Kritik zu Die Verlorenen
Nach seinem bei der Berlinale 2016 fürs Drehbuch ausgezeichneten »United States of Love« stellt der Pole Tomasz Wasilewski erneut ein verstörendes Drama über die Unmöglichkeit einer Liebe vor
Eine Liebesszene voller vertrauter Leidenschaft: Ganz nah ist die Kamera an diesen sich innig umklammernden Körpern, in sanftes Licht getaucht. Im Hintergrund ein weiter Himmel voller dunkler Wolken über dem Meer. Surreal wirkt diese Szenerie, das Geschehen wie vor einer Fototapete, verstörend und faszinierend zugleich. Von der Welt abgetrennt scheint dieses Paar in vollkommener Zweisamkeit, doch das Unheil schwebt über ihm wie die dunklen Wolken am Himmel. Sieben Jahre, nachdem der polnische Regisseur und Drehbuchautor Tomasz Wasilewski bei der Berlinale 2016 den Silbernen Bären für sein Drehbuch für »United States of Love« gewonnen hat, kommt nun sein Drama »Die Verlorenen« in die Kinos. Wieder geht es um die Unmöglichkeit der Liebe, einer Mutterliebe.
Marlena (Dorota Kolak) und Tomasz (Łukasz Simlat) sind dieses innige Paar, sie Anfang 60, er Anfang, Mitte 40. Trotz großer Vertrautheit umgibt dieses Paar eine Schwere. Diese nimmt zu, als Marlenas Handy wieder und wieder summt, sie sorgenvoll darauf blickt, um es dann schnell wieder in der Tasche verschwinden zu lassen. Es ist ein nagender Ton, der weiteres Unheil heraufbeschwört. Denn Marlena will ihren Sohn Mikolaj (Tomasz Tyndyk) bei sich aufnehmen, ebenfalls Anfang 40, bettlägerig und schwerst pflegebedürftig. Wie es dazu kam, bleibt im Verborgenen, ebenso, warum er sich von der Mutter losgesagt hat. Gegen den Willen von Tomasz holt Marlena Mikolaj in die eheliche Wohnung, pflegt und umsorgt ihn wie ein Baby.
Die Wohnung Marlenas und Tomeasz' wirkt wie eine Theaterbühne, wie ein selbst gewähltes Gefängnis. Alles scheint sich in diesem Gebäude zu befinden, der Kreißsaal, in dem Marlena arbeitet, ein Restaurant, in dem sie einmal zu Abend essen, selbst das Beerdigungsinstitut, in dem Mikolaj später aufgebahrt werden wird. Verbunden sind all diese Schauplätze durch labyrinthhafte, dunkle Gänge, die bedrohliche raue Ostsee immer im Hintergrund.
Wasilewski fächert das Schicksal, die Geschichte seiner Figuren nicht auf, er deutet an. Es ist die Gestalt der Marlena und das eindrückliche Spiel von Kolak, die von einer tiefen Verzweiflung erzählen. Viele Worte machen die Figuren nicht, allein ihre Gesichter, ihre Körpersprache erzählen von ihrem Leid, dessen Ursprung Wasilewski erst im allerletzten Satz seines Dramas offenbart. Seine Entscheidung, seine Geschichte einzig auf diesen letzten Satz zulaufen zu lassen, lässt die Irritation anschwellen und evoziert einen bedrückenden Sog.
Das ist vor allem der großartigen Kamera und dem Szenenbild von Oleg Mutu zu verdanken. Er entwirft weite Tableaus, fängt die unwirtliche Landschaft in langen Einstellungen ein. Dazu im krassen Gegensatz steht die enge, in sich geschlossene Wohnung in kalten Grau-Grün-Blau-Tönen. Schmerzhaft verbildlichen diese Räume die Isolation der Protagonisten. Hinzu kommen die undurchsichtigen Beziehungen der Figuren. »Die Verlorenen« ist ein intensives Drama mit irritierenden, frustrierenden Momenten, das oftmals kaum zu ertragen und daher umso faszinierender ist.
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