Wie klingt eine Rückblende?

Diese Fragen lässt sich relativ einfach beantworten. Die maßgebliche, unbarmherzigere aber lautet: Wie hört sich der Sonnenschein an? So oder so gehen wir ein wenig in der Zeit zurück.

Ich war eine ganze Weile außer Gefecht gesetzt, weshalb Sie bei den derzeitigen & kommenden Einträgen den Eindruck gewinnen könnten, hier melde sich Rip van Winkle zu Wort. Die Tyrannei der Aktualität ist also vorerst außer Kraft gesetzt. Heute geht es um einen Film, der allerdings durchaus noch in einigen Kinos läuft, aber unterdessen sein Medium gewechselt hat. »In Liebe, Eure Hilde«. Laila Stieler hat nämlich nicht nur das Drehbuch geschrieben, das Andreas Dresen in Szene gesetzt hat, sondern aus dem Stoff auch ein Hörspiel entwickelt. Mit der Entdeckung wäre ich übrigens auch ohne Unpässlichkeit spät dran gewesen. Das Stück wurde zum ersten Mail am 1. März im rbb gesendet, mithin kurz nach der Premiere des Films auf der Berlinale. Aufmerksam darauf wurde ich jedoch erst, als ich das Hörspiel im Programm von Deutschlandfunk Kultur fand, wo es Ende Oktober/Anfang November in zwei Teilen ausgestrahlt wurde. Das dortige Programmschema legte nahe, dass die Sendezeit zweimal anderthalb Stunden betragen würde. Die Erwartung, dass auf dem Äther zusätzliche Szenen zu hören seien, Outtakes sozusagen, oder gar ein anderer dramaturgischer Bogen, war hoch. Tatsächlich ist das Stück, das Sie in vier Teilen in der Audiothek nachhören können (https://www.ardaudiothek.de/episode/in-liebe-eure-hilde/in-liebe-eure-hilde-1-4/rbb/13192625/) etwa so lang wie die Kinofassung. Regie führt Judith Lorentz, mit der Stieler zuvor schon mehrfach zusammengearbeitet hat – eine serielle Monogamie im Radio, wenngleich nicht ganz so ausdauernd wie die im Kino mit Andreas Dresen.

Im Podcast „Vollbild“ des rbb spricht sie ausführlich über das Projekt (mehr über den Film und ganz allgemein über Hilde Coppi und die »Rote Kapelle«), beispielsweise über die Heldenkultur in der DDR, wo der Widerstand Schulstoff war, und auch über die historischen Forschungen von Hilde und Hans' Sohn Hans jr. Das Gespräch ist eine kleine Schatztruhe, in der man Wesentliches über die Genese des Projektes erfährt. Hilde war Angestellte der Reichsversicherungsanstalt; auch in der Folgeinstitution wurde über sie geforscht. Ihr Umfeld war eher ein Freundeskreis als eine ausgewachsene Organisation. Stieler war fasziniert, dass Hilde Coppi eine eher unverhoffte Heldin war: Über ihre Ängste spricht sie ausführlich im Film wie im Hörspiel. Die Schließerin im Gefängnis, die erst nur ihren Nachnamen Kühn nennt, bevor sie ihren Vornamen Anneliese preisgibt, war eine noch ambivalentere Figur: Nach dem Krieg setzte sie ihre Arbeit in Gefängnissen in der DDR fort.

Die Rundfunkfassung, deren Dramaturgie in den bewährten Händen von Juliane Schmidt lag, spielt erst am Ende des Podcast eine Rolle. Laura Stieler behauptet, diese sei unabhängig und parallel zum Drehbuch entstanden. Aber ich vermute stark, Ersteres war schon fertig, bevor Zweiteres entstand. Kurz geht sie auf die medialen Unterschiede ein, die sie „komplett“ nennt. Die Stille, die dem Film mitunter zu Gebot steht, funktioniert hier nicht, oder doch zumindest ganz anders.

Ihr Hörspiel folgt der Chronologie des Films relativ genau, was bedeutet: Es folgt einer doppelten, der Erzählebene im Gefängnis und den Erinnerung an den Sommer mit Hans und den Kameraden, der sie in die Haft gebracht hat. Die Rückblenden vollziehen sich zunächst melodiös, Tanzmusik führt zurück zu der Begegnung mit ihm und dem Kreis. Später, wenn die Ebenen etabliert sind, ist diese nicht mehr nötig, da geht es atmosphärisch zurück in die Vergangenheit. Das Hörspiel wird experimentierfreudiger, sobald es einmal Tritt gefasst hat. Unglaublich, welch prominente Stimmen Judith Lorentz für ihr Stück gewinnen konnte, selbst für kleine und Kleinstrollen: Imogen Kogge, Winnie Böwe, Steffie Kühnert. Marie-Lou Sellem, Devid Striesow u.a. mehr. Die Stimmen von Udo Schenk als Ankläger und Jaecki Schwarz als Richter werden wunderbar montiert, ihre Einlassungen liegen gleichsam in Schichten übereinander. Florian Lukas taucht in beiden Inkarnationen des Stoffes auf: im Film als Gefängnisarzt (den im Radio Axel Prahl spricht, ein veritabler Dresen-Veteran), im Hörspiel als Heinrich Scheel, einem Mitglied der Roten Kapelle, dem Hilde beim Gefangenentransport wieder begegnet. Die Hauptrollen wurden mit Alina Stiegler und Aram Tafreshian eindrücklich besetzt.

Beim Hören darf man den Film getrost vor Augen behalten. Wenn das Radiostück die Wegmarken des Drehbuchs rekapituliert, werden diese stimmungsvoll evoziert. Stieler nimmt sacht neue Gewichtungen vor, Das Physische, Gestische der Geburt und des Stillens des kleinen Hans jr. Lassen sich akustisch nicht einholen. Die Passagen sind notwendig knapper. Bei den ersten Funkversuchen von Hans, dem spielerisch-erotischen Erlernen der Morsesignale, blüht das andere Medium hingegen auf. Das alles kam mir länger vor. Ihre Albträume, ihre quälenden Erinnerungen werden spürbar in einer Kakophonie der Geräusche und Stimmen, die sie erzittern lassen. Gab es im Film Fliegeralarm? Ich habe es vergessen. Der Konflikt, in dem sie gegenüber der Freundin ihrer Mutter gefangen ist, mit dessen inhaftiertem Sohn sie zusammen war, schien mir prägnanter. Auch die Reaktion ihrer Mutter, als sie von dem Todesurteil erfährt, empfand ich als eindringlicher. Das Hörspiel operiert geschickt mit einer anderen räumlichen Konzentration, es verdichtet szenisch.. Deshalb fehlt leider auch das Warten vor der Vollstreckung des Todesurteils, die Schlange vor dem Hinrichtungstrakt, wo Hilde noch ein paar Sonnenstrahlen erhascht. Das „Denk an etwas Schönes – an die Sonne“ des Films vermisse ich sehr.

Aber davor gibt es die Begegnung mit dem Gefängnispfarrer. Alexander Scheer ist hervorragend im Film, er scheint mittlerweile endgültig aus seiner Volksbühnen-Rotzigkeit erlöst zu sein. Nun aber spricht ihn der große Jens Harzer. Wiederum rührte mich Hildes unfassliche Höflichkeit, ihr selbstverständlicher Anstand – das Gefühl, auch im Gefängnis, in der Todeszelle, noch den Geboten der Gastfreundschaft gehorchen zu müssen. Sie bietet ihm Gebäck und Nüsse an, auch eine Tasse Tee. Ihre Verlegenheit ob der Gegebenheiten ist zauberhaft. Harzer greift das zugewandt auf. Es entsteht große Intimität zwischen Stiegler und ihm. Sie ist nicht flüchtig. "Können sie es vorlesen?" fragt sie, als er Hans' Abschiedsbrief hervorholt, „Sie haben so eine angenehme Stimme.“ Sie gesteht ihm, dass sie ihr ganzes Leben Angst hatte. "Sie?" entfährt es ihm, "das ist doch unmöglich!" Jede Pause ist wie ein unsichtbarer Schnitt.

Am Ende diktiert sie ihm die letzten Zeilen, denen Film und Hörspiel ihren Titel verdanken. Der Brief ist ein Vermächtnis, das sie in keine besseren Hände geben könnte: "Gut, den überbringe ich persönlich." Ist das ein Trost? Gewiss. Was wäre Menschlichkeit, die sich in unmenschlichen Verhältnissen zeigt, denn sonst?

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