Kritik zu Der Kolibri

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Das Plakatmotiv stellt eine heiter-wehmütige Familienchronik in Aussicht. Aber Francesca Archibugis Film handelt davon, wie verwüstlich das Glück ist

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Eigentlich müsste es gar nicht so schwer sein, ein Buch von Sandro Veronesi zu adaptieren. Die Romane des Toskaners sind handlungsprall, ohne dass die Plots ausufern; die Metaphorik liegt in ihnen oft zum Greifen nahe. Einmal ist das auch gelungen: bei »Stilles Chaos«, der Verfilmung seines bekanntesten Buchs »Caos calmo«. Dort spielte Nanni Moretti einen TV-Manager, der nach dem Unfalltod seiner Frau der Tochter das Versprechen auf Anwesenheit gibt und seine Tage fortan im Park vor ihrer Schule verbringt.

An »Der Kolibri« (nach Veronesis achtem Roman) haben gleich mehrere Veteranen dieses Films mitgewirkt, die Co-Autoren des Drehbuchs sowie Moretti und die Schauspielerin Kasia Smutniak. Auch hier ist die Symbolsprache eingängig: Die Titelfigur Marco Carrera (als Erwachsener von Pierfrancesco Favino verkörpert) mag ihre Flügel noch so heftig schlagen, sie kommt nicht von der Stelle. Der Plot ist diesmal ungewohnt kompliziert. Den Augenarzt, der den Blick vor der Wirklichkeit verschließt, ereilt jedes Unglück dieser Welt. Seine Schwester begeht im Teenageralter Selbstmord; seine Eltern, die nie zusammen glücklich waren, erkranken an Krebs; seine Ehefrau leidet an einer bipolaren Störung, und die Tochter verunglückt beim Bergsteigen. Nur einmal lässt sich Marcos Schicksal überlisten: Vor dem Start muss er ein Flugzeug verlassen, das kurz darauf abstürzt. Sodann umwirbt er eine ebenfalls verschonte Stewardess (Smutniak), was den Grundstein zu einer toxischen Ehe legt. Der deutsche Beititel »Chronik einer Liebe« deckt nur einen Teil seines Lebens ab, die platonische Beziehung zu seiner Jugendliebe (später: Bérénice Bejo).

Francesca Archibugi erzählt diesen Kreuzweg im flinken, oft verwirrenden Wechsel der Zeitebenen; das melodramatische Puzzle eines Lebens, in dem noch das kleinste Geheimnis offen zutage tritt. Marcos Geschichte trägt sich in etwa zwischen den 1970er Jahren und der Gegenwart zu. Die Szenerien wandeln sich kaum, aber die Maskenbildner haben alle Hände voll zu tun. Eine haushälterischere Künstlernatur hätte aus dem Roman mindestens fünf Filme gemacht. Einer hätte von jener keuschen Liebe erzählt, die Jahrzehnte überdauert; ein zweiter von Aberglauben und illegalem Glücksspiel, ein dritter von Sterbehilfe; der schönste wohl von einem Vater, der entdeckt, dass seine Tochter ihn mehr braucht als jeden anderen Menschen, und der ein hingebungsvoller Großvater wird. Der interessanteste wiederum hätte von einem Psychoanalytiker (Moretti) gehandelt, der mit seinem Berufsethos bricht, als er den Ehemann seiner Patientin vor der Gefahr warnt, die von seiner Ehefrau ausgeht. 

Moretti tritt im Film als eine Art Deus ex Machina auf, der immer da ist, wenn Marco ihn braucht. Nicht zuletzt dadurch stellt sich in Archibugis Adaption ein robustes Gefühl der Kontinuität in dieser Lebenschronik ein, die von tragischen Brüchen geprägt ist. Auch Favino fungiert als ein Garant der Beharrlichkeit: dank seines Talents zu aufrechtem Zweifel an den Rollen, die er in dieser Biografie übernehmen muss.

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