Kritik zu Das starke Geschlecht
Jonas Rothlaender reflektiert mit einer dokumentarischen Versuchsanordnung über männliche Sexualität, über Machtverhältnisse und die heute herrschenden Geschlechterstereotypie
Der Ausdruck gehört ins Redearsenal des vorherigen Jahrhunderts, richtig ernst kann man die Unterscheidung von Mann und Frau in starkes und schwaches Geschlecht nicht mehr nehmen. Wenn Jonas Rothlaender seiner dokumentarischen Versuchsanordnung diesen Titel gibt, so liegt darin zugleich eine Herausforderung zum Widerspruch. Und in der Tat kommen die Männer, die vor seiner Kamera mit abgedunkeltem, immer neutralem Hintergrund sitzen, wie zwangsläufig auf ihre Schwächen zu sprechen. Genauer gesagt: auf die Schwierigkeiten, die sie mit dem Bild des Mannes und seiner Verpflichtung zur Stärke haben.
Es ist ein faszinierender Diskurs, den Rothlaender hier eröffnet, sowohl inhaltlich als auch formal. Sein methodisches Vorgehen scheint zugleich einfach und raffiniert. Er lässt verschiedene Männer zuerst Texte lesen, die andere Männer über ihre Probleme in der Liebe, beim Sex, in Beziehungen geschrieben haben. Die Texte fangen meist unverfänglich an und landen dann bald bei problematischen Themen und Schuldgeständnissen. Sie berichten oft davon, wie Männer sich gezwungen fühlten, Frauen zu überwältigen, ja zu demütigen, wie sie sich zu Gewalttaten provoziert sehen. Einen Teil der Texte lässt Rothlaender von seinen Protagonisten laut vorlesen, einen Teil auch schauspielerisch als Monolog ausagieren. Und dann fragt er sie aus dem Off, was sie über das Gelesene denken, was sie von den Männern halten, die es geschrieben haben. Die Protagonisten machen nun ihrerseits Geständnisse – wobei die Grenze zwischen authentisch gesprochenen Teilen und ausagierten Monologen mitunter ins Unkenntliche verwischt.
Diese formale Herangehensweise ist verblüffend ähnlich zu der der österreichischen Filmemacherin Ruth Beckermann in ihrem auf der diesjährigen Berlinale vorgestellten und preisgekrönten Film »Mutzenbacher«, wo sie ausschließlich männliche Protagonisten Stellen aus der legendären skandalumwitterten pornografischen Vorlage lesen lies, um sie anschließend nach ihren Gedanken dazu zu befragen. Und ganz ähnlich wie bei Beckermann entsteht auch bei Rothlaender aus dieser Versuchsanordnung ein faszinierender Diskursraum, in dem Männer so frei über ihre Sexualität sprechen, wie man es sonst kaum hört.
Bemerkenswert daran ist vor allem, wie frei die Monologe von Therapierhetorik sind, von den bequemen Formeln der »Beziehungsfähigkeit« und der Schimäre des »Man muss nur über Sex reden, dann wird er besser«. »Das starke Geschlecht« ist dabei alles andere als ein Wohlfühlfilm: Die Aussagen, nicht nur die der gleichsam als problematisch gekennzeichneten Texte, sondern auch die der Männer vor der Kamera, zeichnen ein ungutes Bild der Geschlechterverhältnisse, eines, das viel mit Verbergen und Verstellen zu tun hat. So ehrlich die Männer vor der Kamera auftreten, klingt doch immer wieder an, dass sie sich Frauen gegenüber zu dieser Ehrlichkeit nicht in der Lage fühlen beziehungsweise sich nichts davon versprechen. Stärke ist immer wieder vor allem eins: keine Schwäche zeigen.
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