Interview: Maryam Moghadam und Behtash Sanaeeha über »Ein kleines Stück vom Kuchen«
© Weltkino
Moghadam, geboren 1970 in Teheran, studierte in Schweden und trat dort im Theater auf, bevor sie ab 1993 in iranischen Filmen zu sehen war, u.a. in Jafar Panahis »Closed Curtain« (2013). Sanaeeha, geboren 1980, studierte Architektur, begann danach Filme zu machen. Beide arbeiteten erstmals 2015 bei »Risk of Acid Rain« zusammen, 2018 entstand der Dokumentarfilm »The invincible diplomacy of Mr. Naderi«, ihr zweiter Spielfilm »Ballade von der weißen Kuh« lief 2021 im Wettbewerb der Berlinale, »Ein kleines Stück vom Kuchen« 2024.
epd Film: Sie waren mitten in den Dreharbeiten, als im Herbst 2022 im Iran die Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini ausbrachen. Hat das dazu geführt, dass Sie Änderungen vorgenommen haben?
Maryam Moghadam: Nein, alles im Drehbuch war schon vorher geschrieben. Was mit Jina Mahsa Amini geschah, war ja kein Einzelfall, nur ging es viral dank der sozialen Medien. Die Belästigungen gerade von jungen Frauen durch die Sittenpolizei waren allgemein bekannt.
Behtash Sanaeeha: Wir begannen mit dem Dreh drei Monate vor diesem Ereignis, welches ein großer Schock für uns alle war. Wir haben die Dreharbeiten unterbrochen und uns dann nach drei Tagen versammelt, um darüber zu sprechen. Die Bewegung findet ihren Niederschlag in unserem Film, denn uns geht es um die Freiheit der Frauen. Wir beschlossen, den Film zu Ende zu drehen. Die Proteste waren für uns ein zusätzlicher Ansporn.
Wenn sich die siebzigjährige Mahin von einem Taxi in ein vornehmes Hotel bringen lässt, spricht sie von einer Zeit, die offenbar vor der islamistischen Revolution liegt, als dort Tanzveranstaltungen stattfanden und westliche Musiker auftraten; sie kennt das Hotel auch noch unter dessen damaligem Namen. Basiert das auf den Erzählungen älterer Menschen?
MM: Das ist etwas, was einem alle Leute hier oft erzählen, natürlich auch unsere Eltern. Sie erinnern sich sehr gut an eine Gesellschaft, die moderner war.
Verknüpft sich das mit einem Gefühl der Nostalgie, wenn man sich an die Zeit vor der Revolution erinnert?
MM: Ja, das stimmt: Die meisten älteren Menschen im Iran sprechen von der Zeit vor der Revolution mit Bedauern, während die jungen Menschen die älteren für die islamistische Revolution verantwortlich machen und ihnen vorwerfen, sie hätten sie verhindern können.
BS: Im Alltag geht es vor allem um die individuellen Freiheiten und deren Einschränkungen durch die Regierung, gerade was die Rechte der Frauen betrifft.
MM: Vor der Revolution war Persien eines der ersten Länder, in denen das Frauenwahlrecht eingeführt wurde – noch vor der Schweiz. Seit der Revolution dagegen werden Frauen als »halbe Menschen« angesehen.
Vergewaltigung in der Ehe ist kein Straftatbestand, dasselbe gilt für sogenannte »Ehrenmorde«. Gibt es in der offiziellen Politik Unterschiede, was Männer und Frauen im Rentenalter anbelangt? Der Film vermittelt den Eindruck, dass sie wenig beachtet werden und der Staat sie mit Almosen in Form von Essensgutscheinen abspeist.
BS: Das ist in vielen Ländern so, im Iran aber haben alte Leute wenig Hoffnung auf eine bessere Zukunft, ihr Leben ist von Einsamkeit gekennzeichnet, sie sind ein dankbares Publikum für die türkischen Soap-Operas im Fernsehen.
MM: Die Renten sind eher bescheiden, die Armen müssen sich etwas dazuverdienen, so wie es Faramarz als Taxifahrer macht.
Werden Witwen ermutigt, sich neu zu verheiraten, oder aber ist das etwas, was die Regierung nicht gutheißt?
BS: Das wird generell in unserer Kultur nicht gutgeheißen. Genau deshalb wollten wir diese Geschichte erzählen: um zu zeigen, dass auch verwitwete Frauen ein Leben haben. Denn das ist ein Tabu.
MM: Aber das gilt nur für die Frauen, nicht für die Männer! Denen werden neue Beziehungen zugestanden.
Wie empfinden Sie selbst das Ende ihres Films? Hat Mahin noch Hoffnung für ihre Zukunft?
MM: Ja, es gibt Hoffnung, nicht im großen philosophischen Sinn, sondern was die kleinen Dinge des Alltags anbelangt.
BS: Wir müssen den Moment genießen. Und wenn wir nur eine einzige Nacht mit einem geliebten Menschen haben, dann eben diese Nacht. Genau das macht Mahin hier.
Sie wollten im Herbst vergangenen Jahres nach Paris reisen. Daran wurden Sie gehindert . . .
BS: Ja, wir wollten die Postproduktion fertigstellen, aber am Flughafen wurden uns die Pässe abgenommen, wir wurden aufgefordert, uns beim Gericht in Evin, dem berüchtigten Gefängnis, zu melden. Wir erfuhren, dass uns die Reiseerlaubnis bereits vier Monate zuvor entzogen worden war – ohne dass man uns davon unterrichtet hatte. Seitdem wurden wir mehrfach verhört, das Haus unseres Cutters wurde durchsucht und dort eine Kopie des Films beschlagnahmt mitsamt allen Festplatten. Wir hatten aber das Glück, dass sich bereits eine Fassung des Films im Labor in Paris befand. Die Verhöre sind mittlerweile abgeschlossen und wir warten auf das Urteil.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns