Kritik zu Power of Love

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Bedrückendes Liebesdrama um Geschlechterrollen, Leidenschaft und ­Abhängigkeiten in der betörenden Wildnis Finnlands

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Voll liebevoller Erwartung steht der junge Mann vor der Tür, mit vier riesigen Stängeln orangefarbener Lilie. Die Augen warm, zärtlich, mit fast kindlicher Freude erfüllt. Kühl, distanziert öffnet die junge blonde Frau die Tür, begrüßt ihn wie einen Fremden. Lässt ihn dann doch eintreten. Als er sie anfasst, sie küsst, schubst sie ihn weg: »Du glaubst, dass du jetzt Sex verdient hast?« Zu dem kommt es dann doch – nach ihren Regeln. Sie dominiert das Spiel. Es sind die ersten Minuten von »Power of Love«, in denen Regisseur und Drehbuchautor Jonas Rothlaender den Ton für sein Drama setzt. Die Anspannung, die Ungewissheit, die Ambivalenz zwischen Dominanz und Ergebenheit, Liebe und Ablehnung, Spiel und echten Gefühlen lässt niemals nach. Es geht um Rollenbilder, um Selbstbestimmung und Beziehungsdynamiken, und es zeigt die Schwierigkeiten der Umkehr von tradiertem Geschlechterverständnissen.

Robert (Nicola Perot) ist gerade aus Berlin zu Saara (Saara Kotkaniemi) nach Helsinki gezogen. Sie arbeitet in der Krebsforschung und an ihrer wissenschaftlichen Karriere. Robert wartet auf eine Zusage der Studienstiftung für seine Promotion in Philosophie. Saara bringt das Geld nach Hause, er kümmert sich um den Haushalt, liebt es zu kochen. Ein »imported husband« sei er, neckt ihn bei einer Party ein gemeinsamer Freund. Wie nah das an der Wahrheit liegt, lässt Rothlaender offen und das Publikum in dieser bedrückenden Ungewissheit.

Als Saara und Robert zum Urlaub in das Sommerhaus von Saaras Mutter in der finnischen Wildnis starten, scheinen sich die Rollen zu verschieben. Saara trägt knallroten Lippenstift auf, gibt das Hausmütterchen, Robert kommandiert sie herum, behandelt sie übertrieben fürsorglich. »Bist du schwanger?«, fragt Saaras Mutter, als Robert sie die Reisetasche nicht tragen lassen will. Es ist eines dieser Spiele, die das Paar spielt und mit denen es glaubt, Klischees überwinden, neue Rollenverteilung leben und Machtverhältnisse immer wieder umkehren zu können. Doch in der Einsamkeit der Schären und mit den Geistern aus Saaras Vergangenheit stellen sie fest, dass das nicht so einfach ist. Eines Tages überspannt Saara den Bogen, die Situation eskaliert. Die Machtspiele werden zur bedrohlichen Realität.

Der deutsche Regisseur Rothländer, 1982 in Lübeck geboren, zeichnet ein zerstörerisches Bild moderner Beziehungen, stellt die Frage nach Vertrauen in Partnerschaften, nach Abhängigkeiten, die zu destruktiven Ungleichheiten führen, versucht, die Prägungen gesellschaftlicher und individueller Sozialisation zu ergründen – und lässt doch vieles im Ungewissen. Auch dank des vielschichtigen Spiels von Perot und Kotkaniemi. Robert hat mit seinem ausbleibenden wissenschaftlichen Erfolg zu kämpfen, Saara glaubt, es immer wieder allen, auch ihrer Mutter, beweisen zu müssen. Die ruhigen Bilder der finnischen Natur stellen dazu einen krassen Gegensatz dar, die die innere Rohheit insbesondere Saaras umso drastischer kon­trastiert. »Power of Love« ist ein bedrückendes, modernes, ernüchterndes und sehr sehenswertes Drama.

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