Unser Erdöl
Die Schatzsuche hat im Kino schon bessere Zeiten erlebt. Man muss kein Nostalgiker sein, um festzustellen, dass sich früher unbefangener von ihr erzählen ließ. Post-koloniale Diskurse haben uns gelehrt, dass es sich bei ihr meist um Raub handelte. Gleichviel, das Sagenhafte hat entschieden an Strahlkraft verloren.
Auch von Alejandro Amenábar hat man lange nichts gehört. Einst bürgte der Regisseur von »Abre los ojos« (Open your eyes) und »The Others« für eine Originalität, die nicht zwanghaft wirkte (sagen wir mal im Vergleich zu M. Night Shyamalan), sondern philosophisch unterfüttert schien. Er müsste eigentlich genau der Richtige sein, um ein heutiges Publikum auf Schatzsuche zu schicken. Zu nachtschlafener Zeit durfte ich auf dem Sender "One" entdecken, dass dies zutrifft. Dort geriet ich in seine Miniserie »La Fortuna« hinein, die in der ARD-Mediathek noch bis Mitte Oktober abrufbar ist. Frank Arnold schrieb bereits darüber, als sie vor zweieinhalb Jahren erstmals auf "Sky" lief (https://www.epd-film.de/tipps/2022/sky-la-fortuna). Ihr gelingt die Gratwanderung, gleichermaßen unternehmungslustig, patriotisch und aufgeklärt daherzukommen. Die tatsächliche Suche kommt bei ihr praktisch gar nicht vor, die eigentliche Handlung setzt nach Fund und Bergung des "größten Unterwasserschatzes der Geschichte" ein. Dieses Danach erinnert an die Abenteuerfilme von Raoul Walsh oder die Western von Anthony Mann, wo sich das Entscheidende schon ereignet hat und nun dramatische Konsequenzen gebiert. In "La Fortuna" sind dies ein transatlantisches Kräftemessen und der juristische Streit über die Frage, wem verschollene Kulturgüter gehören.
All dies ist schon hinreichend in dem Graphischen Roman »Der Schatz der Black Swan« von Guillermo Corral und Paco Roca angelegt, den Amenabar zusammen mit Alejandro Hernandez adaptiert hat. Der Szenarist Corral ist von Haus aus Diplomat, was ihm das nötige Insiderwissen beschert. Der Zeichner Roca beschäftigt sich regelmäßig mit dem Motiv der historischen und privat Erinnerung. Ihr gemeinsames Album bekräftigt meine Ansicht, dass die spanische Comic-Kultur viel größere Beachtung verdient. Das schwante mir schon als Teenager, der „Manos Kelly“ verschlang, und es gilt heute unvermindert. Man vergleiche nur einmal die liebevoll traditionsbewussten "Corto Maltese"- Alben von Canales/Pellejero mit Bastian Vivès anämischen Modernisierungen der Saga Hugo Pratts! Wie dem auch sei, dem Gespann Corral-Roca ist ein Album gelungen, das eine ungewohnte Erzählperspektive mit großer Freude an der Form, dem spannungsvollen Seitenaufbau, der Montage und dem Rhythmus verbindet. Auch bei ihnen ist die Bergung einer spanischen Galeone voller Gold- und Silbermünzen, die der moderne Pirat Frank Stern (in der Serie heißt er Frank Wild) nahe der Meerenge von Gibraltar entdeckt, als kühne Ellipse erzählt. Ebenso finden die Prozesse, die das Königreich Spanien in den USA gegen den ehemaligen Börsenmakler führt, weitgehend zwischen den Panels statt. Stern/Wilds Gegenspieler ist ein blutjunger Diplomat mit dem abenteuerlustigen Namen Alex Ventura, der eine neue Stelle im Kulturministerium antritt. „Der Schatz der Black Swan“ ist recht eigentlich ein bürokratischer Bildungsroman.
Amenábar und Hernandeu haben einige Umständlichkeiten der Vorlage getilgt, angefangen mit dem Titel. Black Swan ist ein Synonym für noch nicht identifizierte Schiffswracks. (Irgendjemand muss sich dabei wohl an den schönen Piratenfilm mit Tyrone Power erinnert haben.) Einige Spannungsbögen, die im Roman etwas flau sind, zieht sie kräftig an. Die Figuren erhalten mehr Fleisch, mitunter auch mehr Format. Wild, den Stanley Tucci bewährt einnehmend verkörpert, ist schillernder in der Serie. Dem ruchlosen Plünderer wird ein Bodensatz an Romantik zugestanden; er versteht es zu träumen. Das Verhältnis zu seiner Tochter ist eine Bereicherung; auf die blödsinnig tragische Back story, die ihn mit dem Anwalt der Gegenseite verbindet, verzichtet die Serie. Sein Widersacher Alex wiederum tritt etwas offensiver auf. Seine anfängliche Unentschiedenheit, ja Passivität wird von der couragierten Unterwasserarchäologin Lucia nun stärker herausgefordert. Es lagen nur drei Jahre zwischen dem Erscheinen der Vorlage und der Serie, aber Amenábar hat einige Aktualisierungen vorgenommen. Das Ensemble ist diverser, Schlüsselfunktionen hat er nun Frauen bzw POC angetragen.
Ein bezeichnender Schachzug der Verteidigerin Wilds – der Schatz gehöre eigentlich dem Staate Peru, genauer: dessen Ureinwohnern – fehlt, soweit ich mich erinnere. Sie geht mit anderen Argumenten in Berufung. Im Gegenzug ist es verblüffend, wie genau Amenábar und Hernandez der Vorlage passagenweise folgen. Einige Dialoge haben sie komplett übernommen oder sie reizvoll dynamisiert. Ihrem Geist bleibt er ohnehin treu. Dieser zeigt sich einerseits in der Entzauberung der Schatzsuche: Stern/Wilds Mannschaft saugt den Meeresboden ohne Rücksicht auf weitere Kulturgüter, Artefakte und menschliche Überreste ab. Weitaus faszinierender ist das behördliche, gemeinschaftliche Engagement, das sich gegen seine Plünderungen regt. Das Zusammenspiel von Kulturministerium, Regierung, Diplomatie, der andalusischen Regierung und nicht zuletzt des Geheimdienstes ist spannungsvoll. In dieser komplexen Gemengelage glüht indes ein patriotisches Feuer. Wann hätte man schon einmal in einem Abenteuerfilm den Schlachtruf "Was sind wir? Staatsdiener!" gehört? Spanien stellt, vor dem Hintergrund der eigenen imperialen Geschichte, einer Weltmacht entgegen, die sich um den Rest des Planeten wenig schert. (Zumindest indirekt, denn Stern/Wild verfügt über beste politische Verbindungen. Der spanische Kulturminister, ein verhinderter Schriftsteller und Film-Aficionado, findet mit Alex' Hilfe die entscheidende Formel, um den Apparat zu einen: "Die Kultur ist unser Erdöl!" Er ist reichlich frustriert, sein Ressort sitzt am Katzentisch und die nächste Wahl wird ihn bestimmt aus dem Amt expedieren. Diese Gestimmtheit erklärt womöglich, die hanebüchen kurzen Wege, auf denen der kleine Beamte Alex stets zu ihm gelangen kann. Man duzt einander sogar, was aus seinem Mund nicht einmal gönnerhaft klingt. Von vertikalen Hierarchien ist also bald keine Spur mehr. Ein wenig Naivität muss schon sein in solch komplizierten Verhältnissen. Der Minister muss übrigens daran erinnert werden, dass er bei diesem Tauziehen kein direktes Gegenüber hat: In den USA gibt es kein Kulturministerium. Stimmt auffallend, man vergisst es nur immer wieder.
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