»Sound of Freedom«: Verraten und verkauft
»Sound of Freedom« (2023). © Angel Studios / 24 Bilder
Was ist da los? Kulturkampf um einen Film, der sich gegen den weltweiten Sexhandel mit Kindern in Stellung bringt? So einfach ist es nicht. Der Background zum Überraschungserfolg »Sound of Freedom«
Dieser Film dürfte einen der längsten Abspanne der Kinogeschichte haben. Er dauert gut eine Viertelstunde. Die Nennung der Künstler, Techniker und sonst an der Produktion Beteiligten nimmt nur einen geringen Teil davon ein. Weit mehr Platz braucht die Liste der Tausenden, deren Spenden das Marketing und den Verleih von »Sound of Freedom« ermöglichten.
Während ihr Beitrag gewürdigt wird, läuft der Countdown zu einer besonderen Botschaft, die Hauptdarsteller Jim Caviezel verkünden wird. Mit gepresster Stimme und feuchten Augen verkörpert er im Film die reale Figur Tim Ballard, der aus dem Dienst bei der Homeland Security ausschied, um die »Operation Underground Railroad« (OUR) zu gründen, die den weltweiten Sexhandel mit Kindern bekämpft. Nun richtet Caviezel sich direkt an das Publikum, das durch sein Kommen bereits Teil einer edlen Mission geworden ist. Es könne aber noch mehr tun: weitere Kinokarten kaufen, um Menschen den Filmbesuch zu ermöglichen, die über weniger Mittel verfügen. Seinen Aufruf zum »Pay it forward« beendet er feierlich mit dem Schlüsselsatz des Films: »God's Children are not for sale«, Gottes Kinder stehen nicht zum Verkauf.
Caviezel absolviert diesen Appell ohne einen Anflug von Ironie; ergriffen bleibt er in seiner Rolle. An den amerikanischen Kinokassen hat sich diese Strategie der Beschwörung eines hehren Ziels ausgezahlt. »Sound of Freedom« ist zu einer wahren Goldgrube für seine Produzenten und den Verleih geworden, weil er ein Marktsegment erreicht, das die Hollywood-Majors chronisch unterschätzen: das religiöse, konservative Publikum. Der Thriller über die vermeintlichen Heldentaten des Mormonen Ballard ist präzise auf dessen Sensibilität abgestimmt, verbannt den Schrecken hinter suggestiv verschlossene Türen und lässt seine wenigen Actionszenen in schonungsvoller Zeitlupe ablaufen. Sein Sounddesign scheint geradewegs einem Gottesdienst entsprungen: Chorgesänge begleiten das Leiden der geraubten Kinder, und klatschende Hände feuern ihren Retter an. Die Erlösung ist in elysisches Licht getaucht.
Die Entstehungsgeschichte von »Sound of Freedom« mutet wie eine klassische Gegen-alle-Widerstände-Fabel an. 2015 erwarb Regisseur Alejandro Monteverde die Rechte an der Lebensgeschichte von Ballard und realisierte den Film mit einem Budget von gerade einmal 14,5 Millionen Dollar, die Produzent und Darsteller Eduardo Verástegui unter mexikanischen Investoren auftrieb. Beinahe wäre der Film zu einem Kollateralschaden der Fusion von Fox und Disney geworden, aber Verástegui kaufte die Verleihrechte von Fox International zurück und bot sie »Angel Studios« an. Die von den vier Harmon-Brüdern, Mitgliedern einer prominenten Mormonenfamilie in Utah, gegründete Firma ist auf religiöse Themen und Crowdfunding spezialisiert. Deren Marketingstrategie verfing. Bereits vor dem symbolträchtigen Starttermin am 4. Juli erbrachte der Vorverkauf 10 Millionen Dollar. Lebhafte Mundpropaganda sowie die Unterstützung von Fox News, Steve Bannon und Donald Trump (für den Ballard als Berater gearbeitet hat) ließen »Sound of Freedom« zum sleeper hit des Sommers avancieren. Auch Demokraten mochten ihn. Das Publikum der ersten Wochen war überwiegend weiblich, über 45 Jahre alt und bestand zu einem Drittel aus Hispanics.
Der Kulturkampf um den Film wird mit harten Bandagen geführt. Kritische Stimmen (darunter Opferverbände und die Vereinten Nationen, denen die Darstellung des Kinderhandels zu spekulativ erschien) werden als woke Faschisten gebrandmarkt. Verástegui öffnete die Tür zu einer weiteren Infamie, als er bei Fox News den Verdacht äußerte, viele Gegner des Films seien selbst Pädophile.
Kein Vorwurf und keine Enthüllung scheinen den Film seither kompromittieren zu können. Dass sein dritter Akt, die Befreiungsaktion im kolumbianischen Dschungel, komplett erfunden ist, ficht seine Fürsprecher ebenso wenig an wie der Umstand, dass Caviezel und Ballard den Verschwörungstheoretikern von QAnon angehören. Im Juni musste Ballard als CEO der »Operation Underground Railroad« zurücktreten, nachdem ihn mehrere Mitarbeiterinnen der sexuellen Belästigung beschuldigt hatten. Einer der Spender, denen das Studio im Abspann dankt, wurde in Missouri wegen Kindesentführung angeklagt.
Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses steuert der Film in den USA die 200-Millionen-Dollar-Marke an. Eine Fortsetzung erscheint unvermeidlich. Allerdings ist Monteverde nicht der Einzige, dem Ballard seine life rights verkauft hat. Der Produzent Mike Ilitch jr. behauptet, die Exklusivrechte zu besitzen, und will die Saga auch zu zwei Serien ausbauen. Seinen Plan, für den US-Senat zu kandidieren, wird Ballard inzwischen begraben haben. Sein Produzent dachte in diesem Punkt ohnehin größer: Verástegui hat seine Kandidatur für die mexikanische Präsidentschaftswahl 2024 angekündigt. Sein Programm lautet: »Gott, Vaterland und Familie«.
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