Autobiographie eines Hauses

Wer sich mit Eileen Gray beschäftigt, sollte Widersprüche mögen. Die 1878 in Irland geborene Designerin begrüßte die Avantgarde mit offenen Armen und entschied dann, dass sie seelenlos sei. Sie war keine ausgebildete Architektin, entwarf jedoch eines der berühmtesten Privathäuser der Moderne. Es gilt als Denkmal der Liebe zu einem Mann, obwohl sie eigentlich Frauen vorzog.

Die Villa, die in Roquebrune stolz die französische Riviera überragt, wurde zu einem Bauwerk von einsamem Rang. Zwar ist ihr Name E. 1027 numerisch aus den Initialen ihrer Erstbewohner gebildet. Aber Grays Beziehung mit dem Architekten und Publizisten Jean Badovici (Bado) überdauerte den Einzug nur um zwei Jahre. In Beatrice Mingers Essayfilm „E.1027 – Eileen Gray und das Haus am Meer“ erfährt man, dass das keine Tragödie war. Tim Abele hat im Oktoberheft eine schillernde Kritik dazu veröffentlicht, der ich nicht viel hinzuzufügen habe – außer dem Kontext, in dem der Film steht. Er läuft schon eine Weile (zu viele Abgabetermine zwischendrin), aber ich vermute, dass er ein Longseller werden könnte. Er ist von speziellem Interesse und dürfte eine entsprechend spezielle Kinokarriere vor sich haben. Dem Start gingen Ausstellungseröffnungen in Kaiserslautern und Basel voraus. In diesem Monat stehen Vorführungen in Kooperation mit den Architektenkammern von Passau und Berlin an.

Gray macht bereits seit geraumer Zeit und derzeit nun besonders Furore. Im letzten Jahr bereits erschien bei Dumont ein Roman über sie, „Das Haus am Meeresufer“ von Joséphine Nicolas. Gestaltungskraft und Lebensgeschichte der Designerin scheinen außerordentlich anschlussfähig zum Zeitgeist zu sein: als eine flexible Projektionsfläche. Ich bezweifle indes, dass es je ein waschechtes Biopic über sie geben wird, denn sie eignet sich nicht als Spielfilmfigur. Ihre Geschichte hält keine romantischen, geschweige denn sentimentalen Gewissheiten bereit. Die Person Gray entzieht sich der Fiktion, dazu war sie zu freisinnig, zu vernünftig auf ihre Arbeit konzentriert und ganz allgemein zu sehr in der Wirklichkeit ihrer Gegenwart heimisch. Nicolas' romancierter Zugriff überzeugt mich nicht vom Gegenteil. Offenkundig hat die Schriftstellerin (hinter ihrem Pseudonym verbirgt sich eine frankophile Hannoveranerin, die ganz vernarrt ist in das Fluidum der 1920er Jahre) die Sekundärliteratur akribisch studiert; wie in ihrem vorangegangen Gatsby-Roman wollen die Charaktere nie vollends zu literarischem Leben erwachen.

Die Spielszenen in Mingers Film tragen der Verwurzelung Grays in der Realität entschieden Rechnung. Ihre Darsteller sprechen keine Dialoge, sondern rezitieren Sätze, die ihre Rollenvorbilder einmal geschrieben haben. Diese Passagen setzt die Regisseurin wahlweise auf einer minimalistisch drapierten Bühne oder in der fabelhaften Villa in Szene, wo ebenfalls ein kluger Verfremdungseffekt zum Tragen kommt. Dabei flackert allerdings mehr als das rein Verbürgte auf. Immerhin haderte Gray mit den Rollenbildern, die seinerzeit die Gesellschaft einer schöpferischen Frau auferlegte. In einem Kern erzählt ihre Biographie von Enteignung: Bado und später auch sein Freund Le Corbusier ließen es zu, dass die geneigte Öffentlichkeit die Urheberschaft des Hauses nicht Gray, sondern ihnen zuschrieb. Die Fresken, mit denen Le Corbusier ohne ihr Wissen und ihre Zustimmung die ausdrücklich schlichten Wände in E.1027 verzierte, darf man mit Recht eine Schändung nennen. Im zweiten Kern jedoch handelt Grays Vita davon, dass sich ihre Kreativität von den Konventionen der Zeit nicht zähmen und domestizieren ließ. Ihr heutiger Ruhm ist mithin auch eine historische Rückerstattung.

Einer Freundin, die in einem Architekturbüro arbeitet, sagte Grays Name sofort etwas. Sie wusste von dem Anspruch, den Le Corbusier auf das Haus anmeldete. (Er ist auch juristisch kompliziert und verschlagen; ein Weg der dorthin führt ist überdies nach dem Schweizer Architekten benannt.) Das Innere der Villa war meiner Freundin ansatzweise aus einer Rekonstruktion vertraut, die 2019 die Akademie der Künste in Berlin ausstellte. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Original aufwändig restauriert. Erst zwei Jahre später wurden diese Arbeiten vollendet. Nun ist E.1027 auch der Öffentlichkeit zugänglich, auf Anmeldung und in kleinen Gruppen kann das Kleinod besichtigt werden. Davor drohte es, zu verfallen, nachdem der letzte Eigentümer, ein Schweizer Arzt, von seinen Gärtnern ermordet wurde. . Um es in diesem Stadium zeigen zu können, greift Beatrice Minger nicht zuletzt auf Impressionen aus Jörg Bundschuhs einstündiger Dokumentation „Eileen Gray – Einladung zur Reise“ von 2006 zurück. Das tut sie indes nicht annähernd so ausführlich, wie Andres Veiel gerade in seinem „Riefenstahl“ auf Ray Müllers "Die Macht der Bilder" rekurriert. Aber für jeden Film heute gibt es einen anderen, der ihm vorausging.

Bundschuh hat sein Porträt 2010 mit seiner Firma „kick!“ auf DVD herausgebracht. Sie ist unbedingt empfehlenswert, denn sie liefert eine umfassende Vorgeschichte. Beide Filme ergänzen einander fabelhaft. Bei Minger beispielsweise erfährt man, dass Gray ihre frühen Lacharbeiten aufgab, weil sie davon Ausschlag an den Händen bekam. Beide Filme beginnen mit dem Ort, mit einem Meeresrauschen im Off, bei Minger hört man, dass es eine Totale sein wird, bei Bundschuh eine nähere Einstellungsgröße. Es gibt zahlreiche Überschneidungen (vor allem in Grays Selbstzeugnissen: „Ein Haus, für einen Mann bestimmt, der Arbeit, Sport und Gesellschaft liebt.“) und keine nennenswerten Differenzen. Beide porträtieren das selbe künstlerische Temperament, für das Design eine Seinsäußerung ist und Architektur eine selbstverständliche Erfüllung von Wohnwünschen. Das Gesamtkunstwerk E.1027 (Bado: „Warum baust du kein Haus für deine Möbel?) steht bei Bundschuh im Zentrum, aber der Fokus bleibt stets weit gefasst. Er lässt exzellente Kenner und Zeitzeugen zu Wort kommen, darunter den Industriedesigner Konstantin Gric und den Händler Zeev Aram, der von Gray die Lizenz zum Nachbauen ihrer elegant praktischen Möbel erwarb. Eine wunderbare Trouvaille ist die Feststellung eines der talking heads, dass sie eine der Ersten war, die mit Aluminium experimentierten (für ihr Schlafzimmer in der Pariser Rue Bonaparte), das damals noch teurer war als Gold, weil es die Armee im Ersten Weltkrieg benutzte.

Mit dem Alten zu brechen, um etwas Neues zu schaffen, zieht sich als roter Faden durch diese Künstlerinnenbiographie, die selbstbewusst das 20 Jahrhundert durchschritt. Man kann immer nur in der Gegenwart arbeiten, war sie überzeugt, in seiner Zeit. Ihre Wiederentdeckung begann in den 1970er Jahre. Gray, die fast 100 Jahre alt wurde, hat sie noch miterlebt. Tatkräftig wirkte daran Philippe Garner mit, der als Auktionator bei Christies eine besondere Rolle spielte. Er berichtete ihr umgehend von den Erlösen, die ihre alten Arbeiten brachten. Das interessierte sie wenig, sie war in Gedanken schon weiter. „Ich wollte über die Vergangenheit sprechen“, erzählt Garner, „aber sie sprach nur über aktuelle Projekte und neue Ideen.“

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