Leserbindung
Vom praktischen Nutzen so genannter master classes bin ich nicht vollends überzeugt – meist handelt es sich um ein moderiertes Gespräch, das höchstens ein, zwei Stunden dauert -, von ihrem Wert Quellen der Inspiration allerdings schon. Wenn ich derlei Gespräche auf Festivals, in Kinematheken oder Filmhochschulen miterlebt (und gelegentlich auch selbst geführt) habe, drängte sich mir meist der Eindruck auf, es kämen dabei kaum konkrete Lehren für Schüler heraus (nach meiner Erfahrung werden sie auch selten erfragt), im Gegenzug erführen sie jedoch viel über die Haltung, die Philosophie des Filmkünstlers auf dem Podium.
Die Londoner Tageszeitung „The Guardian“ bietet master classes in allen möglichen Sparten an. Auf den Kulturseiten sind im Netz oft Selbstanzeigen für Kurse in kreativem Schreiben zu sehen, die sich an hoffnungsvolle Schriftsteller, Dramatiker oder Drehbuchautoren richten. Diese Aktivitäten jenseits des Kerngeschäfts der Zeitung haben eine lange, stolze Tradition: Die „Guardian Lectures“ im British Film Institute sind zu Recht legendär. Ich glaube, einige von ihnen sind auch in einem Sammelband erschienen. Anfang der 80er Jahre bestieg ich einmal klopfenden Herzens den Zug, um Paul Schrader in London zu hören. So etwas ist selbstverständlich auch eine Marketingstrategie, mithin gute Verlagspolitik. Es demonstriert die Ambition, sich als eine Institution des kulturellen Lebens zu positionieren.
Vor einigen Tagen fiel mir der Hinweis auf eine master class in Filmkritik ins Auge (http://www.theguardian.com/guardian-masterclasses/how-to-write-about-film-with-peter-bradshaw-and-catherine-shoard-journalism-course?INTCMP=mic_233731 ). Sie scheint zum ersten Mal veranstaltet zu werden und ihr Programm den ganzen nächsten Sonntag (28. 9.) in Anspruch zu nehmen. Die Leitung der Veranstaltung ist hochkarätig und weitsichtig besetzt. Peter Bradshaw wird nachgesagt, er sei der mächtigste Filmkritiker Englands - ich weiß zwar nicht, wie man das quantifizieren könnte. Ich bin auch nicht allzu oft einer Meinung mit ihm, schätze ihn aber als eleganten und kenntnisreichen Rezensenten, dessen Assoziationsreichtum und Hintergrund mich nicht selten beeindrucken. Er ist ebenfalls Romanautor, eine Kombination, die in England bisweilen brillant funktionierte (Graham Greene, Gilbert Adair), im deutschen Feuilleton jüngeren Zeit jedoch mit weit weniger Fortüne. Gleichviel, Bradshaw stellt so etwas wie die klassische Rezensenten-Autorität dar. Catherine Shoard hingegen steht für Zukunftsorientierung. Sie ist auf den digitalen Plattformen einerseits für die Beteiligung der Leser, für eine größere Zugänglichkeit der Traditionsmarke „Guardian“ zuständig, arbeitet aber auch in klassischen Formaten wie der Festivalberichterstattung. Auch da spürt man das Bedürfnis, die Leser in einen Dialog zu verwickeln. Ihre Texte haben oft einen schönen Erlebnischarakter. Es könnte eine spannende Veranstaltung werden. Die Gebühr ist mit 99 Pfund nicht mal exorbitant.
Ich werde nicht dorthin reisen können, obwohl ich natürlich gern hinzulernen würde. „What will you master?“ lautet der Werbeslogan der Veranstaltungsreihe. Da ist das „master“ kursiv gedruckt, aber die Frage nach dem „you“ scheint mir interessanter: Wer und wie Viele werden wohl an einer solchen Lektion teilnehmen? Die Filmkritik ist zwar ein wunderschöner Beruf, aber ist es einer mit Zukunft? Mit den Jahren fällt mir die Antwort immer schwerer, und sie beschäftigt mich mehr denn je. Sie wissen schon: die Krise der Printmedien, die mittel-, oder gar langfristige Aussichtslosigkeit, mit Kulturinhalten im Netz Geld zu verdienen. Wenn man sich früher als Kritiker zu Erkennen gab, stieß man häufig auf Neugierde, es erschien Außenstehenden exotisch und beneidenswert, sich Filme anschauen und danach über sie schreiben zu dürfen. Selbst Filmstudenten reagierten früher oft so. Heute erlebt man das nicht mehr.
Vor einigen Jahren konzipierten meine Kollegin Barbara Schweizerhof und ich für den Verband der deutschen Filmkritik ein Symposium über die ökonomische Situation und Perspektiven des Filmjournalismus', das im „Filmjahrbuch 2009“ des Schürenverlags dokumentiert ist. Die Ergebnisse waren einigermaßen niederschmetternd und entmutigend; es besteht kein Grund zur Annahme, dass sich die Situation seither verbessert hat. Während einer Diskussion formulierte ein wortgewandter (oder über ein gutes Gedächtnis verfügender) Kollege einen Gedanken, der mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf geht: Das Internet ist das Beste, was der Filmkritik passieren konnte - und das Schlechteste, was den Filmkritikern passieren konnte.
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