Du laberst mich an?
Was kann man in 52 Fernsehminuten schon erzählen über einen Schauspieler wie ihn? Die naheliegenden biographischen Hintergründe darlegen, der Legende folgen und sie eventuell ein wenig hinterfragen, vielleicht sogar eine Generallinie herausarbeiten und unbedingt Weggefährten zu Wort kommen lassen, die ihm Girlanden flechten.
Jean-Baptiste Peretie macht all das in seinem Porträt von Robert De Niro, das heute Abend auf arte läuft und bis Anfang März nächsten Jahres in der Mediathek abrufbar bleibt. Aber er hat mehr mit dem Schauspieler vor. Es gibt ja auch genug, das dringend zu ergründen wäre. Ein so ehrgeiziger Künstler weckt den Ehrgeiz des Porträtisten. Ein Ausnahmeschauspieler verdient ein Ausnahmeporträt. Tatsächlich ragt "Der stille Antiheld" heraus aus der Menge der Star-Dokus, die allwöchentlich über den Sender gehen. Ich jedenfalls habe eine Menge hinzugelernt über den Darsteller. Nur das Adjektiv im deutschen Titel stört mich etwas. Still war De Niro allenfalls in den ersten ein, zwei Jahrzehnten seiner Karriere, als er das Rampenlicht noch scheute und nur auf den Filmsets aufzublühen schien.
Peretie stellt ihn als schüchternes Kind vor, das gleichsam zum Zweck der Selbstüberwindung früh Schauspielunterricht nimmt. Der Vater wird erwähnt, Robert De Niro senior, der als Maler nie den Ruhm erlangte, den er sich erhoffte. Er muss ein Perfektionist gewesen sein. Ich habe dazu eine eigene Theorie, die zwar für Peretie unerheblich ist, aber Ihnen nicht vorenthalten werden soll. Der Vater gehörte der Schule des Abstrakten Expressionismus an, wo der Schaffensprozess nicht weniger wichtig ist als das Resultat. Action painting eben. Auch die Kunst des Sohns ist performativ; die Technik, die physische Herstellung einer Figur bleiben stets sichtbar. De Niro verbirgt sie nicht. Wenn man seinen "You talkin' to me?"- Monolog anschaut, spürt man dass er ihn unzählige Male vor dem Spiegel geprobt hat.
Gleichviel, ihr Verhältnis ist schwierig, worauf die Dokumentation zu gegebener Zeit zurückkommt. Die Eltern trennen sich früh, nicht zuletzt, weil der Vater sich seiner Homosexualität gewahr wird. (Übrigens ein Tabu in der Karriere des Sohnes, der nie einen Schwulen gespielt hat.) Peretie legt einen Schwerpunkt auf die Anfänge des Schauspielers, insbesondere die frühen Arbeiten mit Brian De Palma, aber auch sein Vorsprechen für die Rolle des Sonny in »Der Pate«, die schließlich an James Caan geht.
Folgen wir obiger Liste, ist nun die Phase der Legendenbildung erreicht. Um sich auf die Rolle des Travis Bickle vorzubereiten, erwirbt er eine Lizenz als Taxifahrer und übt den Beruf eine Weile aus. Ebenso bekannt ist, dass er für den Part des Saxophonspielers in »New York, New York« das Instrument lernt. Sein Perfektionismus geht so weit, dass er darauf besteht, dass die Songschreiber Kander & Ebb ihr Titelstück abändern. Das war mir neu. Ich wusste ebenso wenig, dass De Niro die Rechte an Jake La Mottas Biographie erwarb und Martin Scorsese überzeugte, »Wie ein wilder Stier« zu drehen. Peretie stellt es so dar, als hätten Regisseur und Hauptdarsteller das Drehbuch ganz allein entwickeln und lässt Paul Schraders Beitrag leider außen vor. De Niros spektakuläre Gewichtszunahme für diesen Part gehört inzwischen zur Folklore des Method Acting: Er überantwortet seinen Körper der Kamera gerade so, wie manche Leute ihn der Wissenschaft überlassen. De Niro ist auch Auslöser des nächsten gemeinsamen Projektes. »The King of Comedy« (eine hübsche Trouvaille: Er trifft sich zur Vorbereitung mit seinen Autogrammjägern). Die Frage, wer wen mit zieht, der Regisseur den Schauspieler oder doch umgekehrt, wird plötzlich wunderbar offen.
Als die Generallinie in De Niros Werk macht Peretie die Gewalt namhaft, die seine Charaktere nicht unter Kontrolle bringen. Sie wird in einer brillanten Montage einschlägiger Szenen evident, Peretie nennt sie „triebhaft“. Er liest die Rollen als eine "Reise durch die Geschichte der amerikanischen Gewalt" und zieht dazu, anfangs verblüffend und bald immer schlüssiger, Dokumentarmaterial heran, vom Vietnamkrieg, den Auswüchsen des organisierten Verbrechens sowie Attentaten auf Politiker. Der Anschlag auf George Wallace schreibt sich unmittelbar in De Niros Filmographie ein: Der inspiriert Paul Schrader zum Drehbuch für »Taxi Driver«, welches im Gegenzug den Reagan-Attentäter John Hinckley inspiriert. De Niro, das war mir entfallen, ist danach so erschüttert, dass er das Filmemachen zeitweilig aufgeben will. Sein Rang als Schauspieler wäre zu diesem Zeitpunkt längst etabliert, aber er festigt ihn beharrlich weiter. De Niros große Rollen funktionieren stets auch als Gleichnis für seine Kunst. In »Heat« wäre dies beispielsweise die unbedingte Professionalität. Eine wunderbare Trouvaille ist auch, dass das Publikum bei Probevorführungen von »Sein Name ist Mad Dog« partout nicht akzeptiert, dass de Niro von Bill Murray verprügelt wird. Die Szene muss neu gedreht werden: Dieser Darsteller kann der Brutalität nicht entkommen.
Die Zeugnisse von Weggefährten sind eher spärlich eingesetzt. Von Scorsese ist Kluges über ihre Gemeinsamkeiten zu erfahren, der großspurige Quentin Tarantino sagt im Gegenzug wenig Erhellendes. Damit wäre die Liste abgehakt. Mitunter wirkt die Dokumentation bruchstückhaft, man merkt, dass Peretie gern noch mehr gesagt hätte. Mir persönlich fehlt die Erwähnung von De Niros schönstem Film, »Midnight Run – Fünf Tage bis Mitternacht«, wo er sich in einen wahrhaft komödiantischen Schauspieler verwandelt. Dieser a priori humorlose Mensch (zumindest habe ich ihn bei einem Interview vor Jahrzehnten so erlebt) setzt sich hier furchtlos einer Kaskade der Situationen aus, in denen er komisch und verletzbar sein muss. In der Rolle des Kopfgeldjägers wirkt, als sei er für einmal von sich selbst erlöst. Ihm gelingt etwas, das für andere Schauspieler eine selbstverständliche Voraussetzung ihrer Arbeit ist: entspannt zu sein. Die späte Karrierephase der Selbstparodie, der immer entsetzlicheren Schwieger- und Großvaterrollen erspart Peretie sich und uns. Sie passen nicht in das Bild, das er sich vom Schauspieler macht.
Er schaut genau hin, wie er sich seiner Kunst hingibt (aber vorerst nicht dem Publikum - die Schüchternheit ist nie ganz verflogen). Der Kommentar, natürlich gesprochen von De Niros deutscher Stimme Christian Brückner, liegt da passgenau auf den Szenenausschnitten. Zu der Zeile über das „unnachahmliche Schweigen und die ausgefallene Kleidung“ ist exakt der Moment aus »Casino« zu sehen, in dem der Schauspieler gleichsam selbstlos in den kitschig pastellfarbenen Anzug des Gangsterbosses schlüpft. Die Demut ist eine zentrale Kategorie dieser Berufsauffassung: De Niro will sich erst das Recht verdienen, eine Rolle zu spielen. Dem gehen Schaulust und Lebensneugier voraus. Aufschlussreich ist aber auch die Montage der Gesten seines Idols Marlon Brando, die er für den Part des jungen Vito Corleone in »Der Pate II« studiert. Er imitiert Brandos Manierismen nicht, sondern variiert sie eindrücklich. Er ahnt sie voraus, interpretiert sie im Hinblick auf eine Lebensgeschichte, in der sich Gebärden wandeln, aber doch einander verwandt bleiben. In dieser Rolle studiert der Schauspieler für einmal das Kino, aber hört dennoch nie auf das zu tun, was er sonst wie kein zweiter beherrscht: sich beim Leben abzuschauen, was seiner Kunst dient.
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