Kritik zu Misty – The Erroll Garner Story
In »Wo bist du, João Gilberto?« forschte Georges Gachot nach dem verschollenen Erfinder des Bossa Nova. Nun nähert er sich einer weiteren Legende populärer Musik
Die Lobreden und Superlative prasseln anfangs nur so herein über das Publikum. Er war eines der großen Piano-Genies. Der Mann, für den das Klavier erfunden wurde. Einer, der so schnell spielte, als habe er vierzig Finger. Der erste Jazzkünstler, der ein Album einspielte, das über eine Million Mal verkauft wurde. Und bei alledem ein Naturtalent, das keiner Ausbildung bedurfte.
Wem der Name Erroll Garner zuvor nichts sagte, der mag beim Sehen dieses Films sowohl sachte Schuld als auch tiefe Dankbarkeit empfinden, nun von diesem kapitalen Unwissen erlöst zu werden. Allzu groß wird dieses Publikumssegment wohl nicht sein, denn in Jazz-Dokumentationen gehen eh meist die Bekehrten. Garners Klassiker »Misty« wird ohnehin jeder schon einmal gehört haben, sei es als Fahrstuhlmusik oder als Leitmotiv in Clint Eastwoods Regiedebüt »Play Misty for Me«, das bei uns den kurios unerklärten Titel »Sadistico« trug.
Georges Gachot kann für seine Aufklärungsarbeit aus dem Vollen schöpfen: Von keinem Jazzvirtuosen sind so viele Konzertaufzeichnungen und Talkshow-Auftritte überliefert wie von dem 1977 verstorbenen Garner. Der Dokumentarist wird nicht müde, dieses historische Material zu zitieren: als eine fortwährende Exposition, in der sich der Film des Gewichts seines Themas treuherzig versichert. Garners Temperament wird hier wuchtig spürbar. Das Spielen war für ihn eine fröhliche, schweißtreibende Arbeit an der Beglückung seines Publikums. Kein Stück spielte dieses Genie des Augenblicks zweimal auf die gleiche Weise. Er brauchte Mitspieler, die sich auf den Stegreif einlassen konnten – geprobt wurde oft erst beim Auftritt. Gachot hat das Glück, drei Überlebende dieses Furors vor die Kamera zu bekommen. Garners Schlagzeuger und zwei seiner Bassisten geben Auskunft über Freude und Pein ihrer Zusammenarbeit. Einmal entwickelt Gachot mit ihnen sogar eine eigene Idee, wie mit Garners Musikalität filmisch umzugehen wäre – als er sie die Aufnahme des Solos »Coquette« von 1952 postum begleiten lässt.
Noch ein zweiter Film gewinnt allmählich Kontur, der sich von den historischen Aufnahmen löst. In diesem erzählerischen Strang kommen Garners Tochter, die er nie anerkannte, sowie seine letzte Lebensgefährtin zu Wort. Hier tun sich emotionale Abgründe und Risse im überlieferten Bild auf. Der Nähe, die Gachot in diesen Passagen herstellen will, eignet zuweilen etwas Voyeuristisches. Gleichwohl setzt er in dieser inszenierten Intimität tiefe Verletzungen in ihr Recht, die sich nicht als bloße Melancholie dingfest machen lassen. Stimmungsvoll will sein Film allerdings sein. Dafür spannt er nicht zuletzt den großartigen Trompeter Nils Petter Molvaer ein, der zusätzliche Filmmusik komponiert hat. Derweil sucht Filip Zumbrunns Kamera an den Drehorten beharrlich nach Poesie. Als er ein Feuerwerk über der New Yorker Skyline einfängt, imitiert der Film gar den Auftakt zu Woody Allens »Manhattan«. Weshalb die Gegenwartsszenen zwischen Schwarz-Weiß und Farbe changieren, wird dabei nie ganz ersichtlich. Der Wechsel schärft die Wahrnehmung nicht, sondern bleibt eine visuelle Floskel.
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