Skorpione vertragen sich
Es gibt Menschen, deren Ausstrahlung schon eine Versicherung ist. Ihre bloße Anwesenheit bürgt fürs Gelingen. An ihrer Seite käme man nie auf die Idee, ein Problem sei unlösbar. Pierre William Glenn, der vorgestern im Alter von 80 Jahren verstarb, bewahrte auch in Krisensituationen unerschütterliche Ruhe. Es trifft sich gut, dass er bei dem immer noch schönsten Film über das Filmemachen, „Die amerikanische Nacht“, hinter der Kamera stand.
Von seiner Gabe, Filmteams zusammenzuschweißen, profitierten so unterschiedliche Regisseure wie Jacques Rivette, Costa-Gavras, Francois Truffaut, Joseph Losey, George Roy Hill, Sam Fuller und Claude Lelouch. Mit letzterem hat er das Sternzeichen gemeinsam, und zerstreute rasch dessen Befürchtungen, zwei Skorpione auf dem Set wären ein schlechtes Omen. Selbst mit dem zornigen Maurice Pialat kam er so gut zurecht, dass dieser ihn für einen zweiten Film verpflichtete. Mit Schauspielerinnen und Schauspielern verstand er sich besonders gut, er schuf ein Klima des Vertrauens, in dem jede Seite das Beste geben sollte. Bertrand Tavernier, mit dem er sieben Filme drehte, berichtete gern, wie er die Konflikte entschärfte, als Harvey Keitels Verhalten während der Dreharbeiten zu „Death Watch – Der gekaufte Tod“ zusehends unerträglich wurde. Er beruhigte dessen Partnerin Romy Schneider, brachte sie zum Lachen, schaffte es, sie in jeder Szene neu zu motivieren. Glenn konnte ein großer Verführer sein, wenn es galt, die Vision seiner Regisseure durchzusetzen. Er selbst sah durchaus wie ein Verführer aus mit seiner hochgewachsenen, breitschultrigen Gestalt sowie seinem markanten Gesicht, in dem die Augen aufmerksam blitzten und die schmalen Mundwinkel von Zärtlichkeit kündeten. Ein paar Mal stand er auch vor der Kamera und verlieh kleinen Rollen eine verwittert-einnehmende Präsenz.
Die Filme, zu deren Gelingen er beitrug, handelten übrigens oft genug von Krisen, Druck und Anspannung. Seine Kamera begleitete Charaktere, deren Leben brüsk aus Angeln gehoben wird („Der Uhrmacher von St. Paul“, „Weiße Zeit der Dürre“) oder um deren Hals sich die Schlinge unaufhörlich zuzieht („Der Richter und der Mörder“, „Monsieur Klein“). Nicht von ungefähr schätzten ihn die Meister des französischen Polar, Yves Boisset, José Giovanni und vor allem Alain Corneau. Mit „Wahl der Waffen“ gelang ihnen ein Kabinettstück des Film noir, zwischen urbaner Auswegslosigkeit und pastoralen Fluchten. Erstaunlich indes, wie entspannt und heiter die Jim-Thompson-Adaption „Der Saustall“ letztlich wirkt. Im Gegenzug war er auch für lyrische, zarte, fragile Stimmungen empfänglich, für die Umbrüche des Erwachsenwerdens in „Mach erst mal Abitur“ oder die Lebenskrise Nathalie Bayes in „Eine Woche Ferien“.
Seine Filmbegeisterung entdeckte er früh. Ich glaube, er wollte ursprünglich Chirurg werden, studierte dann aber Mathematik. Claude Miller, der in Kinderjahren sein Nachbar gewesen war und in den 1960ern als Regieassistent Furore machte, holte ihn dann endgültig zum Film. Von Glenns eigenen Regiearbeiten kenne ich nur ein, zwei. Zuletzt hat er einen Dokumentarfilm über seinen Freund Johnny Hallyday. Seine Wissenschaft des Blicks gab er weiter, leitete lange Zeit den Studiengang Bildgestaltung an der Pariser Filmschule Femis, wo er, als sie noch IDHEC hieß, selbst studiert hatte.
Ein Genie der Atmosphäre war er nicht nur auf dem Set. Seine agile, perkussive Kameraführung – er war der Erste, der in Frankreich die neu entdeckte Steadycam beherrschte – schloss Räume auf. Den Szenerien verlieh er Dringlichkeit, indem er sie als Lebensräume erkundete. Seine Kadrierung konstruierte einen Blick, der offen und nicht tyrannisch war. Die Lichtstimmungen waren meist kontrastreich, besaßen eine Dramatik, die den Charakteren verpflichtet war. Gerade sah ich für einen Delon-Nachruf (im nächsten Heft) noch einmal „Monsieur Klein“, wo dem luxuriösen, eleganten Ambiente, in dem die Titelfigur wohnt, bereits eine Klaustrophobie eignet, die prophetisch sein wird. Auch in historischen Panoramen räumte er der Intimität ihren Platz ein. Lelouch schätze ihn als einen Spezialisten für Großaufnahmen, der mit den längsten Brennweiten operieren konnte, um den porträtierten Darstellern schmeichelnd nahe zu kommen. Bei diesem Regisseur musste er ohnehin auf alles gefasst sein, der schrieb das Drehbuch ständig um und ließ die Schauspieler nonchalant improvisieren. Solche Freiräume war er seit „Out One“ von Rivette gewohnt, und er schätzte sie auch. Dieser Kameramann war auf das Unvorhergesehene gefasst. Es war sein Element.
Dieser Mann für alle Notfälle hat auch mir einmal aus der Klemme geholfen. Das war 1995, als ich eine Fernsehdokumentation über Robert Parrish drehte. Der Hollywoodaltmeister war nach Lyon eingeladen, wo das Institut Lumière mit Filmemachern aus aller Welt am 19. März das 100. Jubiläum der ersten Dreharbeiten feierte. Eigentlich war geplant, dass wir an diesem Morgen ein Interview mit Robert und Bertrand Tavernier aufzeichneten, die 1982 gemeinsam den Dokumentarfilm „Mississippi Blues“ gemacht hatten. Mein Team war morgens um Fünf in Paris aufgebrochen, um rechtzeitig einzutreffen. Da eröffnete mir Tavernier plötzlich, dass er mit dem damaligen Kulturminister zum Frühstück verabredet war. Glenn sprang augenblicklich für ihn ein – er hatte damals die Kamera geführt und freute sich, den alten Herrn wiederzusehen. Dass er die Zweitbesetzung war, genierte ihn nicht im geringsten. Mit meinem Team verstand er sich auf Anhieb, interessierte sich für ihre Ausrüstung und wäre nie auf die Idee gekommen, ihnen hineinzureden. Vergnügt wartete er ab, bis das Licht gesetzt und die Einstellungen abgesprochen waren. Er zeigte sich als vertrauensvoller Komplize unseres Vorhabens. Vor der Kamera war er ganz konzentriert, aufmerksam lauschte er Roberts mäandernden Antworten. Er war viel zu wissbegierig und hatte viel zu viel Respekt, um ihm ins Wort zu fallen. Zwischendrin zwinkerte er mir einmal zu und ich war sicher, dass alles gut gehen würde.
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