Ein Upgrade, keine Erlösung
Das hatte ich lange nicht mehr im Kino erlebt: Mittendrin verschob sich der Bildstrich. Das musste beim Rollenwechsel passiert sein. John Wayne, Ward Bond und die anderen waren plötzlich zweigeteilt. Ihre Köpfe waren nach unten verrutscht, während ihre Leiber nun darüber zu sehen waren. Mich erheiterte das kleine Missgeschick, das bald behoben war; schon aus Nostalgie.
"Eben eine Filmkopie", stellte mein Freund Herb mit jener milden Nachsicht fest, die man gern gegenüber vorsintflutlichen Techniken walten lässt. Immerhin war er es gewesen, der zu unserer Verabredung schrieb, »The Searchers« müsse man einmal im Leben auf der Leinwand sehen. Wie sich herausstellte, hatten wir das beide schon getan. Aber im Arsenal lief an diesem Abend eine 70-mm-Kopie des frisch restaurierten Westerns, eine einmalige Gelegenheit. Da die Restaurierung digital stattfand, mussten wir auf einige Besonderheiten des Zelluloid verzichten, namentlich auf die von mir schmerzlich vermissten Überblendungszeichen bei den Rollenwechseln. In der Schlange vor uns standen Spezialisten, die über die jeweils besten Kopien fachsimpelten, die sie von John-Ford-Filmen gesehen hatten. Einer konnte sich gar rühmen, "How the West was won" (Das war der wilde Westen) in der originalen Cinerama-Fassung erlebt zu haben. Ich hätte gern gehört, wil ihr Urteil über diese Kopie ausfiel.
Ford drehte »The Searchers« (Der schwarze Falke) 1956 in dem famosem Breitwandformat VistaVision, noch auf 35mm, das nun "aufgeblasen" werden musste. Mir war klar, dass wir nicht die Brillanz und Tiefenschärfe eines echten 70-mm-Films erwarten durften. Vielmehr war damit zu rechnen, dass die Qualitäten des Ausgangsmaterials potenziert würden. (Der Ton war wahnsinnig laut.) Und tatsächlich erging es mir in etwa so wie bei der Vorführung von »Licorice Pizza« in diesem Format, über die ich am 8.2. 2022 im Eintrag "Energie" schrieb: alles im Bild ein wenig lebhafter, aber nicht von kristalliner Schärfe. Die Unschärfe wiederum einiger Einstellungen war umso deutlicher zu sehen, auch die Day-for-Night-Aufnahmen sowie die Studiokünstlichkeit einzelner Szenen (im Winter, der Hinterhalt von Futterman und seinen Schergen) stach deutlicher hervor. In diesem Format, das ungleich reicher an Bildinformationen ist, fielen mir eine Menge Details auf, die ich vorher nicht so klar betrachtet hatte, etwa die Ockertöne des Wassers am Flussufer, in dem sich die Pferde suhlen oder der Lapsus, dass der Darsteller des begrabenen Comanche, dem Wayne in die Augen schießt, noch atmet (hätte ich schon auf meiner DVD bemerken können, wie ich sogleich nachprüfte). Wie großartig Olive Carey, die Darstellerin der verständigen Nachbarin Mrs. Jorgensen ist, stach mir ebenfalls ins Auge. Auch ein paar kleine Ellipsen erstaunten mich diesmal mehr. All das verdankte sich weniger dem Format. Mein Blick war geschärfter. Vielleicht ging es an diesem Abend nicht darum, wie sich der Film nun verändert hatte, sondern um meine Aufmerksamkeit.
Zum ersten Mal sah ich »The Searchers« am 1. September 1973, der auf einen Samstag fiel. Einen Tag zuvor war John Ford gestorben und das Fernsehen änderte sein Programm. Heute unvorstellbar, aber zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr zeigte das ZDF »Der Mann, der Liberty Valance erschoss« (Schwarzweiß!) und die ARD unmittelbar danach, im Anschluss an »Das Wort zum Sonntag«, eben »Der schwarze Falke«. Für mich als John-Wayne-Fan war das ein Festtag. Wir besaßen bereits einen Farbfernseher. Indes, dier Festtag nahm ein vorzeitiges Ende, als mich meine Eltern nach einer Dreiviertelstunde ins Bett schickten. Mein glühender Protest blieb vergebens. Allerdings war der Zeitpunkt des Abbruchs gut gewählt: mit dem Ende des ersten Teils, der ungemein dicht über wenige Tage erzählt ist. Ward Bond und seine Posse geben auf, von nun an werden Ethan Edwards und Martin Pawley (Jeffrey Hunter) allein auf die Suche nach seiner Nichte Debbie gehen, die von den Comanche verschleppt wurde. Nach diesem 1. September malte ich mir unablässig aus, wie die Odyssee der Zwei wohl weiter gehen würde und schrieb die Handlung in kleinen Romanen fort. Als ich Jahre später die Kompletten »Searchers« sah, war ich enttäuscht. Mit meiner jungenhaften Phantasie konnte er nicht mithalten.
Als ich meinem Freund Bodo am Abend nach der Vorführung davon erzählte, erwiderte er gescheit: "Der erste Teil ist stringent, danach wird er episch." Stimmt, dachte ich nun, »The Searchers« muss seine Fassung wieder finden, er muss das Tempo und seinen Ton ändern. Meinen jugendlichen Irrtum hatte ich natürlich schon lange vorher eingesehen, und mit jeder neuen Gelegenheit gewann der Film in seiner Gänze an Selbstverständlichkeit. Diesen Wandel durchlebte ich jedoch allein, mit Ausnahme von ein, zwei Kinovorstellungen. Die 70mm-Vorführung war ziemlich ausverkauft. Ich entdeckte ein paar altbekannte Gesichter im Publikum, Wiederholungstäter wie ich, aber insgesamt lag der Altersdurchschnitt bemerkenswert niedrig. Was würden die Jüngeren wohl von ihm halten, würden sie einen Western über einen Rassisten sehen oder einen rassistischen Western? Das Publikum ging wirklich mit, besonders bei den ulkigen Szenen des Liebeswerbens zwischen der resoluten Vera Miles und dem tumben Hunter. Auch der Funke typisch Fordschen Humors, der aus der Gemeinschaft entsteht, der Folklore von Familie und Nachbarschaft, sprang über. Ob das Publikum sich mit der Wehrhaftigkeit der weißen Siedler anfreunden mochte, kann ich nicht sagen. Mir imponierte, dass sie genau wissen, was in Situationen der Gefahr zu tun ist. Am Schluss wurde applaudiert.
Als »The Searchers« 1956 herauskam, wurde Ethan noch als konventioneller Westernheld wahrgenommen. Ein Jahrzehnt später war er bereits lesbar als Gleichnis auf den Vietnamkrieg. Immerhin ist es der erste US-Film, in dem schonungslos gezeigt wird, wie die Kavallerie ein Massaker unter Indianern anrichtet. Um welchen furchtbaren Preis die Zivilisation in den Westen getragen wurde, hatte Ford bis dahin vornehmlich aus Sicht der weißen Siedler erzählt. Der Moment, als Hunter in einem Zelt die Leiche seiner "Ehefrau" Look findet, ist herzzerreißend. Aber zum Ende findet ein weiterer Feldzug statt, als Ward Bond und die Bürgerwehr durch ein Dorf der Comanche reiten, um Häuptling Scar (auf deutsch: Schwarzer Falke) endgültig zur Strecke zu bringen. Allein schon das Tempo, in dem sie durch das Dorf galoppieren, ist mitreißend. Ohne diese Ambivalenz ist Ford nicht zu haben.
Aus dem der Zwiespalt, in dem Waynes Figur steckt – und den sie für Zuschauer darstellt -, kommt man auch in 70mm nicht heraus. Heute würden wir das Ziel, das Ethan besessen verfolgt, einen Ehrenmord nennen. Seinen Rassismus lotet Ford mit ungekannter Konsequenz aus: In seinen Augen ist Debbie (Natalie Wood) durch das Leben unter den Comanchen unrein geworden. Dabei ist er mit ihnen zutiefst verwandt, er versteht die Comanche besser als alle anderen und betrachtet sie mit grimmigem Respekt. Er begeht Gräueltaten wie sie und seine luftigen, weichen Handbewegungen imitieren die poetische Manier, in der sie bei Verhandlungen gestikulieren. Die Legitimation des Helden, der glaubt, im Namen der Gemeinschaft zu handeln, ihr aber nicht mehr angehören kann, ist ein Widerhaken, den »The Seachers« ins Fleisch der Konventionen schlägt. Dass Ethan den Mord dann doch nicht begehen kann, verweist auf die unterschätzte Gabe seines Darstellers, Widersprüche in sich auszutragen.
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