Kritik zu Black Box

© Port au Prince

Asli Özge zeigt in ihrem neuen Film eine Versuchsanordnung in einem Berliner Hinterhof. Abgeriegelt von der Außenwelt und konfrontiert mit diffuser Bedrohung gerät eine Mietergemeinschaft unter Druck

Bewertung: 4
Leserbewertung
0
Noch keine Bewertungen vorhanden

Langsam senkt sich der Glascontainer in den etwas abgeranzten Innenhof des gleichermaßen abgeranzten typischen Berliner Altbaus: Vorderhaus, Hinterhaus, Seitenflügel; Baum, Bank, Fahrräder, Mülltonnen. Und nun noch dieser Quader mit der Aufschrift »EastWest Management«; aufgestellt von der neuen Hausverwaltung, deren Vertreter, Herr Horn, auch sogleich darin Platz nimmt. Er ist der Ansprechpartner für die langjährigen Mieter*innen, die den Neuzugang mit Sorge betrachten. Sie argwöhnen und richten ratsuchend den Blick gen Himmel, wo sich die auf benachbarten Baustellen aufgewirbelten Staubwolken über die Dachkante wälzen; Anzeiger einer Entwicklung: Umwandlung in Eigentum, Luxussanierung, Umsetzunterkünfte, Mieterhöhung, Vertreibung, kurz: das Gespenst der Gentrifizierung geht um und die Nerven liegen blank. Nicht nur in Berlin, auch in Hamburg, München, Köln und so fort kann jede:r, die zur Miete wohnt, sich sogleich identifizieren.

Dann aber dreht Aslı Özge in ihrem Film »Black Box« die Schraube noch eine Umdrehung weiter. Aus der latenten Drohung wird eine konkrete, als mit einem Mal ein Sondereinsatzkommando in voller Kampfmontur Straße und Haus absperrt sowie polizeiliche Maßnahmen durchführt, deren Sinn und Zweck den betroffenen Bürger:innen zu erläutern der Leiter derselben nicht für notwendig erachtet. Lediglich mit Herrn Horn findet ein Informationsaustausch statt, sozusagen auf oberster Ebene und über die Köpfe der Betroffenen hinweg. Was wird verhandelt? Wer verfolgt welche Agenda? Werden die Bewohner:innen Zeugen und unfreiwillig Beteiligte eines abgekarteten Spiels? Dem – wer sonst – die generalverdächtigten »Ausländer« letztlich zum Opfer fallen, in deren Wohnungen angeblich zwielichtiges Gesindel ein und aus geht. Paranoia und Panikmache, Misstrauen und Missgunst – es dauert nicht lange, dann ist im gesellschaftlichen Mikrokosmos des Gebäudekomplexes ein ekliges Süppchen angerührt – ein Gericht unserer Zeit, in dem sich nicht nur die aktuelle Lage auf dem Wohnungsmarkt abbildet, sondern auch die mit Krisengeschehen einhergehende Entsolidarisierung samt dem aus der Konkurrenz um knapper werdende Ressourcen resultierenden Alltagsrassismus.

Die 1975 in Istanbul geborene und dort ausgebildete Filmemacherin Özge, die seit 2000 in Berlin lebt, setzt ihr eigenes Drehbuch als Kammerspiel im Großraum in Szene. Treppauf, treppab wogt das Geschehen, vom Vorder- ins Hinterhaus, und immer wieder an der die Hofeinfahrt verstopfenden Staatsgewalt anbrandend, Erinnerungen an ungenügend begründete, pandemische Freiheitseinschränkungen wachrufend. Und auch wenn mitunter die Narration ein wenig löchrig wirkt und die Dramaturgie etwas lose – so macht doch die feine Besetzung das wieder wett: Felix Kramer, der als undurchschaubarer Herr Horn hinter Verbindlichkeit kaltes Kalkül durchschimmern lässt. Luise Heyer, deren Henrike die tiefe Verunsicherung einer Hausfrau zeigt, die nach langer Kinderpause den Wiedereinstieg in den Beruf versucht. Christian Berkels Lehrer Erik, dessen widerständiger Geist sich am Duckmäusertum seiner Nachbarn (auf-)reibt. Inka Friedrichs Nikol, die Zwietracht säende Klatschbase, und Anne Ratte-Polles Carolin, die sich nicht in die Karten schauen lässt, bis sie ihr Schäfchen im Trockenen hat.

Sie alle erscheinen nur allzu bekannt, sind soziobiotopische Stellvertreterfiguren, und verkommen doch nicht zu Karikaturen; Özges Regiegestus bleibt distanziert und ermöglicht es so der »Black Box«, sich als Experimentierkasten zu erweisen. Es simmert und brodelt, es qualmt und zischt – und es knallt! Denn die Gräben, die die Gesellschaft durchziehen, sind viel tiefer, als es sich das bürgerliche Bewusstsein eingestehen will. Özge zeigt in »Black Box« ohne Zeigefinger, wie das Morallose sich als Sachzwang tarnt und welch hohen Preis zahlt, wer sich demselben unterwirft.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt