Kritik zu Tandem – In welcher Sprache träumst du?
Die Sprache ist nicht das einzige Problem in diesem sensiblen Coming-of-Age-Drama über zwei Austauschschülerinnen zwischen Leipzig und Straßburg
Auf dem Bahnhof in Leipzig wird Fanny zwar von der überdreht fröhlichen Susanne empfangen. Doch zu Hause macht Susannes Tochter, Fannys Brieffreundin Lena, der jungen Französin schnell klar, dass sie keinen Bock auf diesen Besuch hat. Wie die schüchterne Fanny und die coole Lena sich, zuerst in Leipzig und dann beim Gegenbesuch Lenas in Straßburg, dennoch annähern, wird in diesem Coming-of-Age-Drama mit ungewöhnlichem Zartgefühl veranschaulicht.
Ungewöhnlich ist auch die Bandbreite der politischen Krisen, die im sich behutsam entfaltenden Kosmos der beiden Austauschschülerinnen (wunderbar verkörpert von Josefa Heinsius und Lilith Grasmug) ins Spiel kommen. Die kratzbürstige Lena läuft bei »Fridays for Future« mit und würde gern Politologie studieren oder Aktivistin werden – für Feminismus, Umwelt, gegen Rechtsextremismus, you name it. In der Leipziger Alternativszene bewegt sie sich wie ein Fisch im Wasser. Fanny, still und traurig, erzählt dagegen von ihrem Selbstmordversuch und vom Mobbing in der Schule.
Zwischen den beiden entwickelt sich eine zunächst kindlich-spielerische Intimität, in der sie sich wie Welpen Trost suchend aneinanderkuscheln. Denn bei der vermeintlich toughen Lena brennt zu Hause die Hütte, ihre haltlose Mutter trinkt, und der reiche Opa ist ein Rechter. Was Fanny betrifft, so verweisen ihre liebevollen, aber als Dolmetscher im EU-Parlamentsbetrieb sehr beschäftigten Eltern ebenfalls auf aktuelle politische Diskurse. Dass ihr arabischstämmiger Vater und sein Nachname Misstrauen hervorrufen, sorgt für zusätzliche Irritation. Gekonnt fließt die französisch-deutsche und von englischen Modewörtern gespickte Sprachverwirrung, die ständiges Hinterfragen nötig macht, in die sich wandelnde Perspektive der beiden ein.
Eine weitere Stärke des vielschichtigen Drehbuchs liegt in der unaufdringlichen, jedoch tiefenscharfen Milieuschilderung vordergründig komfortabler Existenzen, deren Widersprüche und faule Kompromisse den wachen Teenagern schwer zu schaffen machen. Dass die hoch politisierte Lena – so fragt sie etwa Fannys Mutter, ob diese beim Dolmetschen im EU-Parlament nicht die Aussagen rechter Redner sabotieren könne – sich ihrerseits von Fanny aufs Glatteis führen lässt, ist schnell klar.
Der rote Faden der Handlung ist die Suche nach Identität und der Umgang mit der realen Malaise, die hinter Lenas Wut und Fannys Lügen aufscheint. Dabei werden identitätsstiftende Realitäten aus zweiter Hand von authentischen Begegnungen abgelöst. Die sprechendsten Momente sind jene, in denen nicht geredet wird: im Blick der vaterlosen Lena auf Fannys Vater, im Chillen in kleinen gemeinsamen Blasen, etwa buchstäblich im Whirlpool. Der Annäherung gehen grenzüberschreitende Träume voraus, in denen die Mädchen sich gegenseitig und letztlich auch selbst finden. Und vielleicht ist die Erfahrung, sich so ähnlich und doch so unterschiedlich zu sein, auch eine Metapher für das deutsch-französische Verhältnis.
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