Nahaufnahme von Michelle Rodriguez
Michelle Rordiguez in » Fast & Furious 10« (2023). © Universal Studios
»Fast & Furious«, »Resident Evil«, »Machete«, »Dungeons & Dragons« . . . Wilde Filmografie. In B-Pictures und Genre-Blockbustern hat Michelle Rodriguez Freiräume erkämpft. Für weibliche Action-Stars. Für sich selbst. Und Spaß macht das Ganze auch noch
Die Protestaktionen beginnen noch vor dem Weltwirtschaftsgipfel. Während die Teilnehmer in Seattle ankommen und sich auf die Verhandlungen vorbereiten, befestigen einige Globalisierungsgegner ein riesiges Transparent an einem Turmkran. Es ist ein riskantes Unternehmen, bei dem Lou, eine der Aktivistinnen, in großer Höhe ins Trudeln gerät und für einige Momente zwischen Himmel und Erde, Leben und Tod, zu schweben scheint. Mit Hilfe einer der Organisatoren des Protests fängt Lou sich wieder und stürzt sich fortan mit noch mehr Elan in die Aktionen, die Seattle in diesen Tagen Ende November und Anfang Dezember 1999 an den Rand des Ausnahmezustands bringen.
Die Szene zu Beginn von Stuart Townsends 2007 uraufgeführtem Protestfilm »Battle in Seattle« passt eigentlich nicht so recht zu Michelle Rodriguez. In der Regel spielt sie Figuren, die sich sehr gut selbst helfen können und nicht von Männern gerettet werden müssen. Zugleich ist der Augenblick, in dem die Aktivistin 100 Meter hoch über dem Boden hängt, einer der symbolträchtigsten in Rodriguez' Filmografie. Die 1978 im texanischen San Antonio geborene Schauspielerin hat seit ihrem ersten großen Auftritt als jugendliche Boxerin in Karyn Kusamas »Girlfight« (2000) immer wieder Frauen gespielt, die an ihre Grenzen und über sie hinausgehen.
Das Risiko, in das sich die Aktivistin Lou bei der Aktion auf dem Kran begibt, ist typisch für die Figuren von Rodriguez, die mit all ihrer Kraft und all ihrem Mut für ihre Überzeugungen kämpfen. Figuren, die wie Trudy Chacón, die Kampfpilotin in James Camerons »Avatar« (2009), im entscheidenden Moment bereit sind, sich aufzulehnen und gegen die bestehenden Verhältnisse zu rebellieren. Trudy stellt sich gegen ihre Auftraggeber, die auch im Weltall dem Vorbild der europäischen Kolonisatoren folgen und die als minderwertig betrachtete Zivilisation der Na'vi zerstören wollen. Mit ihrer Entscheidung, die Seiten zu wechseln, wird Trudy schließlich zu einer Märtyrerin im Kampf gegen ein zerstörerisches kapitalistisches System, das sich auf rassistische und patriarchale Strukturen stützt und diese immer weiter verfestigt. Eben diesen Kampf führen auch Lou in »Battle in Seattle« und Luz in Robert Rodriguez' postmodernen Grindhouse-Filmen »Machete« (2010) und »Machete Kills« (2013).
Aber der Moment, in dem Michelle Rodriguez am Arm des Wolkenkratzer-hohen Krans zwischen Leben und Tod hängt, verweist unterschwellig noch auf einen anderen, sehr bizarren Aspekt ihrer Karriere. Gleich dreimal hat sie Figuren verkörpert, die gestorben sind und von den Machern der Filme wieder zum Leben erweckt wurden. In »Machete« sind der Tod und die Wiederauferstehung von Luz, die unter dem Namen »Shé« – eine ironische und doch zutiefst ernst gemeinte Anspielung auf Ernesto »Che« Guevara – ein revolutionäres Untergrundnetzwerk erschaffen hat und für mexikanische Einwanderer kämpft, noch Teil des Konzepts. Die Genre- und Exploitation-Filme der späten 1960er und der 1970er Jahre, vor denen sich Robert Rodriguez mit seiner so absurd-blutigen wie politisch hellsichtigen Pulp Fiction verbeugt, haben sich nun einmal auch nicht sonderlich um Logik und Realismus geschert.
Dass Michelle Rodriguez auch in »Resident Evil: Retribution« (2012) und in »Fast & Furious 6« (2013) von den Toten zurückgekehrt ist, hat natürlich mit den Gesetzen der modernen Blockbuster-Franchises zu tun. Wie Fernsehserien brauchen auch diese Filmreihen Figuren und vor allem Schauspielerinnen und Schauspieler, mit denen sich das Publikum identifizieren kann und die es ans Franchise binden. Insofern war es nur konsequent, dass Rodriguez im vierten, wieder von Paul W.S. Anderson inszenierten Teil der »Resident Evil«-Reihe noch einmal in der Rolle der toughen Kämpferin Rain in Erscheinung getreten ist. Auch ihr Comeback im sechsten »Fast & Furious«-Film ist vor diesem Hintergrund schlüssig. Schließlich waren es ihre Auftritte in Andersons »Resident Evil« (2002) und Rob Cohens »The Fast and the Furious« (2001), die sie in den frühen 2000er Jahren zu einem der ersten größeren weiblichen Actionstars gemacht haben.
Ihre Karriere ist unauflöslich mit diesen Filmen verbunden, die eine Öffnung des Actiongenres hin zu Heldinnen angedeutet und so letzten Endes einem tiefgreifenden Wandel den Weg bereitet haben. Aber auch die beiden Franchises sind unauflöslich mit Michelle Rodriguez unprätentiösem und zupackendem Schauspielstil verbunden. In den »Resident Evil«-Filmen steht zwar Milla Jovovich mit ihren eleganten Kampfchoreografien im Zentrum. Aber Rodriguez' Rain markiert so etwas wie den stoischen Gegenpol zu ihren Action-Exaltationen. Sie steht dabei keineswegs im Schatten Jovovichs. Die Art, in der sie sich klassische Tugenden männlicher Actionhelden zu eigen macht, ermöglicht es ihrer Schauspielpartnerin, noch mehr zu strahlen. Rain, Letty in den »Fast & Furious«-Teilen, Chris Sanchez in Clark Johnsons »S.W.A.T. – Die Spezialeinheit« (2003), später dann Trudy in »Avatar« und Technical Sergeant Elena Santos in Jonathan Liebesmans »World Invasion: Battle Los Angeles« haben das Actionkino vom binären Denken in Kategorien von männlich und weiblich erlöst.
Aber nicht nur die »Resident Evil«- und die »Fast & Furious«-Reihe haben von Rains und Lettys Auferstehung profitiert. Auch Michelle Rodriguez hat sich durch ihre Rückkehr in die Franchises künstlerisch profilieren und weiterentwickeln können. Vordergründig betrachtet waren die Kniffe, mit denen die Drehbuchautoren ihr erneutes Auftreten erklärt haben, Ausdruck der Einfallslosigkeit des heutigen Blockbuster-Kinos. In »Resident Evil: Retribution« sind es Klone von Rain, denen Milla Jovovichs Alice begegnet, und in »Fast & Furious 6« geht Lettys Auferstehung im Kontext der Serie mit einer Amnesie einher. Doch gerade diese klischeehaften dramaturgischen Tricks haben Rodriguez Spielraum eröffnet. So gibt es zwei gegensätzliche Klonversionen von Rain: Eine tritt Alice als Gegnerin entgegen, die andere steht ihr zu Seite. Diese Trennung in eine gute und eine böse Variante der Figur führt zu faszinierend gegensätzlichen Auftritten, in denen Rodriguez eine größere Bandbreite ihres Spiels erproben kann.
Die spiegelt sich auch in der weit komplexeren Darstellung Lettys in allen »F&F«-Teilen seit ihrer Auferstehung. Im Prinzip ist Michelle Rodriguez erst durch den vermeintlichen Tod und die Amnesie ihrer Figur zu einer gleichberechtigten Partnerin von Vin Diesel und den anderen männlichen Stars der Serie geworden. Man könnte sagen, Rodriguez' zunächst recht eindimensionale Figuren mussten sterben, um zu neuem Leben zu erwachen – das auch das Genre neu belebt hat. Wie sehr sich seit etwa 2010 die weiblichen Rollen in großen US-amerikanischen Genre- und Blockbuster-Produktionen verändert haben, kann man sehr genau auch ihrer Filmografie ablesen. Die Freiheit, die sie mittlerweile hat, spiegelt sich in ihrem Auftritt als Kriegerin Holga Kilgore in Jonathan Goldsteins und John Francis Daleys »Dungeons & Dragons: Ehre unter Dieben«. Holga ist keine Pin-up-Heroine wie einst Brigitte Nielsens »Red Sonja«, sondern eine komplexe Figur, die letztlich stärker und zielstrebiger ist als Chris Pines Edgin.
Die Fortschritte, die weibliche (Action-)Stars in Hollywood machen konnten, sind offensichtlich. Dennoch ist die Revolution, die Rodriguez seit gut 20 Jahren mitangeführt hat, nicht beendet. Das beweist sie selbst in Walter Hills grandiosem modernen B-Movie »The Assignment« (2016). In dieser eher kleinen, unabhängigen Produktion spielt sie den Profikiller Frank Kitchen, der nach einem seiner Aufträge ins Visier der von Sigourney Weaver gespielten plastischen Chirurgin Dr. Rachel Jane gerät. Sie lässt Frank entführen und führt an ihm eine Operation durch, die den Killer in eine Frau transformiert. Hills Film und Michelle Rodriguez' Porträt eines gewalttätigen und kaltblütigen Mannes, der sich plötzlich im Körper einer Frau wiederfindet, sind der Idee Edgar Allan Poes verpflichtet, dass Kunst nur ihren eigenen Gesetzen folgen und keinerlei politische oder moralische Botschaften vermitteln muss. Sie wischen alle politischen und moralischen Diskussionen regelrecht beiseite. Michelle Rodriguez lotet die männlichen und die weiblichen Aspekte ihrer Figur und damit auch ihrer eigenen Persona als Actionstar auf eindrucksvolle Weise aus und dringt so zum Kern des menschlichen Wesens vor, das nie wirklich eindeutig ist.
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