Sky: »Get Millie Black«
© Warner Bros. Discovery, Inc.
Kein schöner Land, nirgends. Die Scotland-Yard-Ermittlerin MillieJean Black zieht es nach 18 Jahren in Großbritannien zurück in ihre alte Heimat Kingston in Jamaika. Der Grund ist einerseits eine berufliche Verfehlung, die wie eine schwarze Wolke über ihr schwebt, jedoch wohl erst in der fünften, letzten Folge dieser Miniserie (von der vier Folgen vorab zu sehen waren), gänzlich enthüllt werden wird. Und dann sind da die Geister der Vergangenheit, die ihr keine Ruhe lassen. Tatsächlich entpuppt sich Kingston, wo Millie erneut als Polizistin arbeitet, als abgründiger Ort, der Millie an ihre Grenzen und schließlich zurück nach London führt.
Traurige Tropen. Der jamaikanische Drehbuchautor Marlon James macht seinem Ruf als Schriftsteller, der mit rabiaten Sex- und Gewaltszenen dahin geht, wo es wirklich weh tut, alle Ehre. Für seinen Roman »Eine kurze Geschichte von sieben Morden«, inspiriert von einem Mordversuch an Bob Marley 1976, wurde er 2015 mit dem Man-Booker-Preis, dem wichtigsten britischen Literaturpreis, ausgezeichnet. Die Motive seiner Romane finden sich auch in dieser Krimiserie wieder.
Millie geht mit ihrem Partner Curtis auf die Suche nach dem vermissten Mädchen Janet, stößt auf weitere vermisste Kinder und bekommt es mit einer den Ozean überspannenden Gang zu tun. Die Ermittlungen führen das Duo hinauf in die Villen der postkolonialen weißen Oberschicht in den Hügeln und hinunter nach Downtown Kingston bis in den »Gully«. Dort lebt, trotz Millies Versuchen, ihn zur Rückkehr ins alte Elternhaus zu bewegen, auch ihr Bruder Orville – oder vielmehr ihre Schwester Hibiscus, die als Prostituierte anschafft. Man darf schon mal gespannt sein, wie die deutsche Synchronisation das jamaikanische Patois, das die von der Transgender-Schauspielerin Chyna McQueen verkörperte Hibiscus spricht, übersetzen wird. Ein wiederkehrendes Thema ist die brutale Homophobie der Gesellschaft, die, neben Hibiscus, auch der mit einem Mann zusammenlebende Curtis zu spüren bekommt.
Der immer größere Kreise ziehende Krimiplot mit Leichen noch und nöcher gewinnt zusätzliche Intensität durch eine Methode, die James bereits in seinen Romanen anwandte. Jede Folge ist aus der Perspektive einer anderen Figur erzählt. Der eingeflogene Scotland Yard Detective Holborn, der Millie in ihre Ermittlungen funkt, das Mädchen Janet und auch Hibiscus verleihen dem Geschehen jeweils neue Facetten. Im Zentrum steht aber Tamara Lawrance in einer überzeugenden Darstellung als toughe, jedoch von Identitätsproblemen und Schuldgefühlen gequälte Frau. Einst ließ Millie bei ihrem Weggang aus Jamaika ihren kleinen Bruder Orville bei ihrer psychopathischen Prügelmutter zurück. Diese Gewissensqual treibt Millie bei ihrer frenetischen Suche nach den vermissten Kindern an – wobei sie, nolens volens, eine Spur der Verwüstung hinterlässt. So hat diese Krimiserie, vor Ort in Kingston gedreht, trotz der durchsonnten Schauplätze die Anmutung einer griechischen Tragödie. Ein jamaikanischer Film noir, fesselnd und tiefgründig.
OV-Trailer
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