufmerksamen Kreisen gegen ihn erhoben wurden, war er als Moderator einer zeitgemäßen Kultursendung allerdings nicht mehr haltbar. Über seine offenbar kruden, frauenfeindlichen Thesen, die er in Büchern, Podcasts und diversen TV-Formaten verbreitete, war vielerorts zu lesen. Darüber hinaus erscheint er mir grundsätzlich als eine Fehlbesetzung. Der "unterkomplexe Kulturbegriff", dessen er sich nach seiner Nominierung brüstete, ließ alle Alarmglocken schrillen. Das schiefe, hinreichend spöttische Grinsen, mit dem er beim Fototermin neben dem Sendungslogo auftrat, machte es nicht besser. Mit seiner Ankündigung, ab jetzt gehe es um Krieg, Krise und Kultur, schmiegte er sich zwar der Alliterationslust der Sendung an, aber die Reihenfolge machte misstrauisch. Obwohl, im Prinzip hätte die sogar gepasst, denn als leidgeprüfter Zuschauer der wenigen verbliebenen Kultursendungen muss ich feststellen, dass man dort längst lieber über Politik debattiert - auch dies ein Zeichen von Hochmut gegenüber dem eigentlichen Gegenstand.

Die ARD verkündete anfangs, sie freue sich auf "seine Sicht auf Kultur". Das war, wie inzwischen durchsickert, vornehmlich die Ansicht der Programmdirektion, während es in der Redaktion durchaus Widerstände gab. Alarmiert hätten beide sein müssen. Schließlich war Mischke bislang auf anderen, buntscheckigen Gebieten in Erscheinung getreten – vor allem mit spektakulären politischen Reportagen sowie schlüpfrigen Magazinen im Privatfernsehen -, im Kulturbetrieb jedoch nicht. Die ARD wünschte sich offenbar einen Draufgänger, der den breitbeinig moderierenden Max Moor ablösen kann und genug Expertise mitbringt, um die im Privat-TV relevante Altersgruppe bis 49 Jahre anzusprechen. Ist mit dem späten Einlenken der ARD die Boulevardisierung der öffentlich-rechtlichen Kulturprogramme nun abgewendet?

Mitnichten, die Affäre ist eher ein Vorschein. Denn die Auffassung, hier gehe es um ein schwer vermittelbares Gut, das vulgarisiert (nicht im wertfreien französischen Sinne gemeint) werden muss, bleibt bestehen. Diese existenzielle Verunsicherung betrifft darüber hinaus zahlreiche einschlägige Institutionen. Mir scheint, es werden derzeit überall nur Kulturverkäufer gesucht. Quereinsteiger sind willkommen. Vorwiegend scheint man diese Aufgabe momentan Managern zuzutrauen. Man denke nur an den glücklosen Kultursenator Berlins, der nunmehr ausschließlich den Mangel verwalten muss und auch davor nicht durch leidenschaftliche Visionen für die hiesige Kulturlandschaft aufgefallen ist. Das Primat der Ökonomie, das in Berlin schon einmal mit der Wahl des Musikmanagers Tim Renner als Kulturbeauftragtem aufblitzte, ist kein exklusiv deutsches Phänomen.

Mit zunehmender, sich zuweilen heftig aufbäumender Resignation verfolge ich den Niedergang der französischen Kulturpolitik. Verzeihen Sie diesen Anflug von Nostalgie, aber seit Jack Lang scheint mir das Ressort verwaist. Es liegt ein Fluch auf ihm. Die Minister lösen sich in solcher Eile ab, dass man sich nicht einmal mehr ihre Namen merken kann. Wie hieß nochmal die Ministerin, die keinen Roman des frisch gekürten Nobelpreisträgers Patrick Modiano gelesen hatte, weil ihr das Aktenstudium keine Zeit ließ? Traditionell werden in Frankreich Kabinettsposten vorwiegend an Abgänger der Eliteschulen vergeben. Meist haben diese hochgestellten Bürokraten reichlich Erfahrung im Finanz- und Wirtschaftssektor. Kulturferne ist mithin, wenn man von der heroischen Ausnahme der Verlegerin Francoise Nyssen absieht, eher eine Empfehlung. Unter Macron hat sich die Entfremdung vertieft. Er betrachtet das Ressort als ein schmückendes Spielzeug, schlimmstenfalls auch nur als einen demokratischen Oktroy. Die amtierende Ministerin Rachida Dati bekleidet, das ist zweifellos ein Rekord, den Posten bereits in der dritten Regierung unter seiner Präsidentschaft. Sie zeichnen stählerner Ehrgeiz und enormer Tatendrang aus. Als sie Justizministerin unter Sarkozy war, kehrte sie schon fünf Tage nach der Geburt ihres Kindes in ihr Büro zurück. So viel politische Leidenschaft ist selbstverständlich bewundernswert. Es wäre allerdings schön, wenn sie die Zeit fände, sich gelegentlich auch bei Ausstellungseröffnungen, Theater- oder Filmpremieren sehen zu lassen.

 

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