Tauziehen der Klassen
»Love is the Devil«, den Rapid Eye Movies gerade in ihrer "Zeitlos"-Reihe erneut in die Kinos bringen, beginnt mit einer Begegnung, die sich so wohl nur in England zutragen könnte. Zwei Klassen prallen aufeinander, als George Dyer unverhofft durchs Dach in die Atelierwohnung von Francis Bacon stürzt.
Der Maler begrüßt den ungebetenen, jedoch keineswegs unwillkommenen Gast mit formvollendeter Gelassenheit. Er mustert den ungeschickten Einbrecher mit Wohlgefallen, immerhin wird er von dem jungen Daniel Craig verkörpert. Augenblicklich merkt Bacon, dass der ruppige Kerl aus dem Londoner East End stammt. Geschwind und mit einer Süffisanz, zu der nur Derek Jacobi fähig ist, schlägt er Kapital aus dessen Verlegenheit: Er soll sich ausziehen, mit ihm ins Bett gehen und darf danach alles mitgehen lassen, was ihm in der Wohnung gefällt. Dyer stimmt dem Tauschhandel kurzerhand zu; nicht zuletzt aus Neugier. Aus dem vereitelten Raubzug entspinnt sich eine toxische (auch im Sinne der Einnahme von Rauschgiften aller Art) und durchaus schöpferische Beziehung. An Dramatik fehlt es dem Film ebenso wenig wie an Humor.
Allerdings gebiert ihr Zusammentreffen lauter Übersetzungsprobleme. Fangen wir mit den sprachlichen an. Für das entzückende „meeting cute“ gibt es im Deutschen nun einmal partout keine Entsprechung, und "breaking and entering" besitzt eine ausführliche, hier buchstäbliche Konkretion, hinter der unser "Einbruch" schal zurückbleibt. Dyer wiederum ist ein Opportunist, wenngleich in der englischen Konnotation des Ergreifens der Gelegenheiten. Bald stellt sich heraus, dass der Klassengegensatz schwerer zu überbrücken ist. George kommt aus einer Welt, in der ein anderer Begriff von Virilität herrscht, aus dem Milieu der Gangster und Boxer. Er ist ein ungehobelter Klotz, der zuerst gar nicht glauben kann, dass sein Gastgeber mit der Malerei tatsächlich Geld verdient. Später fällt er auf den Augentrug einer gemalten Toilette herein. Die sozialen Sphären kollidieren miteinander einander, als Bacon ihn in seine schwefelhaften Kreise einführt („Welcome to the concentration of camp!“) und wie eine Trophäe präsentiert. Aus seiner früheren Welt wird George gewarnt: "Die lassen dich fallen, wenn sie fertig mit dir sind." Aber er ist überzeugt, dass er alles unter Kontrolle hat.
Bacon ist fasziniert von dessen exotischer Mischung aus Amoral und Unschuld. Er hofft auf verborgene Tiefe. Sein Findling ist tatsächlich ziemlich arglos. Er kennt die Regeln nicht, nach denen der erwünscht raue Sex funktioniert, flüstert seinem Gefährten eine Entschuldigung ins Ohr, bevor er besonders grob mit ihm umspringt. Nach einem heftigen fisting schrubbt er sich erst einmal manisch die Hände. Wo ist er hier nur gelandet? Craig kann immerhin die sadomasochistischen Exerzitien einüben, die seine spätere Bond-Rolle für ihn bereithalten werden; namentlich die Rencontres mit Mads Mikkelsen und Javier Bardem.
Der Beititel von John Mayburys Debütfilm, »Studie für ein Porträt von Francis Bacon« betont das Herantasten; es handelt sich um kein umfassendes Biopic, sondern um eine Annäherung aus der Warte der Imagination. Denn Dyer ist eine erfundene Figur, die meisten anderen hingegen sind verbürgte Weggefährten des Malers, darunter Tilda Swinton als Nachtclubbesitzerin Muriel Belcher. Also ein filmischer Probelauf, vor allem natürlich für Craig, an dem sich die Kamera nicht sattsehen kann. Sie betrachtet ihn als Objekt, wie einen Fetisch, fragmentiert seine Physiognomie zuweilen schwelgerisch.
Maybury räumte später ein, er habe den Schauspieler kaum geführt, ihn vielmehr schutzlos den Wölfen hingeworfen. Craig sei nervös gewesen, »Love is the Devil« war 1998 schließlich sein erster großer Film, dann trat er auch noch an der Seite einer lebenden Legende auf (was Jacobi seinerzeit zumindest im Theater war). Auf der Leinwand jedoch hat man nicht den Eindruck, das würde ihn ernsthaft einschüchtern. Vom ersten Moment an zeigt er sich als ein Darsteller, der die Intensität sucht. Das Tauziehen mit dem zurückhaltenderen, aber nie trockenen Jacobi ist großartiges Schauspiel, ein Kontrast der Temperamente und gesammelten Erfahrungen, den es so nur in England geben kann.
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