Kritik zu Munch

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Bruchstücke einer Künstlerbiografie: In Henrik Dahlsbakkens Film verkörpern vier Schauspieler die verschiedenen Lebensalter von Edvard Munch

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Der Norweger Edvard Munch (1863–1944) lebte ein Künstlerleben am Rande des Abgrunds. Die schwarzen Engel von Krankheit und Wahnsinn wachten an seiner Wiege, stellte er einmal fest. Düstere Kindheitserinnerungen, Verzweiflung und Neurosen inspirierten sein Werk. Munch, dessen bekanntestes Motiv, »Der Schrei«, 1893 in Berlin erstmals zu sehen war, erlebte auch die Liebe zumeist als Tragödie. Nach dem Ende der Beziehung zu Tulla Larsen verlor er sich in Alkoholexzessen, litt unter Stimmungsschwankungen, Halluzinationen und Verfolgungswahn. 1908 brach er beim Whisky in Kopenhagen zusammen. In einer Privatklinik unterzog er sich erfolgreich einer Ruhe- und Entgiftungskur: »Ja, vorbei ist jetzt für mich die von Schmerz und Freude gemischte Zeit des Alkohols – eine wundersame Welt ist mir verschlossen.«

In Henrik Martin Dahlsbakkens Film »Munch« will der dänische Psychiater Daniel Jacobson (Jesper Christensen) von ihm wissen: »Wie viel trinken Sie pro Tag?« Munchs (Ola G. Furuseth) Bilanz: morgens kaltes Bier, den Tag über eine Flasche Cognac. Und kaum etwas zu essen. Regisseur Dahlsbakken nähert sich dem Künstler Munch auf künstlerische Weise. Vier Darsteller verkörpern den Maler zwischen 21 und 80. Mattis Herman Nyquist erlebt als 30-jähriger Munch in Berlin den demütigenden Skandal um seine erste, schnell geschlossene Ausstellung – nur eben nicht 1892, sondern in einem gegenwärtigen Berlin der Technoclubs, in dem August Strindberg als Frau mit aufgeklebtem Bärtchen auftritt (Lisa Carlehed). Dieser fiktive Munch kommuniziert mit dem Handy und räsoniert auf dem Tempelhofer Feld mit fiebriger Intensität über Distanz und Liebe. Auf den Reinfall seiner Bilderschau reagiert er mit einem lautlosen Schrei. 

Der Einfall spiegelt den inszenatorischen Ehrgeiz Dahlsbakkens, fügt Munchs Biografie aber keine nennenswerten Nuancen hinzu. Der Film, der stilistisch mit expressionistischen Winkeln, Schattenspielen und Albtraum-Visionen arbeitet und die Psychiatrieszenen in Schwarz-weiß präsentiert, hat seine stärksten Momente, wenn das Leben spricht. Anne Krigsvoll ist der alte, kranke, dauerhustende Munch, den die Besetzung Norwegens durch die Nazis vom ruhigen Arbeiten abhält. Alfred Ekker Strande erscheint als Munch mit Anfang 20 wie ein schüchterner Suchender, gekleidet wie eine hochmelancholische Tschechow-Figur. Furuseth zeigt einen Mann Mitte 40, der in der Psychiatrie aus der Endlosschleife einer krisenhaften Existenz ausbrechen will.

Der Film, in dem leidenschaftlich über Kunst, Genie und seelisches Ungleichgewicht debattiert wird, addiert Bruchstücke unterschiedlicher Lebensphasen. Er bewegt sich sprunghaft und assoziativ durch Raum und Zeit. Milly Thaulow (Thea Lambrechts Vaulen) und Tulla Larsen (Gine Cornelia Pedersen) kommen Munch zeitweise nahe, erfüllendes privates Glück sieht allerdings anders aus. »Wenn ich male, fühle ich mich vollständig«, resümiert Munch und fügt selbstkritisch hinzu: »Ich bin unmöglich.« Der Abspann teilt lapidar mit, dass Munch fast 30 000 Werke hinterlassen hat. In Dahlsbakkens Film wird das Fundament dieser Produktivität sichtbar.

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