Internationale Atmosphäre

Die Suchmaschine trifft keine Schuld, dass sie mich zum falschen Dossental führte. Nein, der winzige Stadtteil von Karlsruhe mit seinen 27 Einwohnern konnte es nicht sein, der wurde erst 1963 gegründet. Der Romantiker in mir hatte im Übrigen auf ein "h" im Ortsnamen gehofft. Es hätte mich ohnehin gewundert, wenn dieses Treibhaus der Duplizität und Habgier tatsächlich existierte.

In »Die goldene Pest« von 1954 allerdings gibt es dieses Dossenthal. Es ist ein Flecken irgendwo im Hessischen. Mundartlich lässt sich das nicht zweifelsfrei bestimmen, es geht ein wenig durcheinander mit den Dialekten. Liegt das daran, dass dem Regisseur das Gehör dafür fehlte? Immerhin war er zwei Jahrzehnte lang nicht in Deutschland gewesen. Im Vorspann wird er mit dem Vornamen genannt, den er im Exil wählte, also führt John und nicht Hans Brahm Regie. Sein Film ist eines der weniger besungenen Beispiele der filmischen Re-Emigration, die in der restaurativen BRD sowieso nicht sehr willkommen geheißen wurde( aber später den Produzenten mitunter ordentliche Gewinne brachte, sofern wenn Fritz Lang oder Robert Siodmak im Regiestuhl saßen).

Heute Abend zeigt ihn das Filmmuseum Potsdam im Rahmen der Reihe "Jüdisches Filmerbe", die im Wintersemester im Kooperation mit dem Moses Mendelssohn Zentrum läuft. Das Programm beleuchtet sehr unterschiedliche Aspekte dieses Erbes (https://www.filmmuseum-potsdam.de/Ringvorlesung-und-Filmreihe-Juedisches-Filmerbe.html). Jedem Film geht eine Einführung voraus, die für den heutigen Abend klingt höchst vielversprechend: "From Die Geierwally to die die goldene Pest – The Revival of the German-Jewish Anti-Heimat Film". Die Re-Emigration wird in Ofer Ashkenazis Einführung gewiss eine Rolle spielen. Das Revival wiederum impliziert, dass es eine gewisse, abgebrochene Tradition gab, von deren Existenz ich bislang noch nichts wusste. Brahms Film könnten Sie auch in beklagenswerter Qualität auf Youtube.com sehen (die Videoaufzeichnung einer Ausstrahlung auf BR), aber dann würden Sie natürlich u.a. nicht erfahren, wie »Die Geierwally« in den Zusammenhang passt.

Anti-Heimat ist ein tolles Schlagwort für »Die goldene Pest«, der ein direkter Vorläufer von Helmut Käutners sublimem Stolperstein »Schwarzer Kies« ist. Auch Brahms Schauplatz liegt in der Nachbarschaft eines US-Militärstützpunktes und auch bei ihm weckt die vermutete Anwesenheit harter Dollars enorme kriminelle Energien bei der lokalen Bevölkerung. Der Schwarzmarkt blüht und es wird nach Leibeskräften fraternisiert. Ansonsten ist die ungebetene Besatzungsmacht den Dossentahlern ein Dorn im Auge ("Was haben wir von den Amis? Nur Staub und Dreck!"), zumal auf dem riesigen Militärgebiet ständig Feldübungen durchgeführt werden. Einen der Glücksritter spielt Karlheinz Böhm, der einst ein vielversprechender Pianist war, nun aber die Witterung des Geldes aufgenommen hat. Sein treuherziges Lächeln harrt darauf, entlarvt zu werden. Erlöst wird er davon erst in »Peeping Tom«. Hier ist indes erstaunlich, dass er in der Rolle des korrupten Friedensgewinnlers für einen " Bambi" nominiert wurde. Gleichviel, bald stellt sich heraus, dass das ganze Dorf verschuldet ist. Hier geschieht nichts ohne das Wissen eines ominösen "Generaldirektors" (verkörpert von Heinz Hilpert, der nach seiner Entnazifizierung rasch wieder erfolgreicher Spielleiter im Theater wurde).

Hans Brahm floh früh mit seiner Frau, der Schauspielerin Dolly Haas, aus Nazideutschland und gelangte über eine Station in England (wo er ein exzellentes Remake von D.W. Griffith' »Broken Blossoms« drehte) nach Hollywood. Dort inszenierte er den sehr annehmlichen Anti-Nazi-Film »Tonight we raid Calais« und sodann einige Krimimelodramen, deren atmosphärische Qualitäten zu einem Gutteil der Mitwirkung exzellenter Kameraleute wie Lucien Ballard und Nicolas Musuraca sowie Komponisten wie Bernard Herrman und David Raksin geschuldet sind. (In »Knock 'em silly« ging ich am 15. September näher aus »The Locket« ein.) Anfang der 1950er verblasst sein Stern, er bewegt sich auf diversen Genreterrains, die ihm nicht liegen, bevor er schließlich eine mittlere Karriere beim Fernsehen macht. Wie er wieder nach Deutschland und zu »Die goldene Pest« kam, würde mich brennend interessieren. Jedenfalls läuft er noch einmal zu alter Form auf.

Sein Film handelt ebenfalls von einer Rückkehr. Protagonist ist ein GI (Ivan Desny), der Urlaub in seiner Heimatstadt machen will. Die Familie ist in die USA emigriert, dass sie Juden sind, muss nicht explizit gesagt werden. Einer der Unentwegten in Dossenthal schimpft ihn "Überläufer". Diesen Ton kennt er noch. Gerade ist er aus Korea heimgekehrt; nun will er seine Jugendliebe (Gertrud Kückelmann) wiedersehen, mit der er sich bald nach seiner Ankunft verlobt. Sie ist die Schwester seines Jugendfreundes Böhm, dessen Verstrickung in finstere Geschäfte ihn den Heimkehrer in Gewissenskonflikte stürzt. Gerade hat er sich jovial beim Gemeinderat die Konzession erschlichen, ein Festzelt zu eröffnen, wo er allabendlich ein Varietéprogramm nach amerikanischem Vorbild veranstaltet. Das fungiert als die muntere Fassade seiner üblen Machenschaften. Es spielen Jazzkapellen auf, leicht bekleidete Dorfschönheiten treten bei Wettrennen auf, deren Siegerin bereits vor Beginn feststeht oder müssen im Schlamm miteinander ringen. Letzteres gefällt Wolfgang Neuss besonders gut, der hier eine kleine, aber deftige Rolle als Inspizient hat. (Die Nebenrollen sind ohnehin gut besetzt.) Das Programm ist ganz auf den Geschmack der Gis zugeschnitten. Ein Gast lobt Böhms Unternehmung ("Ihr Zelt hat internationale Atmosphäre!"), der auch als Conferencier eifrig in Erscheinung tritt; wenngleich nicht akzentfrei.

Brahm hat sein nicht nur spöttisches Vergnügen an derlei undeutschen Darbietungen. Kückelmann gibt eine passable Swingsängerin ab, ihr braves, aber nicht kreuzbraves "I'm gonna tell my mother everything you said" klingt mir immer noch in den Ohren. Es wird während des Vorspanns bereits kurz angespielt, um dann jedoch einer bizarren Kakophonie Platz zu machen. Komponist Hans Martin Majewski zieht blitzschnell das Register der Desorientierung, denn Brahm interessiert das soziale Klima, das sich hinter der Atmosphäre des Fraternisierens verbirgt. Die Schattenspiele einer nächtlichen Verfolgungsjagd lassen vermuten, dass er Langs »Das Testament des Doktor Mabuse« genau studiert hat, bevor er in Hollywood durch die Schule des Film Noir ging. Im hochdramatischen Finale laufen alle Fäden (die Drehbuchidee mit den gestohlenen Feuerwehrschläuchen ist brillant) zusammen, aber Katharsis ist in Dossenthal nicht versprochen.

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