Kritik zu Vena

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Das in Narration und Bildsprache empathische Spielfilmdebüt von Chiara ­Fleischhacker über eine süchtige Schwangere wertet nicht und stellt das Strafvollzugssystem für Mütter infrage

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Jennys (Emma Nova) Haar ist schwarz gefärbt, ihre Nägel lang, bunt und künstlich, ihre Klamotten knapp, ihr Gesicht krass geschminkt. Wer sie sieht, steckt sie gewiss schnell in eine Schublade. Außerdem ist Jenny schwanger, es ist ihr bereits deutlich anzusehen. Sie weiß weder, in welchem Monat sie ist, noch hält es sie davon ab, zu rauchen oder weiter Crystal Meth zu konsumieren. Gemeinsam mit ihrem Freund und Kindsvater Bolle (Paul Wollin), der meistens auf Montage ist, wohnt sie in einem anonymen Hochhausblock. Sie hat bereits einen Sohn, der bei ihrer Mutter aufwächst und den sie nur selten sieht. Die Tage plätschern dahin. Aber Jenny muss demnächst eine Haftstrafe antreten und sie beginnt sich zu fragen, wie es weitergehen soll.

Chiara Fleischhacker weiß, dass sie ihr Publikum mit einer schwierigen Protagonistin konfrontiert. Ihr Spielfilmdebüt nähert sich Jenny daher ganz behutsam an, lässt uns an ihrem Alltag teilhaben. Zwischen der liebevollen Pflege ihrer Orchideen und der Zeit, die sie mit ihrem Sohn verbringt, schimmert eine Verletzlichkeit und Erfahrungen durch, die Jenny hart gemacht haben. Wenn ihr Bolle einen Wohlfühltag spendiert, bei der Nägel mit Flammenmustern und Mineralwasser mit Kohlensäure schon ein Highlight auf dem Wunschzettel sind, deutet sich an, wie trist dieses Leben im Grunde ist. Die Droge ist nicht nur Flucht aus, sondern ein Aspekt dieses Alltags. Etwas, das Jenny und Bolle brauchen, um zu funktionieren. In Jennys anfänglichem Misstrauen gegenüber der Familienhebamme Marla (Friederike Becht) verdichten sich jahrelange Begegnungen mit Behörden aus dem Gesundheits- und Sozialsystem, die Jenny beurteilt haben, ohne ihr eine Perspektive aufzuzeigen. Sie fasst allmählich Vertrauen zu Marla und will alles besser machen. Sie weiß aber nicht, wie. 

Filme mit süchtigen Frauen als Hauptfiguren sind selten. Die Tatsache, dass Mutter und Kind unmittelbar – durch die titelgebende Vena umbilicalis, die Nabelschnurvene – miteinander verbunden sind, macht das Thema hier besonders heikel. Daran, wie schädlich Jennys Konsum für ein ungeborenes Kind ist, lässt der Film keinen Zweifel, er verurteilt aber auch nicht. Der Stress ihrer verzweifelten Bemühungen, einen Platz in einem der wenigen Mutter-Kind-Heime zu finden, um ihre Haftstrafe mit ihrem Kind abzusitzen, dürfte fast genauso schädlich sein. 

Lisa Jilgs Kamera bleibt bei alldem wie eine Komplizin nah an Jenny, die Perspektive eine stets mitfühlende. Warme Farben schaffen direkt zu Beginn ein Gefühl von der Behaglichkeit des Nests, das sich Jenny in Bolles Wohnung zu bauen versucht. Die Gründe für Jennys Sucht und ihre Geschichte lässt Fleischhacker bewusst vage, genau wie das Verbrechen, für das sie in Haft muss. Der Film widersetzt sich so geschickt und konsequent häufig bemühten Erklärungsmustern, vermeidet Klischees und widersteht der Versuchung eines Happy Ends. 

Es mag diskutabel sein, ob ein Kind in Haft aufwachsen sollte. Aber solange es Frauen gibt, die eine Geschichte wie Jenny erleben, muss unsere Gesellschaft bessere Lösungen für sie finden.

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