Kritik zu Jupiter
Aus der Perspektive eines Teenagermädchens erzählt Benjamin Pfohl vom Konflikt zwischen sektenhaften Glücksversprechen und der schmerzhaften Realität in einer schwierigen Welt
Von Beginn an wird klar, dass Benjamin Pfohls Film »Jupiter« in zwei Welten spielt. Da ist zunächst eine hypnotisierende Stimme, die aus dem Off von Wärme, Winden und Stärke erzählt; davon, dass der Geist sich befreie, die Adressaten der Stimme alles loslassen, zurücklassen und zulassen sollen. Am Ende die frohe Botschaft: »Wir sind frei.« Schnitt. Tim Kuhns Kamera beobachtet eine Gruppe ausgelassen tanzender Teenager in Leipzig, darunter Lea (Mariella Aumann), die Hauptfigur in »Jupiter«.
Was folgt, erscheint rätselhaft. Da sind die merkwürdig aufgewühlten Eltern (Laura Tonke und Andreas Döhler). Leas Bruder Paul (Henry Kofahl) scheint an einer extremen Angststörung zu leiden. Eine Schulstunde zum Thema Evolutionstheorie entwickelt sich zur Außenseitererfahrung für Lea. Ihre Einlassung, dass die Erde eine Kolonie sei, es »immaterielle Lebensform« auf dem Jupiter gebe und wir vom größten Planeten des Sonnensystems abstammten, setzt sie dem Spott der Mitschüler aus.
Pfohl führt das Publikum allmählich an den Kern seiner Geschichte heran. Es geht um den elementaren Gegensatz zwischen nüchterner Rationalität und dem extravaganten Glauben von Menschen, die am Hier und Jetzt leiden und eine Rückkehr zu früherer Harmonie herbeisehnen. Die verspricht ihnen Ulrich Matthes als sinister-sanfter Meister der Manipulation. Sein Untergangs- und Endzeitgeraune (»Diese Welt, sie verträgt uns nicht«) mündet in ein Versprechen: »Wir reisen mit dem Kometen zum Jupiter.« Dieser Komet heißt Calypso und bewegt sich gerade auf die Erde zu.
Mit Hilfe von Zeitsprüngen und Rückblicken fächert Pfohl die Familienvorgeschichte auf und erklärt die Motivation von Leas Eltern. Die Familie bewegt sich länger schon schwankend im Krisenmodus und sucht Erlösung in einem sektenhaften Kollektiv. Döhler als anfangs noch unsicherer Vater und Aumann haben konfrontationsreiche Dialogmomente.
Aumann (Jahrgang 2006) trägt den Film, als Lea blickt sie halb gläubig, halb skeptisch auf eine Umgebung, die für ein Glücksversprechen das eigene Leben opfern würde. In Aumanns Mimik und in ihren expressiven Blicken spiegelt sich das Dilemma eines sich seiner selbst noch unsicheren Teenagers und einer zunächst wehrlosen Tochter, der die Eltern eine absurde Entscheidung aufzwingen. Aumann begegnet ihrem Kollegen Ulrich Matthes auf Augenhöhe, beide können sich in puncto Intensität miteinander messen. Aumann beglaubigt nuanciert die Entwicklung ihrer Figur: ihre gedankliche Emanzipation und wachsende Widerstandskraft.
Kuhns Kamera übersetzt die Antagonismen des Films in eindrucksvolle Bilder. Himmelserscheinungen voll visueller Poesie kontrastiert er mit Leas Lebensalltag: Partys, Tanz, Alkohol, Zigaretten und einer lesbischen Annäherung. Das Ende lebt von Großaufnahmen. Zu sehen sind die vorfreudig strahlenden Gesichter der Jupiter-Reisenden sowie Lea, die ihrer zuvor von Matthes beschworenen »inneren Wahrheit« folgt.
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